Horst Möller / Udo Wengst (Hgg.): Einführung in die Zeitgeschichte, München: C.H.Beck 2003, 335 S., ISBN 978-3-406-50246-0, EUR 19,90
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Bücher, die den Begriff "Einführung" im Titel tragen, erlegen sich meist die schwierige Aufgabe auf, einen Einblick für unterschiedliche Zielgruppen geben zu wollen. Im Vorwort stößt der Leser oft auf die Formulierung, das Buch sei für Studienanfänger ebenso geeignet wie für Lehrende und Forschende, die eine kompakte Zusammenfassung des Themas suchen. Häufig sind dann jedoch die jeweiligen Leser enttäuscht, weil die Darstellung für Studienanfänger zu viel Vorwissen beinhaltet oder umgekehrt erfahrenen Akademikern zu wenig Neues bietet. Das Buch "Einführung in die Zeitgeschichte" definiert sein Publikum breit und richtet sich "an alle, die sich über das Fach und seinen Gegenstand gezielt und komprimiert informieren wollen" (11). Die Autoren sind Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte in München und Berlin, und die Arbeit dieses Forschungsinstituts spiegelt sich auch im Buch wider.
Den allgemeinen Titel kann man daher in zweifacher Hinsicht eng führen. Zum einen handelt es sich hierbei vor allem um eine Einführung in die deutsche Zeitgeschichte. So behandelt der methodische Aufsatz "Was ist Zeitgeschichte?" von Horst Möller grundsätzliche Begriffe, die Herausforderung von Periodisierungen, die Bedeutung von Zäsuren wie 1945 und 1989/90 oder Forschungskontroversen - nach einem knappen Ausblick auf England und Frankreich - hauptsächlich am Beispiel Deutschlands. In diesem Zusammenhang diskutiert er auch die Veränderungen, die sich gerade für die jüngste Zeitgeschichte angesichts der Erschließung neuer Quellen und Quellentypen ergeben und vermerkt den Bedeutungswandel, dem traditionell gewichtige Textsorten unterworfen sind: "Die Politikerrede - noch zu Zeiten Bismarcks, Stresemanns, Eberts und Adenauers eine bedeutsame Quelle - ist heute meist ein Produkt von Ghostwritern: Sie prägen die Form der Aussage und oft auch die Inhalte mit, die Texte sind also für den Redner, der nur noch ausnahmsweise der Autor ist, lediglich bedingt aussagekräftig" (50). Die thematische Darstellung deckt sich zeitlich mit dem Schwerpunkt des 1949 ursprünglich zur Erforschung des Nationalsozialismus gegründeten Instituts, das sich heute mit dem Zeitraum von 1917 bis 1989 beschäftigt. Dieser wird in drei Kapiteln vorgestellt.
Manfred Kittel beschreibt ausgehend von den Pariser Vorortverträgen, welche er als das "Schicksalsdokument der Epoche" bezeichnet (98), die Zwischenkriegszeit bis zum Ende der Weimarer Republik. Eine notwendigerweise knappe, aber präzise Beschreibung der Probleme der jungen Republik - Inflation, Arbeitslosigkeit, Veränderung der Gesellschaft, aufkommende Massenmedien - wird ergänzt durch eine Einbettung Weimars in den Kontext der verschiedenen politischen Ordnungsmodelle Europas in den 1920er-Jahren. In der Gegenüberstellung der jungen Diktaturen in Ost- und Südeuropa, des aufsteigenden Faschismus unter Mussolini und der liberalen Systeme Mitteleuropas und der USA wird der deutsche Fokus um seinen internationalen Kontext erweitert.
