Rezension über:

Gernot Michael Müller (Hg.): Das ehemalige Kollegiatstift St. Moritz in Augsburg (1019-1803). Geschichte, Kultur, Kunst, Lindenberg: Josef Fink 2006, 616 S., ISBN 978-3-89870-227-0, EUR 39,00
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Rezension von:
Dietmar Grypa
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Dietmar Grypa: Rezension von: Gernot Michael Müller (Hg.): Das ehemalige Kollegiatstift St. Moritz in Augsburg (1019-1803). Geschichte, Kultur, Kunst, Lindenberg: Josef Fink 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 5 [15.05.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/05/11958.html


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Gernot Michael Müller (Hg.): Das ehemalige Kollegiatstift St. Moritz in Augsburg (1019-1803)

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Das Kollegiatstift St. Moritz, das 1019 durch den Augsburger Bischof Brun, den Bruder Kaiser Heinrichs II., gegründet wurde, zählte bisher zu den kaum untersuchten Bereichen der Augsburger Kirchengeschichte. Der vorliegende, von Gernot Michael Müller herausgegebene Band versammelt insgesamt 29 Beiträge, die sich auf sechs Abschnitte verteilen. Er wartet mit zahlreichen neuen Erkenntnissen zur Geschichte und Kunstgeschichte des Stiftes auf.

Nach einem einführenden Aufsatz des Herausgebers, der dem Leser einen Überblick über die Geschichte des Stifts bietet und den Aufbau des Sammelbandes erläutert, folgen zwei einführende Beiträge, die sich der Geschichte der Stiftskirchen und der Säkularkanonikerstifte im Mittelalter (Sönke Lorenz) und in der Frühen Neuzeit (Stefan Benz) im Allgemeinen widmen. Der folgende Abschnitt besteht aus zwei Aufsätzen über die Anfänge der Verehrung des Heiligen Mauritius (Beat Näf) und ihrer Ausbreitung im Frühmittelalter (Hans Reinhard Seeliger). An die genannten fünf einführenden Beiträge schließt sich ein Komplex von elf Untersuchungen an, die sich mit einzelnen Aspekten der Geschichte und Kultur des Kollegiatstifts St. Moritz in Augsburg von seiner Gründung bis zu seiner Aufhebung 1803 beschäftigen. In einem vierten Abschnitt wenden sich dann zehn Aufsätze der Architektur- und Ausstattungsgeschichte des Kirchenbaus des Augsburger Säkularkanonikerstifts zu, wobei der Schwerpunkt auf der zum großen Teil zerstörten spätmittelalterlichen und barocken Ausstattung liegt. Zwei Beiträge über den Kirchenschatz des Stifts sowie eine Zusammenstellung der Pröpste, Dekane und Pfarrer von St. Moritz bis 2006 runden den Band ab, der durch ein gründliches Register mustergültig erschlossen wird. Einzig ein zusammenfassendes Quellen- und Literaturverzeichnis für die vielfältigen Einzelbeiträge vermisst man. Die Entscheidung, den Beiträgen jeweils eigene Verzeichnisse beizugeben, durch die man die in den Fußnoten nur gekürzt angegebene Literatur erschließen kann, erleichtert zwar die Benutzung im Hinblick auf den einzelnen Aufsatz, erschwert aber zugleich die Benutzung des Bandes als Ganzes.

Auf einige Beiträge des Bandes sei im Folgenden besonders verwiesen. Hervorzuheben ist generell, dass es dem Herausgeber gelungen ist, für alle Bereiche des Sammelbandes ausgewiesene Spezialisten als Bearbeiter zu gewinnen. So stammen etwa die Ausführungen über die Institution der Säkularkanonikerstifte in der Frühen Neuzeit aus der Feder von Stefan Benz (64-88), der gemeinsam mit Alfred Wendehorst ein Verzeichnis aller Säkularkanonikerstifte der Reichskirche zusammengestellt hat. [1] Wolfgang Wüst, der beste Kenner der Verwaltungsstrukturen des Augsburger Bistums in der Frühen Neuzeit, wiederum beschäftigt sich mit dem frühmodernen Regierungsstil im Kollegiatstift St. Moritz im Spiegel der Kapitelprotokolle (239-250). Peter Fleischmann, der Leiter des Staatsarchivs Augsburg, schildert das Ende des Stifts 1802/03 (303-314), wobei er auch auf das Archiv von St. Moritz eingeht, das heute im Staatsarchiv Augsburg verwahrt wird. Dessen Aufbau wird durch die Abbildung der graphischen Darstellung der fünf Archivschränke des Stifts aus dem Jahre 1674 besonders anschaulich illustriert (Abbildung 54-58). Helmut Gier, der Leiter der Staatsbibliothek Augsburg, der sich wiederholt mit der auf Augsburg bezogenen Reiseliteratur beschäftigt hat, beleuchtet das Bild des Stifts in den Reisebeschreibungen der Frühen Neuzeit (293-302).

