Anne Bernou-Fieseler / Fabien Théofilakis (Hgg.): Das Konzentrationslager Dachau. Erinnerung, Erlebnis, Geschichte, München: Martin Meidenbauer 2006, 345 S., ISBN 978-3-89975-058-4, EUR 39,80
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Der 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau war Anlass für ein internationales Kolloquium im April 2005 in München: Unter der Schirmherrschaft des französischen Außenministeriums und des Auswärtigen Amts hatten der französische Historiker Fabien Théofilakis und seine Kollegin Anne Bernou-Fieseler Zeitzeugen und Wissenschaftler zu einer gemeinsamen Veranstaltung zusammengeführt - keine Selbstverständlichkeit, wie die Herausgeber in ihrem Geleitwort selbst betonen, sondern eine Herausforderung sowohl für die ehemaligen Deportierten wie die geladenen Referenten.
Nicht die Geschichte der deportierten Juden, sondern die Geschichte der deportierten französischen Widerstandskämpfer stand im Mittelpunkt der Veranstaltung und damit des vorliegenden Sammelbandes. Damit reagieren die Herausgeber auf die zunehmende Verdrängung der politischen Deportation im Gedächtnis der Nationen zugunsten der jüdischen Verfolgten seit den 1970er-Jahren. [1] Den deportierten Résistance-Kämpfern den ihnen zustehenden Platz im kollektiven Gedächtnis wiederzugeben - sowohl in Frankreich als auch in Deutschland -, dazu möchte der vorliegende Sammelband einen Beitrag leisten.
Versammelt haben die Herausgeber in ihrem Band die Beiträge der Dachauer Tagung, gegliedert in sechs große Themenkomplexe: Die Gedenkstätte Dachau und die französischen Erinnerungsorte an die Deportation stehen im Mittelpunkt der ersten Sektion; die heterogene Gruppe der rund 8.500 französischen Dachau-Häftlinge - Kommunisten und andere Widerstandskämpfer, Fremdarbeiter und Geistliche - wird im zweiten Teil ausführlich vorgestellt; anschließend kommen die ehemaligen Deportierten selbst zu Wort - darunter der Vorsitzende des Internationalen Komitees Dachau, General André Delpech - und ergänzen die einleitend vorangestellten "Geschichten aus Dachau" von Joseph Rovan, dem französischen Intellektuellen deutsch-jüdischer Herkunft, zu einem vielstimmigen Erfahrungsbericht. Das Lager und seine Befreiung werden im vierten Abschnitt analysiert, insbesondere auch die überlieferten Filmdokumente. Die Beiträge des fünften Teils setzen sich mit der französischen Erinnerung an die Deportation auseinander. Im Mittelpunkt des sechsten und letzten Abschnitts steht die Frage nach dem Umgang mit den überlieferten Kunstwerken, Zeichnungen und anderen Bildern, die in den Konzentrationslagern entstanden sind.
Damit richtet der Sammelband die Aufmerksamkeit auf bislang noch unzureichend erforschte Bereiche der deutsch-französischen Geschichte seit 1940: Während der Kriegsverlauf und die Kollaboration gründlich untersucht, die wirtschaftliche Kooperation und die politische Zusammenarbeit vor und nach dem Elysée-Vertrag detailverliebt ausgeforscht wurden, fristeten die Zeitzeugen und ihre unbequemen Erinnerungen vielfach ein geschichtspolitisches Nischendasein. Wer weiß in Deutschland um die Berufs- und Altersstruktur und die Haftgründe der französischen Dachau-Häftlinge (Barbara Vormeier)? Wer kennt die französischen Deportiertenorganisationen, welche oftmals bis heute Bestand haben, und weiß um ihre Anliegen (Sarah Gensburger)?
Über den wissenschaftlichen Nutzen von Zeitzeugenberichten ist an anderer Stelle schon viel gestritten worden und die Geschichte des Lagers Dachau ist bereits intensiv erforscht. [2] Für das deutsche Publikum von besonderem Interesse sind deshalb vor allem jene Beiträge, welche kompetent und präzise über die Lebenswirklichkeit der französischen Häftlinge und ihre Erinnerung an die Deportation informieren, so zum Beispiel in den Referaten von Olivier Lalieu und Jean-Marc Dreyfus: Während Studien zu den französischen Internierungslagern und zur Rückkehr der Deportierten in französischer Sprache bereits seit längerem vorliegen, wird der Leser hier erstmals in deutscher Sprache über den aktuellen Forschungsstand informiert.
Damit leistet der Sammelband, der zugleich in Paris in französischer Sprache erschienen ist, eine wichtige kulturelle Transferleistung. Als Erstinformation sind die einschlägigen Beiträge für ein wissenschaftliches Publikum von Interesse; sie richten sich darüber hinaus insbesondere an Lehrkräfte und andere Multiplikatoren im Bereich der politischen Bildungsarbeit, die sich kompetent informieren lassen möchten über die spezifisch französische Erinnerung an Dachau und die Folgen der Deportation für das Leben der Betroffenen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu ausführlich die Beiträge im Katalog zur gleichnamigen Ausstellung: Mythen der Nationen. 1945 - Arena der Erinnerungen, hrsg. von Monika Flacke, 2 Bde., Berlin 2004.
[2] Vgl. Sybille Steinbacher: Dachau - die Stadt und das Konzentrationslager in der NS-Zeit. Die Untersuchung einer Nachbarschaft, Frankfurt am Main u.a. 1993.
Claudia Moisel