Rezension über:

Thomas Becker: Mann und Weib - schwarz und weiß. Die wissenschaftliche Konstruktion von Geschlecht und Rasse 1600 -1950, Frankfurt/M.: Campus 2005, 415 S., ISBN 978-3-593-37856-5, EUR 39,90
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Rezension von:
Norbert Finzsch
Anglo-Amerikanische Abteilung, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Maren Lorenz
Empfohlene Zitierweise:
Norbert Finzsch: Rezension von: Thomas Becker: Mann und Weib - schwarz und weiß. Die wissenschaftliche Konstruktion von Geschlecht und Rasse 1600 -1950, Frankfurt/M.: Campus 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 4 [15.04.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/04/8599.html


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Thomas Becker: Mann und Weib - schwarz und weiß

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Thomas Becker hat ein Buch vorgelegt, das sich einer ausgesprochen wichtigen Thematik widmet, und er hat es sich und seinen Leserinnen und Lesern nicht leicht gemacht. Die dicht geschriebene und gut belegte Untersuchung widmet sich der Frage, wie seit dem 17. Jahrhundert die "mediated categories" (Anne McClintock in "Imperial Leather") "Geschlecht" und "Rasse" durch Anthropologen, Biologen und Mediziner konstruiert und miteinander in Beziehung gesetzt worden sind, ohne dass diese Kategorien ineinander aufgehen. Die Intersektionalität beider Kategorien wird zwar seit einiger Zeit sowohl in der historiografischen wie in der soziologischen Forschung betont, doch fehlte es bisher an empirischen Studien der Genese des engen Zusammenhangs von Geschlecht und Rasse. Thomas Becker darf für sich beanspruchen, als erster diesem Zusammenhang in historischer Tiefenschärfe nachgegangen zu sein - und das allein verdient unseren Respekt. Als empirisches Feld dient Becker dabei die Geschichte Frankreichs im Geschichtszeitraum, auch wenn er gelegentliche Ausflüge in die deutsche und englische Geschichte unternimmt.

Das Buch gliedert sich in drei Großkapitel. Nach einer konzisen Einführung wendet sich der Verfasser dem Code im habitualisierten Blick der Anthropologen zu. Hier führt Becker vor allem die Idee der Biodizee ein, ein Begriff, den er bei seinen Leserinnen und Lesern voraussetzt, aber nicht umfassend erklärt. Becker meint damit nicht die Rechtfertigung des Lebens angesichts des leidhaften Charakters menschlicher Existenz - analog zur Theodizee - , sondern er bezieht sich auf die Rechtfertigung der unterstellten Überlegenheit einer menschlichen Gruppe über eine andere auf Grund der größeren Intelligenz und nennt diese Herleitung der Ungleichheit deshalb folgerichtig die "Biodizee der weißen Rasse".

Intelligenz und ihre Messung wird in der Folge zum Bindeglied zwischen Rassismus und Sexismus der frühen Neuzeit und der Moderne. Becker konstatiert im zweiten Großkapitel "Genealogie der abendländischen Biodizee der Macht" drei Phasen in der Entstehung des wissenschaftlichen Rassismus: der Rassismus der Intelligenz in einer ersten Phase (vor 1800) und seine Erweiterung durch die demokratische Modernisierung des Machtfeldes im Zuge der Französischen Revolution sowie nach 1820. Interessant ist der Rassismus der Intelligenz im Kontext der weiblichen Salonnière des 17. Jahrhunderts, in deren Salons der männliche Schwert- und der Robenadel aufeinander trafen. Einerseits begann - so Becker - die Aufklärung mit der Gründung der durch Frauen geleiteten Salons, andererseits wurden genau die Salons zu der Bühne, auf der der Rassismus der Intelligenz verhandelt wurde. Als Ergebnis dieser Verhandlung kann man - grob vereinfachend - von der Abschöpfung der weiblichen Emanzipation für eine Zentralisierung der Macht ausgehen. Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts war die kontinuierliche schriftliche Äußerung für Frauen nicht mehr möglich. Mit dem Auftreten der philosophes in den Salons des 18. Jahrhunderts veränderten sich auch die Wahrnehmung, die Beobachtungstechnik und die Visualisierung von Differenzen. Dies zeigt Becker meisterhaft am Beispiel der Medizin des 18. Jahrhunderts, wobei ihm hier der Enzyklopädist Denis Diderot als Muster gilt.

