Klaus Nass (Hg.): Die Reichschronik des Annalista Saxo (= Monumenta Germaniae Historica. Scriptores; Bd. XXXVII), Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2006, XXIX + 752 S., ISBN 978-3-7752-5537-0, EUR 125,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Martina Giese: Die Textfassungen der Lebensbeschreibung Bischof Bernwards von Hildesheim, Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2006
Michael Kleinen: Bischof und Reform. Burchard II. von Halberstadt (1059-1088) und die Klosterreformen, