Thoralf Klein / Frank Schumacher (Hgg.): Kolonialkriege. Militärische Gewalt im Zeichen des Imperialismus, Hamburg: Hamburger Edition 2006, 369 S., ISBN 978-3-936096-70-5, EUR 35,00
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Der Begriff "Kolonialkrieg" deutet auf ungleichgewichtig und unfair geführte sowie langwierige Auseinandersetzungen hin, auf "asymmetrische", ja "schmutzige" Kämpfe. Der von Thoralf Klein und Frank Schumacher herausgegebene Band, der auf eine Erfurter Tagung von Anfang 2003 zurückgeht, belegt an zehn Beispielen der Zeit zwischen 1840 und 1970, dass es sich tatsächlich noch viel komplizierter damit verhält. Die Herausgeber rastern eingangs die Analyse nach den "Bedingungen" und dem "Verlauf" des Krieges, nach seinem "Gesicht", dem "Diskurs" über sowie den "Erinnerungen" an den Krieg. Nicht alle Autoren folgen diesem Schema, manche Beiträge schildern Kriegsursachen und -verläufe eher in gewohnt chronologischer Manier.
Dierk Walter verweist in seinen systematischen Überlegungen zum Kolonialkrieg darauf, dass der moderne Kolonialismus generell von Gewalt getragen war, die koloniale Herrschaftsordnung sei sogar "strukturell latent genozidal" (39) gewesen. In Anlehnung an John Gallagher und Ronald Robinson deutet er die Errichtung formeller Kolonien als einen kostenintensiven Irrweg im längeren Prozess der Integration peripherer Gebiete in ein expandierendes Weltwirtschaftssystem. Der Kolonialkrieg sei insofern ein "Krieg der Zukunft" (33), als er keine identifizierbaren Frontverläufe mehr besaß und eine starke Tendenz zeigte, die Zivilbevölkerung sowie deren Lebensgrundlagen in die Kriegführung mit einzubeziehen. Andererseits erinnert Reinhard Zöllner zu Recht an die Interpretationen des Imperialismus als "atavistische" Erscheinung, die in den Kolonien feudale Herrschaftsverhältnisse etablierte, denen in Europa die Grundlage bereits entzogen war. Kolonialkriege waren insofern auch Rückfälle in die bestenfalls "frühmodernen" (so Walter, 21) Zeiten des Faustrechts, in denen noch kein Gewaltmonopol durchgesetzt war. Der "Zivilisierungsmission" entsprach nicht selten eine rasante "Entzivilisierung", gerade wenn es zu Konflikten kam. Von Krieg zu Krieg, das zeigt der Band eindrucksvoll, wurden je nach technischem Vermögen und verfügbaren Mitteln immer neue Kriegstechniken erprobt. Stellten sie sich, wie etwa im Falle des Giftgases, als zu wenig erfolgreich heraus, wurden sie auch wieder fallen gelassen.
Bei der Lektüre der zehn Beispiele bestätigt sich Walters These, nach der die europäische Vorstellung eines "geregelten" Krieges, der gleichwertige Kombattanten in einem geordneten Verfahren gegeneinander führt, wohl eher als historische Ausnahmeerscheinung gesehen werden muss. Wenn fast jeder Beiträger auf "außergewöhnliche" oder "untypische" Umstände hinweist, steht die Möglichkeit einer Typologie des Kolonialkrieges grundsätzlich infrage. Die Kriegführung im Clausewitz'schen Sinne als eine Art von "Kunsthandwerk" war das immer nur vorläufige Ergebnis eines "jus publicum europaeum". Es wurde für die Kolonialgebiete schon dadurch ausgehebelt, dass in aller Regel von einem "Aufstand", einer "Krise", von "Wirren" oder "Expeditionen" gesprochen wurde. Da die Kombattanten in den Kolonialgebieten nicht als gleichwertig erachtet wurden, erschienen die Regeln eines "symmetrischen" Krieges auch nicht anwendbar zu sein. Alle Kolonialkriege waren daher von einer Propaganda begleitet, die den Gegner dehumanisierte und ihn mit Klischees versah, die sich selbst bestätigten. Umgekehrt wurde ein integrales Vorgehen gegen "Aufständische" durch die steigende Zahl an Kolonial- und Gewaltgegnern im Innern der kriegführenden Staaten erschwert. Dennoch konnten sich nominell unterlegene Guerillakämpfer durch flexible, mit dem Gelände besser vertraute Strategien immer wieder behaupten. Für die Kolonisatoren waren auch scheinbar erfolgreiche Feldzüge fast immer "Pyrrhussiege". Sie erforderten unverhältnismäßig hohe "Blutzölle" und zogen meist auch dann, wenn die Kriegsereignisse vor der "Weltöffentlichkeit" verborgen wurden, schwere Imageschäden nach sich.
