Andreas Luther / Mischa Meier / Lukas Thommen (Hgg.): Das Frühe Sparta, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006, 224 S., ISBN 978-3-515-08635-6, EUR 36,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Martin Dreher: Athen und Sparta, München: C.H.Beck 2001
Stephen Hodkinson (ed.): Sparta. Comparative Approaches, Swansea: The Classical Press of Wales 2009
Stephen Hodkinson / Anton Powell (eds.): Sparta & War, Swansea: The Classical Press of Wales 2006
Lukas Thommen: Sparta. Verfassungs- und Sozialgeschichte einer griechischen Polis, Stuttgart: J.B. Metzler 2003
Thomas J. Figueira (ed.): Spartan Society, Swansea: The Classical Press of Wales 2004
David C. Yates: States of Memory. The Polis, Panhellenism, and the Persian War, Oxford: Oxford University Press 2019
Carlo Scardino: Gestaltung und Funktion der Reden bei Herodot und Thukydides, Berlin: De Gruyter 2007
Paul Cartledge: After Thermopylae. The Oath of Plataea and the End of the Graeco-Persian Wars, Oxford: Oxford University Press 2013
Andreas Luther (Hg.): Odyssee-Rezeptionen, Berlin: Verlag Antike 2005
Mischa Meier: Geschichte der Völkerwanderung. Europa, Asien und Afrika vom 3. bis zum 8. Jahrhundert n.Chr., München: C.H.Beck 2019
Lukas Thommen: Sparta. Verfassungs- und Sozialgeschichte einer griechischen Polis, Stuttgart: J.B. Metzler 2003
Die Geschichte Spartas ist in den letzten Jahren in den Fokus der althistorischen Debatte getreten. Der neue Band versteht sich als eine Sammlung von Beiträgen hierzu. Die Herausgeber wenden sich insofern an ein spezialisiertes Publikum, das mit dem Stand der aktuellen Forschung vertraut ist. Es geht ihnen nicht darum, einen kohärenten abschließenden Interpretationsentwurf vorzulegen, sondern um die Fortführung der Diskussion, und dies gelingt mit einer ganzen Reihe exzellenter Beiträge.
Zunächst gibt Thommen einen Überblick über den Forschungsstand zum frühen Sparta, in dem er auch die aktuellen Diskussionsstränge beleuchtet und die zentralen Beiträge nennt. Die Kürze und Prägnanz seiner Darstellung geht nicht zu Lasten der inhaltlichen Vollständigkeit (9 - 14). Im Anschluss untersucht er das vom frühen Sparta beherrschte Territorium. Er findet die spartanische Südexpansion durch die epische Tradition für das achte Jahrhundert v. Chr. bestätigt, wobei er die Ausbreitung nach Norden als nicht gesichert ansieht. Im späten achten Jahrhundert habe die Eroberung Messeniens begonnen, die sich aus adligen Privatfehden entwickelt habe, rasch aber die Dimension einer 'staatlich' organisierten Landnahme angenommen habe. Die "Überlegungen zur frühen Helotie in Lakonien" von Welwei schließen sich an. In Auseinandersetzung mit den Positionen von Birgalias und Luraghi, die davon ausgehen, dass die Helotie nicht aus der Unterwerfung Messeniens entstanden sei [1], entwickelt er folgendes Bild: Während des Zweiten Messenischen Krieges seien Heloten als eigene Schicht nachweisbar, die den Spartanern mit ihrer Arbeitskraft dienten, aber nicht wie Sklaven der Entsozialisierung ausgesetzt gewesen seien. Dieses System habe sich in einem längeren Prozess entwickelt, als nach der Expansion des Polisterritoriums eine andere Form der Sicherung notwendig geworden sei. Hervorzuheben ist, dass die Entstehung der Helotie nicht als einmalige Kollektivversklavung vorgestellt wird, sondern als langsamer Prozess, der in dünn besiedelten Landschaften eine allmähliche Durchdringung und Verschärfung der Herrschaft durch Sparta brachte.
Dreher beschäftigt sich in "Die Primitivität der frühen spartanischen Verfassung" mit der strittig diskutierten Frage, welchen Verfassungszustand die Große Rhetra spiegele. Dreher geht von einer Analyse des Eunomia-Gedichtes des Tyrtaios aus, in dem er keinen Hinweis auf eine Entscheidungsgewalt der Volksversammlung finden will. Die Rhetra interpretiert er entsprechend: Den letzten Satz versteht er so, dass es ein sofortiges Beendigungsrecht der spartanischen Autoritäten gebe, wenn die Volksversammlung "aufmüpfig" (58) zu werden drohe. Die Rhetra spiegele insofern eine "primitive" Verfassungsform, als es kaum formal festgelegte Entscheidungswege gegeben habe. Die ganze Situation müsse von der homerischen Gesellschaft her verstanden werden. Auch wenn die Frühdatierung der Rhetra und die Vorstellung einer noch nicht ausgeprägten Institutionalisierung und Formalisierung der spartanischen Verfassung plausibel erscheinen, wirkt der Zugriff, insbesondere im Vergleich mit dem Eunomia-Gedicht des Tyrtaios und der Thersites-Szene der Ilias, diskussionswürdig.
Danach wendet sich Massi dem Thema von "Recht und Rechtssprechung" in Sparta zu, er selbst zieht das Fazit, der Beitrag enthalte "mehr Fragen als Antworten" (71). Die wesentliche Erkenntnis ist die, dass der spartanische Prozess die athenische Unterscheidung zwischen Vorverfahren (Anakrisis) und Hauptverhandlung nicht kannte. Methodisch erscheint der Beitrag fragwürdig, wenn er etwa versucht, spartanische Prozesspraxis u.a. aus den platonischen Nomoi zu rekonstruieren. Hieran schließt Luther an, der sich dem Namen der Volksversammlung in Sparta widmet und diesen mit "Ekklesia" bestimmt. Während des Apellai-Festes habe die Versammlung stattgefunden, auf der die Ephoren gewählt worden seien, so dass möglicherweise von dieser Verbindung her die Entwicklung des Apella-Namens zu verstehen sei. Dies würde bedeuten, dass das Ephorat bereits zur Zeit der Rhetra eingeführt wäre.
In einem überzeugenden Beitrag geht Schmitz der Frage nach der "Macht über die Sprache" nach. Er zeigt, dass die lakonische Kürze charakteristisches Kennzeichen der spartanischen Gesellschaft bereits im fünften Jahrhundert v. Chr. war. Möglichkeiten einer offenen Diskussion oder einer kritischen Befragung wurden durch das in der Erziehung etablierte Ideal einer lakonischen Kürze unterbunden und dienten somit der Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung. Insbesondere sei so innerhalb der Generationen die Vorrangstellung der Älteren gegenüber den Jüngeren abgesichert worden. Schmitz zeichnet das Bild einer Polis, in der Politik nicht als Diskurs angelegt war, sondern in der autoritäre Muster das gesamte politische und soziale Leben durchzogen - gerade in dieser Perspektive gerät die Sprache und der Umgang mit ihr zu einer sehr politischen Kategorie.
In Abgrenzung von den Thesen seines Mitherausgebers Thommen [2], dass zentrale Charakteristika der spartanischen Ordnung erst im fünften Jahrhundert v. Chr. eingeführt worden seien, plädiert Meier in seiner Erörterung der Frage "Wann entstand das Homoios-Ideal in Sparta?" wieder für eine Frühdatierung. Er verortet die Entstehung in der Phase nach dem Zweiten Messenischen Krieg; in dieser Zeit sei es um die gemeinsame Behauptung der Herrschaft in Messenien gegangen. Dabei habe das Gleichheitsideal vor allem die Geschlossenheit der Spartiaten untereinander betont.
Im Anschluss gelingt es van Weis, den Eid von Plataiai in der inschriftlichen Überlieferung der Stele aus Archanai als im Kern spartanisch zu erweisen. Überzeugend legt er dar, dass nicht nur die Fachtermini der militärischen Organisation, sondern auch einzelne Formeln des Eides die spezifische Heeresorganisation Spartas in der Archaik widerspiegeln. Folgt man der auch in ihren Details schlüssigen Analyse, so bedeutet dies, dass die militärische Organisation des antipersischen 'Hellenenbundes' im Kern fast ausschließlich spartanisch war. Der Autor hält die inschriftliche Fassung, die von einer Vernichtung Thebens spricht, für die authentische und verwirft die literarische Überlieferung, welche die Bündner alle perserfreundlichen Städte zu 'zehnten' verpflichtet. Van Weis' Ausführungen bezüglich der eidlichen Verpflichtung, die medisierenden Staaten zu 'zehnten', gehen in die richtige Richtung, bedürfen aber einer Einordnung in das Problem der Beurteilung des Hellenenbundes als Symmachie. So ist zu klären, wie der Hellenenbund trotz dieses Eides gesonderte eidliche Verpflichtungen gegenüber der von Theben bedrohten Polis Plataiai einging; auch hätte man gern van Weis' Urteil über gegenteilige Forschungspositionen erfahren. [3] Dennoch ist sein Beitrag wegweisend für die Beurteilung des Eides von Plataiai.
