Ardle MacMahon / Jennifer Price (eds.): Roman Working Lives and Urban Living, Oxford: Oxbow Books 2005, viii + 224 S., ISBN 978-1-8421-7186-8, GBP 20,00
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Die "einfachen" Leute, die den größten Teil der Bevölkerung in den Städten der römischen Welt darstellten, wurden von zeitgenössischen Wissenschaftlern meistens ignoriert und in den traditionellen Studien zur römischen Urbanistik übergangen. Erfreulich ist es deswegen zu sehen, dass das Forschungsinteresse an den Arbeitsverhältnissen der römischen Unterschicht und an sozialer Interaktion in den letzen Jahren merklich angestiegen ist. Ganz besonders trifft dies auf die angelsächsischen Altertumswissenschaften zu. Archäologen wie Janet DeLaine, Ardle MacMahon und Damian Robinson haben sich in ihren Arbeiten der Untersuchung des Zusammenspiels von Lebens- und Arbeitswelten der städtischen Unterschichten in Ostia und Pompeji gewidmet. Ausgehend von ihren Ausgrabungen in Pompeji an der Casa dei Postumi haben auch die deutschen Wissenschaftler Felix Pirson und Jens Arne Dickmann einen entscheidenden und viel zitierten Beitrag zur Erforschung des römischen Alltaglebens geleistet. "The social organisation of industry in the ancient city remains an area of scholary debate and controversy", [1] - und das nicht zuletzt, weil sie so eng mit dem Alltagsleben der einfachen Leute verbunden ist, dass weitere Untersuchungen nur voran kommen können, indem beide, Lebens- und Arbeitswelt, gleichwertig und als nicht von einander trennbar behandelt werden.
Das hier besprochene Buch entstand auf der Grundlage einer Tagung des Archäologischen Instituts der Universität Durham mit dem Thema "Roman Working Lives and Urban Living", die durch das "Centre for Roman Provincial Archaeology" ins Leben gerufen wurde. Die Beiträge gewähren einen Einblick in die neuesten Forschungen der Autoren und bieten einen Ausblick auf weitere Untersuchungen des römischen Handels- und Lebensraums. Dabei wird ein breiter geographischer Raum abgedeckt, der sich vom römischen Britannien über Rom und Ostia bis nach Pompeji und Herkulaneum erstreckt.
Die zwölf Beiträge sind in zwei Sektionen unterteilt. Die ersten fünf Aufsätze sind unter dem Titel "Urban living and the settings for working live" zusammengestellt. Die beiden Anfangsbeiträge distanzieren sich thematisch etwas vom diesem Oberthema. Der Artikel von Simon Esmonde Cleary analysiert Möglichkeiten zur Erforschung von alltäglichen Praktiken in römisch-britannischen Städten. Dabei geht er von der Prämisse aus, dass Rituale die urbane Topographie definieren. Dominic Perring diskutiert in seinem Beitrag die Verbindung zwischen Privatarchitektur und sozialem Diskurs in römischen Städten. Obwohl eher zur Thematik römischer Privathäuser gehörend, gibt der Autor hier einen interessanten Überblick. Der dritte Beitrag führt den Leser nach Ostia. Janet DeLaine behandelt das Wesen und die archäologischen Befunde kommerzieller Aktivitäten in der Stadt. Sie geht davon aus, dass der Handel aus privaten und zivilen Bedürfnissen resultiere und nicht auf staatlicher Einwirkung beruhe. Als nächstes folgen zwei Artikel des Herausgebers, Ardle MacMahon. Der erste gibt einen Überblick der Befunde von Läden und Werkstätten im römischen Britannien. MacMahon führt völlig zu recht an, dass sie eine "essential and integral component of the urban environment" seien und demonstriert, dass viele der Befunde weiterer und vor allem detaillierter Recherchen bedürfen. Der zweite Artikel behandelt sehr anschaulich die Tresen in den tabernae in Pompeji und Herkulaneum und erörtert im Detail ihre übliche Interpretation als Tavernen oder Kneipen. [2]