Volker Dahm beginnt seine Darstellung über NSDAP, "Drittes Reich" und Zweiter Weltkrieg mit einem Überblick über Hitlers Ideologie und die nationalsozialistische Weltanschauung und ihre geistigen Vorläufer. Anschließend widmet er sich den zentralen Etappen zur Machtergreifung Hitlers und Gleichschaltung, dem inneren Aufbau des NS-Staates und der Judenverfolgung; auch die Darstellung des Zweiten Weltkriegs ist größtenteils auf Deutschland bezogen. Zur Abrundung findet sich ein kompakter Überblick zum deutschen Widerstand.
Der Artikel von Udo Wengst schließlich deckt den chronologisch längsten Zeitabschnitt vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Wiedervereinigung Deutschlands ab. Der internationale Kontext der Geschichte der beiden deutschen Staaten als Ort des Zusammentreffens der Machtblöcke ist in diesem Teil am stärksten herausgearbeitet. Wengst zeichnet insbesondere die Außenpolitik und die bilateralen Beziehungen der Bundesrepublik und der DDR nach, einen Vergleich der beiden deutschen Staaten zieht er bei der Schilderung der jeweiligen Gesellschaft und politischen Kultur. Vor dem Hintergrund der Reformen Gorbatschows und des Niedergangs der kommunistischen Systeme Osteuropas skizziert er den Weg zur Wiedervereinigung und konstatiert den Wandel der Weltpolitik, der die USA als "alleinige Weltmacht" (226) aus dem Kalten Krieg hervorgehen lässt.
In ihren essayistischen Darstellungen verzichten die Autoren auf Fußnoten, sondern geben stattdessen jeweils zu ihrem Feld einen ausformulierten Literatur- und Forschungsüberblick, in dem sie die einschlägigen Überblickswerke und Forschungskontroversen darstellen. Insofern ist das Buch auch eine Einführung in die Forschung zur Zeitgeschichte. Kästen zu wichtigen Forschungskontroversen wie etwa zur Bracher / Conze-Debatte über die Regierung Brüning, zu Hitlers Rolle in der Judenvernichtung oder zur Vergangenheitsbewältigung in der Bundesrepublik ergänzen die Darstellung. Dabei werden die jeweils zentralen Meinungen der beteiligten Forscher zitiert, sodass auf engem Raum die relevanten Standpunkte versammelt sind. Die Betonung des Forschungsaspekts zeigt sich auch an den praktischen Hilfsmitteln zum wissenschaftlichen Arbeiten, etwa in der kommentierten Zusammenstellung von Adressen der einschlägigen Universitäten, Archive, Bibliotheken und Internetquellen. Diese können vor allem Studienanfängern als Orientierung dienen, wo und wie in Deutschland Zeitgeschichtsforschung betrieben wird. Sie liefern aber auch dem Forscher eine Möglichkeit der schnellen Konsultation.
Weiterhin ist dem Buch das Bemühen um Benutzerfreundlichkeit anzumerken. Die Autoren schreiben verständlich, um das anvisierte breite Publikum zu erreichen, bleiben dabei aber erfreulich präzise. Zusammenfassungen und Randnotizen erleichtern den schnellen Zugriff, drei Karten - in vielen wissenschaftlichen Publikationen leider allzu oft Mangelware - ergänzen die Texte. Auf verschwenderische Ausstattung hat der Verlag verzichtet, um den studentenfreundlichen Preis zu ermöglichen. Die "Einführung in die Zeitgeschichte" ist also pointiert als "Einführung in die deutsche Zeitgeschichtsforschung" zu verstehen. Wer sich mit europäischen oder außereuropäischen Themen beschäftigen will, wird daher auf andere Literatur ausweichen müssen. Auch Studenten, die sich mit den Methoden wissenschaftlichen Arbeitens allgemein vertraut machen wollen, kommen hier nicht auf ihre Kosten. In seiner thematischen und formalen Tiefenbohrung schöpft das Werk jedoch aus der langjährigen Kompetenz des Instituts für Zeitgeschichte. Innerhalb seines Schwerpunkts kann es daher weitgehend den oft so heterogenen Ansprüchen von Studierenden und Lehrenden gerecht werden.
Patricia Hertel