Beatrice Heuser: Clausewitz lesen! Eine Einführung (= Beiträge zur Militärgeschichte. Militärgeschichte kompakt; Bd. 1), München: Oldenbourg 2005, 269 S., ISBN 978-3-486-57743-3, EUR 19,80
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Das nachgelassene Werk des preußischen Generals Carl von Clausewitz ist zweifellos das bedeutendste Buch, das bislang über den Krieg verfasst wurde. Dennoch soll diese Rezension von Beatrice Heusers Einführung "Clausewitz lesen!" nicht mit einem der berühmten Zitate aus "Vom Kriege" beginnen, sondern mit einem Gedanken des Literaturwissenschaftlers Paul Fussell, der als Infanterist am Zweiten Weltkrieg teilgenommen hat: "Every war is ironic because every war is worse than expected. Every war constitutes an irony of situation because its means are so melodramatically disproportionate to its persumed ends." [1] Ohne direkt auf Clausewitz Bezug zu nehmen, stellt Fussells das wohl berühmteste Diktum des preußischen Generals infrage, dass nämlich der Krieg "eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" [2] sei. Der Erfahrungsraum, aus dem heraus Fussell spricht, ist durch die Perspektive der soldatischen Opfer des Zweiten Weltkriegs bezeichnet; es ist eine Perspektive von unten, die aber ihrerseits wiederum durchaus geeignet ist, Clausewitz' Beobachtungen zur Eskalationsdynamik von Kriegen zu illustrieren: "der Krieg ist ein Akt der Gewalt und es gibt bei der Anwendung derselben keine Grenzen; so gibt jeder dem anderen das Gesetz, es entsteht eine Wechselwirkung, die dem Begriff nach zum äußersten führen muß".
Wie Beatrice Heuser aufzeigt, leitete Clausewitz aus der Erfahrung der napoleonischen Kriege zunächst das Konzept eines "idealen Krieges" ab, der, vom Ziel der Vernichtung der feindlichen Streitkräfte geleitet, allein seiner inhärenten Eskalationsdynamik gehorcht. Bei der Betrachtung der älteren Kriegsgeschichte musste Clausewitz allerdings feststellen, dass in einer Vielzahl von Kriegen der Eskalationsprozess weit weniger intensiv verlaufen war, als dies das Konzept des "idealen Krieges" hätte vermuten lassen. Er erkannte nun in den politischen Zielen der Kriegsparteien eine wesentliche Voraussetzung für den spezifischen Charakter eines bestimmten Krieges: "Gehört der Krieg der Politik an, so wird er ihren Charakter annehmen. Sobald sie großartiger und mächtiger wird, so wird es auch der Krieg, und das kann bis zu der Höhe steigen, wo der Krieg zu seiner absoluten Gestalt gelangt." In den Kriegen Napoleons sah Clausewitz nicht mehr länger den "Normalkrieg", sondern eine ins scheinbar Unpolitische abdriftende Sonderform des Staatenkonflikts: "je mehr die Frage gegenseitig auf Sein und Nichtsein gestellt ist, umso mehr fällt Politik und Feindschaft zusammen, umso mehr geht jene in dieser auf, umso einfacher wird der Krieg, umso mehr geht er aus den bloßen Begriffen der Gewalt und Vernichtung hervor, umso mehr entspricht er allen Forderungen, die man aus diesen Begriffen logisch entwickeln kann".
Beatrice Heuser beschränkt sich indessen nicht darauf, Clausewitz unvollendet gebliebenes Werk lesbar zu machen, sie zeichnet auch dessen Rezeptionsgeschichte bis in die unmittelbare Gegenwart nach. Sie zeigt dabei auf, wie sich gerade in der deutschen militärischen Tradition die Tendenz durchsetzte, den politischen Charakter des Krieges zugunsten seiner im Dogma der Vernichtungsschlacht kulminierenden Eigenlogik zu marginalisieren. Diese Radikalisierung der Kriegstheorie war allerdings nicht nur einer oberflächlichen Lektüre von Clausewitz' Werk geschuldet, sie wurzelte auch in den Erfahrungen, die die preußisch-deutschen Militärs in der zweiten Hälfte des Krieges von 1870/71 mit der totalen Mobilmachung der III. Französischen Republik gemacht hatten. [3] So wies der britische Seestratege Sir Julian Corbett bereits vor dem Ersten Weltkrieg in seiner Auseinandersetzung mit Clausewitz zu Recht darauf hin, dass sich in einem kontinentalen Konflikt zwischen benachbarten Nationalstaaten begrenzte, den Krieg einhegende politische Ziele kaum würden durchhalten lassen. Corbett stellte vielmehr fest, dass "ein beschränkter Krieg dauerhaft nur von Inselmächten oder zwischen Mächten geführt werden kann, die durch die See voneinander getrennt sind, und auch nur, wenn die Macht, die den beschränkten Krieg wünscht, die See so weit beherrscht, daß sie nicht nur in der Lage ist, das weit entfernte Ziel zu isolieren, sondern auch die Invasion ihres eigenen Territoriums zu verhindern." (162).
