Karen Piepenbrink: Das Altertum (= Grundkurs Geschichte), Stuttgart: W. Kohlhammer 2006, 252 S., ISBN 978-3-17-018971-3, EUR 20,00
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Die schlichte Auflistung der auch nur in den letzten Jahren erschienenen Kurzdarstellungen der antiken Geschichte und Einführungen in diese Epoche würde inzwischen mehr als eine Seite erfordern. Neben den in der Tat von der Schule her kaum noch vorhandenen Vorkenntnissen werden vermehrt auch die neuen Studienbedingungen in den gestuften und modularisierten Studiengängen als Begründung genannt, so auch im Band von Karen Piepenbrink, der als erster in einem auf sechs Bände angelegten "Grundkurs Geschichte" erscheint. Geschlossen werden soll die Lücke zwischen Schulgeschichtsbuch und wissenschaftlichem Handbuch.
Das Paperback trägt den gleichen Titel wie ein vor Jahren erschienenes, leider weitgehend missglücktes Sammelwerk, das eine ähnliche Zielsetzung verfolgte.[1] Anders als dieses behandelt Piepenbrink aber nur die griechische und römische Antike; der Alte Orient und die zumal für die Griechen so wichtigen 'Randkulturen' sind ganz ausgeblendet. So kommen die Perser auf die Bühne wie Kai aus der Kiste, der Barbarenbegriff wird weder historisch hergeleitet noch gar problematisiert, der Hellenismus als ein erstes Zeitalter der Globalisierung kann so keine Kontur gewinnen (er kommt mit vierzehn Seiten gegenüber deren 44 für das archaische Griechenland auch zu knapp weg; solche Proportionen gehen in einem Buch für Schüler an, nicht aber in einem Studienbuch). Um nicht missverstanden zu werden: Es gibt gute Gründe für eine 'klassizistische' Beschränkung auf die Antike - wie auch solche dagegen.[2] Aber sie müssten benannt und reflektiert werden.
Statt dessen bietet das Buch eine sachlich zwar korrekte, nach Auswahl und Gewichtung freilich äußerst konventionelle chronologische Darstellung mit dem Schwerpunkt auf der so genannten Politischen Geschichte und der Verfassungsgeschichte. Von anderen Werken dieser Art unterscheidet sich der Bericht lediglich dadurch, dass individuelle Akzentsetzungen und Wertungen hier noch mehr als sonst vermieden sind. Als Neuerung mag das schematische, kein 'Umschalten' erfordernde Layout gelten: Auf jeder Doppelseite steht links der fortlaufende Darstellungstext (insgesamt also nur 120 Seiten), die ungeraden Seiten sind reserviert für Karten (nicht selten zu stark verkleinert), Abbildungen, Quellenzitate und Begriffserklärungen. Zu den Bildern und Quellen fehlt jede Erläuterung; es gibt keine Information zu den zitierten antiken Autoren, keinen Hinweis, wo man diese nachschlagen könnte, und viel Platz ist verschenkt, weil oft eine halbe Seite oder noch mehr leer bleibt. Der Umschlagtext nennt die mykenische Zeit und das Ende des weströmischen Kaisertums - wohl aus Gründen der Bekanntheit - als zeitliche Begrenzungen, während die Autorin richtigerweise mit Bemerkungen zur "Herausbildung der Griechen" beginnt und am Ende in einem Ausblick die Zäsuren 568 und 1453 wenigstens noch nennt. Nicht nur an diesem Detail scheint auf, dass die grundlegenden Mängel des Bandes wohl nur zum kleineren Teil der Autorin anzulasten sind.
Es erscheint mir sehr fraglich, ob dem Wissensvakuum der angepeilten Leserschaft durch solche Bücher abzuhelfen ist. Das vorliegende bietet keine Fragen, keine Quellenkritik, keine Schule des Sehens, es vermittelt kein Bewusstsein für die brüske Distanz, die uns in vielem von der Antike trennt - und für die bestürzende Aktualität dieser Epoche. Statt dessen ein gleichmäßig dahinfließendes Destillat aus Fakten und gängigen Deutungen, "sprachlich auf Studienanfänger zugeschnitten", wie es im Herausgebervorwort heißt. Das bedeutet im Klartext: Der gesamte Text ist im Präsens gehalten, Nebensätze sind weitgehend vermieden. Kein "So oder so war es", auch kein "So ist es eigentlich gewesen", sondern ein "So ist es!" Die Rhetorik der Faktizität lässt Fragen, Ambivalenzen, Ungewissheiten nicht mehr zu, reißt keine Horizonte auf, ermutigt nicht zu Vergleichen. Und sage niemand, diese Vertiefungen, das eigentlich Wissenschaftliche an der Geschichte, kämen in anderen Formaten und Kontexten zu ihrem Recht, dieses Buch solle lediglich eine Basis legen, und überdies sei ja noch ein gesonderter Band "Methoden und Theorien" geplant. Wir sollten uns messen und dereinst auch richten lassen nach den Büchern, die wir den jungen Leuten in die Hand geben. Jedes gelesene Buch formt ein Stück weit den Habitus, die Art, einen so komplexen Gegenstand wie die Geschichte wahr- und anzunehmen. Und die auf den ersten Blick so einleuchtende Forderung, die Studierenden dort abzuholen, wo sie zu Beginn stehen, kann doch nicht heißen, ihnen ein Buch zu studieren zu geben, das mit Studium nichts zu tun hat, sondern eher geeignet ist, die intellektuelle Verelendung, die mit den sog. BA-Studiengängen in den Geisteswissenschaften nicht nur akzeptiert, sondern auch institutionalisiert worden ist, noch weiter zu befördern. Es genügt, wenn Hochschulleitungen im Verbund mit so genannten Experten, Bildungsökonomen und ebenso geldgierigen wie ahnungslosen Akkreditierungsagenturen die Zerstörung der verbliebenen Fundamente der Universität betreiben, um auf deren Trümmern Exzellenzobergeschosse zu errichten. Geschichte existiert im lebendigen Geist und im wirksamen Wort. Sie muss erschlossen werden als ein Geflecht von Tatsachen und Problemen, die nach den Regeln von Logik, Argumentation, Quellenkritik und Perspektivierung transparent zu machen sind. Und sie ist ein Ganzes, dessen Sinn und Bedeutung am Ende nur in einer ästhetisch geformten Erzählung zum Strahlen gebracht werden kann. Den Studierenden gerade am weichenstellenden Beginn beides vorzuenthalten kann - bei allen guten Absichten und aller Solidität im Faktischen - nicht der richtige Weg sein.
Anmerkungen:
[1] E. Erdmann / U. Uffelmann (Hgg.): Das Altertum. Vom Alten Orient zur Spätantike, Idstein 2001; vgl. J. Schmitz, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=1702&type=rezbuecher.
[2] Zuletzt mit Verve J. Cobet, Alte Geschichte, in: Aufriß der Historischen Wissenschaften, Band 1: Epochen, hg. von M. Maurer, Stuttgart 2005, 14-105.
Uwe Walter