Michael Hochgeschwender beginnt mit einer Übersicht zu den nordamerikanischen Indianerkriegen ab 1840. Sie sind über den Film derart stark in die populäre Imagination übergegangen, dass man sich fast wundert, hierüber einmal eine ernsthafte und ausgewogene Geschichtsdarstellung zu lesen. Er betont den modernen Rassismus als neue Komponente, der eine Ausrottung der "artfremden" Indianer durch das von Gott "auserwählte Volk" der Amerikaner nahe legte. Dabei war ihre angeblich so bedrohlich-nomadisierende Lebensweise erst durch die europäische Einfuhr von Pferden und Waffen zu einem Problem geworden. Thomas Morlang stellt die langwierige "Pazifizierung" Deutsch-Ostafrikas dar - ein Wort, in dem sich die ganze Gewaltsamkeit der Eroberung camoufliert. Doch stießen die Feldzüge auch im kolonialen "Mutterland" Debatten über den Sinn und Unsinn des Kolonialismus an. Frank Schumacher erinnert an den weithin vergessenen, doch langwierigen und opferreichen Krieg auf den Philippinen, mit dem die frühere Kolonie USA als junge Imperialmacht selbst in die Gewaltspiralen des Kolonialismus geriet. Als umso extremer wurde von vielen Amerikanern schon damals die Diskrepanz zwischen globalem Anspruch der USA und kolonialer Wirklichkeit empfunden. Thoralf Klein stellt den Boxerkrieg als seltenen Fall einer gemeinsamen "Strafaktion" der Imperialmächte dar, die mit einer demonstrativen Demütigung des chinesischen Quing-Reiches endete. Er verweist darauf, dass dabei "Zivilisation mit der Respektierung des in Europa entwickelten Völkerrechts gleichgesetzt" wurde (165). Cord Eberspächers Skizze des Burenkrieges beleuchtet einen Krieg "Weißer gegen Weiße", den die internationale Öffentlichkeit aufmerksam beobachtete und in mehrere Lager spaltete. Die Frontverläufe waren hier besonders unübersichtlich, die "Lehren" für nachfolgende Kriege besonders nachhaltig, etwa bei der Einrichtung von "Konzentrationslagern", aber auch bei der Rekrutierung von Soldaten.
Susanne Kuß schildert Ursachen und Verlauf der deutschen Kolonialkriege in Südwest- und Ostafrika (1904-1907), ohne sich allzu stark auf die Debatte um den "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" einzulassen. Und in der Tat sieht man diese These im Zusammenhang mit den übrigen Beiträgen sehr viel relativer. Ulrich Mücke verweist auf die spätkolonialen Auseinandersetzungen Spaniens im Norden Marokkos zwischen 1921 und 1927. Dieser letzte Ausläufer der "reconquista" führte seiner Ansicht dazu, während des Spanischen Bürgerkrieges koloniale Kampfmuster auf europäische Schauplätze zu übertragen: "Spanien wurde zur Kolonie seiner eigenen Armee" (271). Der italienische Eroberungsfeldzug in Ostafrika von 1935/36 ist Gegenstand von Giulia Brogini Künzis Ausführungen. Er wird in Afrika schon im Zusammenhang mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sowie als "international bedeutsamer Eckpunkt der Weltgeschichte" (289) erinnert. Dazu führt sie eine Reihe guter Gründe an.
Reinhard Zöllner vermittelt eine Übersicht der japanischen Aggressionen in Ostasien, insbesondere in China, zwischen 1931 und 1945. Diese scheinbar fernen Ereignisse weisen zu den europäischen Kolonialkriegen zahlreiche Ähnlichkeiten auf, gerade was die "zivilisatorische" Legitimation anbelangt. Auch war schon 1938 von einem "Holocaust" die Rede (305). Einmal mehr wird verdeutlicht, dass sich auf (ost-)asiatischen Schauplätzen noch manch überraschender Vergleich seiner Überprüfung harrt. Daniel Mollenhauer beschließt den Band mit einer kompakten Darstellung des Algerienkrieges, an dessen Nachwirkungen die Franzosen bis heute laborieren.
Was die in ihrer Qualität durchaus einheitlichen Aufsätze insgesamt wertvoll macht, ist wohl weniger ihr Beitrag zu einer vergleichenden Theorie des Kolonialkrieges. Vielmehr liefern sie Konstellationsanalysen zu den vielfältigen Anlässen, in denen die selbst ernannte "Zivilisierungsaufgabe" aus dem Ruder lief. Denn die Kolonisierten mussten als "unkalkulierbar" empfinden, was bei den Kolonisatoren oft geradezu irrational nah beieinander lag: die "Kulturmission", das "Brechen von Widerstand", die Empfindung von "Undankbarkeit", verletztes Ehrgefühl und die latente Angst einer Frontier-Gesellschaft in fremdem Gelände. Die Kolonisationsmethoden schwankten strukturell zwischen "Zuckerbrot" und "Peitsche", benevolente Entwicklung und brutaler Rassismus bildeten zwei Seiten derselben Medaille. Oft genügte ein geringfügiger Anlass, die jederzeit bestehenden Spannungen in den Kolonien zu Gewalt eskalieren zu lassen. Nach der Lektüre dieses sorgfältig edierten Bandes ist man geneigt, den Kolonialismus selbst als eine Art von "Kunsthandwerk" zu verstehen. Gelang es ihm doch mit oft lächerlich geringen Mitteln, weitläufige Gebiete informell zu durchdringen, riesige Bevölkerungen mit divide-et-impera-Methoden zu kontrollieren und zu "produktiver Arbeit" zu veranlassen. Im Falle eines Konflikts galt es freilich, mit allen Mitteln die einmal errungene Macht zu behaupten, sodass hier jede "Kunstfertigkeit" an ihr Ende gelangte.
Dirk van Laak