Jochen Werner Mayer: Imus ad villam. Studien zur Villeggiatur im stadtrömischen Suburbium in der späten Republik und frühen Kaiserzeit (= Geographica Historica; Bd. 20), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005, 266 S., ISBN 978-3-515-08787-2, EUR 44,00
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Ein "Baiae näher an Rom" - so beschrieb Martial eine im Umland Roms gelegene, suburbane Villa (Mart. 10,58,1-2). Dieses Bonmot verweist auf eine Gemeinsamkeit, die in Republik und Kaiserzeit das am Golf von Neapel gelegene Baiae mit dem stadtrömischen Suburbium verband: die gerade in diesen beiden Regionen stark verbreitete Villenkultur. Dieser Aspekt der Gesellschaft und Kultur der Römer ist ein in allen altertumswissenschaftlichen Disziplinen beliebter Untersuchungsgegenstand und auch das Suburbium wird dazu häufig bearbeitet. Gegenstand einer umfassenden Monographie war es bisher jedoch noch nicht. Dieser Lücke hat sich Jochen Werner Mayer im Rahmen seiner Dissertation angenommen.
Der allgemeinen Periodisierung der römischen Villenkultur entsprechend, thematisiert die Untersuchung das Suburbium Roms vom 2. Jahrhundert vor bis in das 2. Jahrhundert nach Christus, mit dem Schwerpunkt auf dem 1. Jahrhundert vor und nach Christus (20). Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Frage, was unter dem Suburbium zu verstehen ist: Es soll einerseits unter topographischen Gesichtspunkten eingegrenzt werden; andererseits betrachtet Mayer die Vorstellungen, die mit dem Suburbium verbundenen waren (16). Diesen Themen geht er in drei Kapiteln nach (III-V), die eine Einleitung (I), ein arg kursorisch geratener Überblick über die Quellen- und Forschungslage (II), ein Resümee (VI), ein ausführliches Literaturverzeichnis (VII) sowie ein Orts-, Personen- und Sachregister und eine Karte ergänzen.
Kapitel III, "Villeggiatur und otium-Kultur in der römischen Gesellschaft der späten Republik und frühen Kaiserzeit" (25-41), stellt in erster Linie eine - nicht immer gelungene - Zusammenfassung der Forschung der letzten 20 Jahre zur römischen Villen- und otium-Kultur dar. Der Abschnitt erfüllt zwei Funktionen. Zum einen dient er der Präsentation von Hintergrundinformationen. Zum anderen steckt Mayer seinen Deutungsrahmen für die suburbanen Villen ab: Der Autor versteht sie - in Anlehnung an die communis opinio zur Villenkultur im Allgemeinen [1] - als 'geistigen Lebensraum', in dem römische Senatoren ihrer 'privaten' Muße, dem otium, nachgegangen seien; im Zuge der Krise der Republik und Etablierung des Prinzipates hätten sich die Villen zudem zu Rückzugsorten entwickelt, die der Kompensation eines senatorischen 'Machtdefizits' vor dem Hintergrund sich verändernder politischer Verhältnisse gedient hätten (25-30).
Insgesamt bietet das Kapitel wenig Neues, was aber auch nicht sein Anspruch ist. Ein kritischerer Umgang mit der Forschung wäre dennoch wünschenswert gewesen. So wird die Vorstellung von der 'privaten' Villa unhinterfragt übernommen: Die Begriffe 'öffentlich' und 'privat' werden genauso wenig diskutiert, wie die Frage, ob diese neuzeitlichen Vorstellung auf eine vormoderne Gesellschaft übertragen werden kann. [2] Auch hätte die Frage gestellt werden können, ob so weitreichende Thesen, wie der kollektive Rückzug der Senatsaristokratie aus 'dem Politischen', formuliert werden sollten, ohne zuvor systematisch die Besonderheiten der republikanischen und kaiserzeitlichen Gesellschaft zu erörtern.
Gegenstand von Kapitel IV, "Die Definition des stadtrömischen Suburbium" (43-148), ist die topographische Eingrenzung und Beschreibung des Suburbium. Nach einer etymologischen Bestimmung des Begriffs (IV.1) betrachtet Mayer jene literarischen Quellen, in denen der Ausdruck suburbanus bzw. suburbium der Kennzeichnung eines Ortes im Umland Roms dient (IV.2). Ergebnis ist ein umfangreicher Ortskatalog: In 18 Unterkapiteln werden für jeden genannten Ort die literarischen Quellen, ergänzt von archäologischen und epigraphischen Zeugnissen, dargestellt, geographische Lage und Geschichte skizziert sowie ein Überblick über die Sekundärliteratur geboten.
Anschließend fragt Mayer, ob mit dem Suburbium definierbare 'Grenzen' zur Stadt Rom, wie auch zum noch weiter außen liegenden Umland hin verbunden wurden (IV.3; IV.4); dabei gelangt er zu dem - kaum verwundernden - Ergebnis, dass solche Vorstellungen nicht festzumachen sind (124; 133). Um die Ausdehnung des Suburbium zu beschreiben, könne allenfalls auf "die Angabe des zeitlichen Bedarfs für die Erreichbarkeit" verwiesen werden, da Stadtnähe in den Quellen als Charakteristikum suburbaner Villen erscheine (130f.). Das Suburbium habe somit ein Gebiet dargestellt, in dem ein Ort von Rom aus innerhalb eines Tags erreicht werden konnte und das urbane wie ländliche Merkmale aufgewiesen habe (132f.). Um die für das Suburbium typisch erscheinende enge Vernetzung von Stadt und Land herauszustellen, wird abschließend (IV.5) die 'Infrastruktur' des Suburbium beschrieben. Ein wesentliches Ergebnis des Kapitels IV ist die relativ geringe Relevanz topographischer Merkmale für die Bestimmung des suburbanen Raums; zentraler scheinen Mayer die mit ihm verknüpften "geistigen Implikationen" (148f.), die er in Kapitel V "Die ideellen Hintergründe der Villeggiatur im römischen Suburbium" (149-219) erörtert.