Fragen der Eskalation und der Begrenzbarkeit von Kriegen bildeten schließlich eines der Leitmotive der westlichen Clausewitz-Rezeption während des Kalten Krieges. In der UdSSR brach dagegen immer wieder die Diskussion um die Frage auf, ob der Krieg auch im Atomzeitalter noch eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sein könne. Während das sowjetische Militär Clausewitz' Diktum fortwährende Gültigkeit zuerkannte, dekretierte Gorbačev 1987, dass "ein Kernwaffenkrieg" kein Mittel mehr sein könne, "um politische, ideologische oder wie auch immer geartete Ziele zu erreichen" (189). Das Paradox des Kalten Krieges bestand letztlich in der von Clausewitz beschriebenen Eskalationsdynamik: Keine der Strategien der beiden Seiten vermochte die Gewähr dafür zu bieten, dass sich die andere Seite im entscheidenden Augenblick einer militärischen Konfrontation mit ihrer Niederlage abfinden würde, anstatt weiter bis zum Äußersten zu gehen. Der ideologische und politische Konflikt ließ sich also nur insoweit austragen, wie die Vermeidung eines direkten militärischen Zusammenstoßes von NATO und Warschauer Pakt gewährleistet blieb. In der Peripherie schloss dies den Einsatz militärischer Gewalt durchaus ein: In Korea und Vietnam kämpften amerikanische Soldaten gegen von der UdSSR munitionierte kommunistische Armeen; in Afghanistan sah sich dagegen die Sowjetarmee einem von den USA unterstützten Volkskrieg gegenüber. In allen drei Fällen bedienten sich die Kernwaffenmächte USA und UdSSR des Krieges als Mittel zur Fortsetzung ihrer Politik. Andererseits schreckte das mächtige sowjetische Kernwaffenarsenal nicht einmal Pakistan davor ab, den afghanischen Widerstandsgruppen sein Territorium als sicheres Hinterland zur Verfügung zu stellen und sich auf diese Weise zumindest indirekt an den Kriegshandlungen im Nachbarland zu beteiligen.
Für Beatrice Heuser liegt Clausewitz' anhaltende Relevanz in dem analytischen Handwerkszeug begründet, das er hinterlassen hat: "[I]ndem er uns lehrte, nach den Funktionen und Variablen Ausschau zu halten, die die Natur aller Kriegführung bestimmen, lehrte er uns, wie man den Krieg analysieren kann". In ihrer Rezeptionsgeschichte zeigt sie überdies, dass die zum Teil harsche Kritik an Clausewitz zumeist auf einer unvollständigen oder gar schlampigen Lektüre seines Werkes beruht. Clausewitz "Vom Krieg" kann mithin als eines der grundlegenden Werke der empirischen Sozialwissenschaften gelten. Dass ein solches Buch bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfasst werden konnte, ist weniger erstaunlich, als es einer zur Überheblichkeit neigenden Gegenwart vielleicht erscheinen mag, denn die Kriegführung ist, wie der Anthropologe Harry Holbert Turney-High 1949 feststellte, "die älteste und erfolgreichste Sozialwissenschaft der Menschheit". [4] Mit ihrem Band, der der Gattung des angelsächsischen Universitätslehrbuchs zuzurechnen ist, hat Beatrice Heuser nun eine überaus nützliche Lesehilfe zum Werk des preußischen Generals verfasst, die insbesondere all jenen Berufsständen zu empfehlen ist, die Clausewitz' Thesen kennen sollten, ohne die Zeit zu haben, dessen mitunter verwirrendes Werk wirklich zu durchdringen.
Anmerkungen:
[1] Paul Fussell: The Great War and Modern Memory, Oxford u. a. 1975, 7.
[2] Alle Clausewitz-Zitate sind dem besprochenen Band entnommen.
[3] Vgl. dazu Robert T. Foley: From Volkskrieg to Vernichtungskrieg. German concepts of warfare, 1871-1935, in: War, Peace and World Orders in European History, hrsg. von Anja V. Hartmann und Beatrice Heuser, London / New York 2001, 214-225.
[4] Harry Holbert Turney-High: Primitive War. Its Practice and Concepts, 2. Auflage, Columbia / South Carolina 1991, XV.
Michael Ploetz