Schließlich erörtert Baltrusch "Polis und Gastfreundschaft: Die Grundlagen spartanischer Außenpolitik" und betont, dass die externen Kontakte der Gesamtpolis den privaten im Rahmen einer Gastfreundschaft übergeordnet wurden. Für die spartanische Außenpolitik leitet er dann einen Kurswechsel unter Kleomenes ab, der eine isolationistisch geprägte außenpolitische Grundlinie durchgesetzt habe. Während die erste These überzeugt, steht die zweite auf tönernen Füßen. Es fehlen klare Belege für eine vorher anders ausgerichtete spartanische Außenpolitik und damit für einen Kurswechsel, auch scheint Sparta danach keine Politik nach dem Muster einer peloponnesischen Monroe-Doktrin betrieben zu haben. Das Eingreifen des Kleomenes auf Aigina belegt, dass der König auch vor einem größeren Konflikt, der das persische Reich miteinbeziehen konnte, nicht zurückschreckte. [4] Wenn der Autor dann das Eingreifen in den athenischen Machtkampf nach dem Sturz der Peisistratiden als Politik Spartas, nicht des Kleomenes interpretiert, um seine These von der "Kleomenes-Doktrin" (188) zu halten, wird es noch weniger überzeugend. Diese außenpolitische Leitlinie soll bis zum Ausbruch des Peloponnesischen Krieges Geltung gehabt haben. Letztlich ist Baltruschs These zu stark überspitzt. Spartas Außenpolitik orientierte sich eher am pragmatisch Machbaren (deswegen kein Eingreifen in Ionien), verfolgte aber Vorgänge nördlich der Peloponnes und schreckte vor einer Militärintervention keinesfalls zurück, man denke nur an das nachpeisistratidische Athen, an die Politik des Pausanias, diejenige während der Pentekontaetie oder an das Vorgehen in Plataiai zu Beginn des Peloponnesischen Krieges.
Zuletzt behandelt Rebenich anhand der Thermopylenschlacht "Das Sparta-Bild in der deutschen Altertumswissenschaft! Der knappe Beitrag ist ein gelungener Überblick über die deutsche Sparta- und Leonidas-Rezeption, der neben der umfassenden neuen Studie von Anuschka Albertz seinen Platz behaupten wird. [5]
Insgesamt liegen mit dem Sammelband mehrere vielseitige Studien vor, mit denen die Forschungsdiskussion um das frühe Sparta neue Impulse erhalten wird. Der Band ist als rundum gelungen zu bezeichnen.
Anmerkungen:
[1] Luraghi, N.: The Imaginary Conquest of the Helots, in: Luraghi, N./ Alcock, S. (Hrsg.): Helots and Their Masters in Laconia and Messenia. Histories, Ideologies, Structures, Cambridge/ London 2003, 109 - 141; Birgalias, N.: Helotage and Spartan Social Organization, in: Powell, A./ S. Hodkinson (Hrsg.): Sparta Beyond the Mirage, Swansea/ London 2002, 249 - 266.
[2] Vgl. insbesondere Thommen, L.: Sparta. Verfassungs- und Sozialgeschichte einer griechischen Polis, Stuttgart/ Weimar 2003.
[3] Thuk. 2, 71, 1; 72, 1. Leider setzt sich H. van Weis nicht mit der bemerkenswerten These von Kienast, D.: Der Hellenenbund von 481 v. Chr., in: Chiron 33 (2003), 43 - 77; hier: 72 Anm. 151 unter Verweis auf Diod. 11, 81, 3; Iustin. 3, 6, 10 auseinander, der von einer Aufnahme Thebens in den Hellenenbund ausgeht.
[4] Hdt. 6, 49f.; 61 - 65; 73; 85f.
[5] Albertz, A.: Exemplarisches Heldentum. Die Rezeptionsgeschichte der Schlacht an den Thermopylen vom Altertum bis zur Gegenwart, München 2006.
Michael Jung