Dieser Abschnitt beginnt mit einem Exkurs zum Quellenwert römischer Dichtung (149-152), der stark angezweifelt werde. Die Kritik wende sich vor allem gegen die Suche nach dem 'realen' Autor in der Dichtung, doch auch gegen ihre Deutung als historische Quellen an sich. Dass sich eine 'biographistische' Interpretation verbiete, dem stimmt Mayer zu. Doch habe ein Dichter seine Akteure nicht in einem gänzlich realitätsfernen Rahmen agieren lassen können, der dem Leser unverständlichen gewesen wäre. Daher interessiert sich Mayer für "abstrakt zu sehende Äußerungen der Dichter-persona", um zu Erkenntnissen über ideelle Vorstellungen zur suburbanen Villenkultur zu gelangen (151). Um diese herauszuarbeiten, thematisiert der Autor, was die Römer mit dem Suburbium verbanden (V.1); namentlich habe es sich um salubritas, otium, amoenitas, vicinitas urbis Roma sowie modestia in der Stadt und nulla necessitas togae auf dem Land gehandelt (152-164). Ferner (V.2) betrachtet Mayer die Darstellung der Villeggiatur bei den Dichtern Catull, Horaz, Tibull, Martial und Statius, ergänzt durch die Briefe Ciceros und des jüngeren Plinius. Die Werke dieser Autoren, die selbst Villen im Suburbium besaßen, sollen unter dem Gesichtspunkt interpretiert werden, "inwiefern sie als komplementäre Quelle" zu den vor allem in Kapitel V.1. gewonnenen Erkenntnissen dienen können (164).
Bestimmendes Moment des Kapitels V scheint ein methodisches Problem gewesen zu sein: Die römische Dichtung stellt eine zentrale Quelle für den ideellen Hintergrund des stadtrömischen Suburbium dar; ihr 'Realitätsgehalt' erscheint jedoch zweifelhaft. Der Grundgedanke des Autors, aus der Dichtung allgemeine ideelle Hintergründe der suburbanen Villeggiatur herauszuschälen, erscheint plausibel und im Prinzip relativ unproblematisch, sorgfältige Quellenkritik und die Bestimmung nachvollziehbarer Kriterien vorausgesetzt. Doch zum einen schlägt die Interpretation der Dichtung in dem Bemühen, ihre Realitätsnähe zu beweisen, leider allzu oft in eine - von Mayer mit gutem Grund abgelehnte - 'biographistische' Deutung hinsichtlich der individuellen Villeggiatur eines Dichters um. Dabei scheint sich der Autor ganz unnötig in Schwierigkeiten zu begeben. Denn für die eigentlich interessierende Auswertung der Dichtung hinsichtlich der ideellen Hintergründe erscheint die Frage nach der realen Villeggiatur römischer Dichter von geringem Interesse - es sei denn, man geht davon aus, dass diese andernfalls nicht imstande gewesen wären, den Plot ihrer Werke stimmig in Szene zu setzen.
Zum anderen scheint die getrennte Diskussion der Dichtung von den übrigen Quellen, um herauszufinden, ob diese als "komplementäre Quelle" dienen könnte, wenig sinnvoll. Eine gemeinsame Untersuchung aller literarischer Quellen unter dem Gesichtspunkt der 'geistigen Implikationen', ergänzt durch eine vorangestellte, systematische Quellenkritik, wäre dem eigentlichen Ziel der Arbeit wahrscheinlich dienlicher gewesen. Das wäre auch der Interpretation der dem Autor wohl 'realistischer' erscheinenden historiographischen Werke, Reden und Briefe zu Gute gekommen (150f.; 164): Deren historische, soziale und literarische Einordnung fällt häufig sehr knapp aus und wird zudem für die Interpretation kaum nutzbar gemacht.
Resümierend bleibt festzustellen, dass die zentralen Ergebnisse der Studie - dass die suburbane Villeggiatur lediglich ein 'Spezialfall' der römischen Villenkultur ist und einerseits wie diese über das otium-Konzept, andererseits aber über die Nähe zu Rom bestimmt wird (163) - kaum über das hinaus gehen, was dazu in der Forschung seit Edward Champlins grundlegendem Aufsatz in ähnlicher Weise diskutiert wird. [3] Mayer gebührt allerdings das Verdienst, diese Thesen auf eine umfangreichere Materialbasis gestellt zu haben. So bietet insbesondere Kapitel IV eine nützliche Zusammenstellung von Quellen, Informationen und Sekundärliteratur zum Suburbium, obschon in Details auch andere Interpretationen denkbar sind. Wünschenswert wären jedoch ein Quellenregister und umfangreicheres Kartenmaterial gewesen.
Anmerkungen:
[1] Siehe unter anderem K. Schneider: Villa und Natur. Eine Studie zur römischen Oberschichtkultur im letzten vor- und ersten nachchristlichen Jahrhundert, München 1995; E. Lefèvre: Plinius-Studien III. Die Villa als geistiger Lebensraum, in: Gymnasium 94 (1987), 247-262.
[2] Dazu jetzt A. Winterling: 'Öffentlich' und 'privat' im kaiserzeitlichen Rom, in: Gegenwärtige Antike - antike Gegenwarten. Kolloquium zum 60. Geburtstag von Rolf Rilinger, hg. von T. Schmitt u.a., München 2005, 223-244.
[3] E. Champlin: The suburbium of Rome, in: AJAH 7 (1982), 97-117.
Astrid Habenstein