In der zweiten Sektion - "People at work: owners and artisans, crafts and professions" - beschäftigen sich die Autoren mit der sozialen Organisation von Produktion und Serviceaktivitäten in Pompeji. Damian Robinson widmet sich in seinem Beitrag der städtischen Produktion in Pompeji. Er umreißt damit ein komplexes Themenfeld, das über die letzten Jahrzehnte immer wieder zu Forschungskontroversen führte. Ein sehr interessantes Thema behandelt Shawn Graham, indem er neue Ansätze zum Verständnis der römischen Ziegelindustrie entwickelt und dabei den Fokus auf das Tibertal legt. Graham geht von einem Schiffstransport der Ziegel aus und folgert daraus, dass der Zugang zum Fluss von immenser Bedeutung für den kommerziellen Erfolg der Händler war. Die nächsten zwei Beiträge führen den Leser in das römische Britannien. Jenny Hall behandelt archäologische Zeugnisse von Industrie und Produktion, die sich im römischen London befinden. Während der Artikel dem Laien einen weiten Überblick gibt und viele Auszüge aus aktuellen Forschungen zitiert, fehlt es ein wenig an Analyse und Bezug zum Themenfeld der Lebenswelten der Händler und Handwerker, die im Buchtitel angesprochen werden. Der Beitrag von Jeremy Evans ist eine hoch spezialisierte Erörterung der Trends städtischer Keramikproduktion. Sein für in die Materie nicht Eingearbeitete schwer nachvollziehbarer Text beschreibt jedoch erfolgreich die Veränderungen in der Keramikverbreitung und betrachtet anschaulich die Unterschiede zwischen den Fundorten. Im Folgenden führt uns die Herausgeberin Jennifer Price mit einer eindrucksvollen Einleitung in die Welt der römischen Glasindustrie ein. Sie erörtert Produktion, Handel und Gebrauch von Glaswaren, beschränkt sich jedoch nicht auf ein Gebiet oder einen Zeitraum, sondern kombiniert alle Arten von Daten und Material, von archäologischen Funden bis zu Papyrustexten. Marina Ciaraldi untersucht die Bedeutung von Pflanzenresten für sozioökonomische Fragestellungen in der Geschichte Pompejis. Obwohl die Autorin von sehr wenig Material ausgeht und leider auch die literarischen Quellen vernachlässigt, ist das Beitragsthema eine anspruchsvolle Einführung, deren Ansätze zu weiteren Forschungen anregen. Der letzte Beitrag von Ralph Jackson behandelt auf anschauliche Weise die Heilpraktiken und das Leben von Heilern in der römischen Welt. Zum größten Teil auf literarischem Quellenmaterial basierend, rekonstruiert Jackson die praktische Arbeit und die medizinische Versorgung in römischen Städten.
So bieten die hier veröffentlichten Vorträge eine anregende Fundgrube für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich sowohl mit kommerziellen Strukturen in römischen Städten als auch mit deren sozialer Organisation beschäftigen. Bestehende Theorien zu sozialen Strukturen werden vorgestellt und mit neuen Ansätzen verknüpft. Durch das breite Spektrum an Beiträgen und durch die Vielfalt an Forschungsansätzen unterstreichen die Herausgeber die Fülle an Material und Einzelthemen, um ein Gesamtbild der Lebenswelt der römischen "working class" zeichnen zu können, das zu weiteren Forschungen ermuntern sollten. Während nur wenige Leser das Buch von Anfang bis Ende lesen werden, eignet es sich bestens für Studierende und Wissenschaftler zur Vertiefung des einen oder anderen Themenbereichs. So wird das vorliegende Werk nicht unbedingt zur privaten Anschaffung empfohlen, doch sollte es in keiner wissenschaftlichen Bibliothek fehlen.
Anmerkungen:
[1] D. Robinson, Re-thinking the social organisation of trade and industry in first century AD Pompeii, in dem hier besprochenen Band, 80-105, 88.
[2] Vgl. jüngst S.J.R. Ellis, The Pompeian bar and the city: defining food and drink outlets and identifying their place in an urban environment (Diss. Sydney 2005) sowie die im Entstehen begriffene Doktorarbeit der Verfasserin: Römische Gaststätten und Herbergen - Betrachtungen zum Gastronomiegewerbe in Pompeji, Herkulanum und Ostia.
Anna Kieburg