Der dritte Abschnitt des Buches thematisiert den "Kampf um die Energieressourcen des Lebens", will sagen, die Auseinandersetzung um den Logos des Lebens. Hier vor allem um das Verhältnis des Iatromechanismus und des Vitalismus zur naturwissenschaftlichen Beobachtungsmethode. Dies gipfelte im Akademiestreit zwischen Georges Cuvier und Étienne Geoffroy Saint-Hilaire. Was hat das nun mit dem Problem der gemeinsamen Genese von Sexismus und Rassismus zu tun, könnte man fragen. Die biologistische Herleitung der Frauen als im kindlichen Stadium des Mannes verhaftet führte laut Moreau de la Sarthe und anderen zu einem Mangel an Intelligenz, der mit einem Mangel an Intelligenz der nicht-weißen Rassen korreliere. Allerdings gebe es hier eine Gradation des Typs, der den "höherwertigen Rassen" einen größeren Unterschied in der Intelligenz zwischen den Geschlechtern zuwies. In der zweiten Phase des wissenschaftlichen Rassismus nach 1820 tauchte ein universalisierender Rassenbegriff auf, der mittels kultureller und sozialer Distinktionen funktionierte, die auf der Basis der Geschlechterdifferenz beobachtet wurden. Beckers komplexe These verkürzend könnte man sagen, dass der Sexismus chronologisch primär und der Rassismus sekundär gewesen ist.

Vieles gäbe es anzumerken, für das der Platz hier nicht ausreicht. Dem komplexen, teilweise hermetischen Text Beckers ist eine intensive Auseinandersetzung mit Michel Foucault und mit Pierre Bourdieu anzumerken. Foucaults Ansatz wird konsistent kritisiert, teilweise auch da, wo nur der ausgesprochenen Foucaultspezialistin/dem ausgesprochenen Foucaultspezialisten im Ansatz klar wird, um was es dem Verfasser geht. Der Text leidet zudem an einer mangelhaften Zuspitzung auf Thesen, die den Leserinnen und Lesern als Orientierungspunkte innerhalb der verwickelten Theoriedebatten des 17., 18. und 19. Jahrhunderts dienen könnten. Trotz seines Untertitels ist Beckers Buch besser, wo es um das 17. und 18. Jahrhundert geht. Der Rassismus/Sexismus des 19. und 20. Jahrhunderts bleibt blass und schemenhaft. Vornamen von historischen Figuren, Autorinnen und Autoren werden nur selten genannt - eine Unsitte, die nicht gerade zum besseren Verständnis beiträgt. Problematisch ist die Konzentration auf Frankreich, da aus dem französischen Beispiel eine allgemeine Gültigkeit der Beckerschen Ergebnisse für ganz (West-)Europa abgeleitet wird. Es ist dem Rezensenten allerdings klar, dass eine Herleitung anhand von englischen und deutschen Texten bei der demonstrierten Akribie und Belesenheit des Autors zu einer Verdreifachung des ohnehin umfangreichen Textes geführt hätten.

Überaus positiv ist zu bemerken, dass Thomas Becker in den teilweise eher eingestreut wirkenden Kapiteln zur "Geschichte der Niedertracht" oder den Bijoux Indiscrets von Diderot sowie "King Kong in der Hauptstadt des 19. Jahrhunderts" innerhalb eines kleinen Abschnitts eine ganze Welt entstehen lässt. Aus der Stofffülle dieser Beobachtungen und Analysen lassen sich Anregungen und Material für ganze Dissertationen gewinnen. Überhaupt ist dies eine exemplarische Arbeit, die zeigt, wie lohnenswert die Beschäftigung mit der intellectual history der frühen Neuzeit ist. Intellectual history ist denn auch die passendste Bezeichnung für das große, beeindruckende Werk Beckers: Als Bezeichnung einer Methode und als Bezeichnung ihres Autors.

Norbert Finzsch