Betont Gier auf Grund des Befundes in den Reiseberichten, "daß das Stift als religiöse und gelehrte Institution im Verhältnis zu anderen [sc. Institutionen in Augsburg; D.G.] doch wenig Ausstrahlung besaß" (294), so arbeitet Wolfgang E. J. Weber, der ausgewiesene Kenner der Augsburger Kulturgeschichte, in seinem Beitrag heraus, welche Bedeutung dem Propst Giovanni Battista Bassi (1713-1776) als führendem Vertreter der katholischen Reform im Hochstift Augsburg zukam (259-272). Dass sich dessen Bemühungen mit dem Begriff "Aufklärung" allein "jedoch kaum angemessen beschreiben" lassen (270), obwohl sich Bassi sogar um die Errichtung einer Akademie in Augsburg bemühte, verdeutlicht Weber durch eine Analyse der Zusammensetzung der Bibliothek des Propstes von St. Moritz. Sie lässt "keine dezidiert aufklärerischen, gar noch 'wolffianischen' Sammel- und Leseinteressen erkennen, sehr wohl aber, von deutlich barock-polyhistorischen und elitär-adeligen Tendenzen abgesehen, Erkenntnis- und Informationsbedürfnisse im Sinne der katholischen Reform" (267). Das von Weber gewählte lokale Beispiel veranschaulicht die allgemeinen Ausführungen von Benz, der die Lebendigkeit der Institution der Säkularkanonikerstifte in der Frühen Neuzeit betont und deutlich macht, wie sehr "aufklärerisches oder zumindest die Freiheit betonendes Denken bedeutende Teile der katholischen Eliten" in den Stiften des 18. Jahrhunderts prägte (80).

Besonders hervorgehoben werden muss die Ausstattung des Bandes. Dass das Stift bisher gerade in der kunsthistorischen Forschung der letzten Jahrzehnte kaum Aufmerksamkeit erfahren hat, lag nicht zuletzt an seiner weitgehenden Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Durch den Abdruck von umfangreichem, bislang unveröffentlichtem Bildmaterial (Zeichnungen, Radierungen, Stiche, Gemälde und zahlreiche schwarzweiße Aufnahmen aus der Zeit vor 1945) werden gerade im kunstgeschichtlichen Abschnitt des Buches verlorene Bauzustände der Kirche und des Stifts visualisiert. Darüber hinaus werden durch eine Vielzahl von exzellenten Farbaufnahmen die noch erhaltenen Kunstdenkmäler ihrer Bedeutung entsprechend ins Bild gesetzt. Die 242 Abbildungen des Bandes genügen, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, bei denen wohl bereits die Qualität der Vorlagen für den Druck unbefriedigend war (73, 74, 94, 114, 356-357, 362, 482, 484, 486, 488, 491), allerhöchsten Ansprüchen, so dass sich der vorliegende, im kleinen Allgäuer Verlag Josef Fink erschiene Band durchaus mit dem 2002 von Werner Schiedermair im Schnell und Steiner-Verlag herausgegebenen und mit meisterhaften Aufnahmen von Philipp Schönborn ausgestatten Prachtband über die Alte Kapelle in Regensburg, dem bedeutendsten heute noch bestehenden Kollegialstift, messen kann. [2]


Anmerkungen:

[1] Alfred Wendehorst / Stefan Benz: Verzeichnis der Säkularkanonikerstifte der Reichskirche (= Schriften des Zentralinstituts für fränkische Landesforschung und allgemeine Regionalforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg, Band 25), 2. Aufl., Neustadt an der Aisch 1997.

[2] Werner Schiedermair (Hg.): Die Alte Kapelle in Regensburg, Regensburg 2002.

Dietmar Grypa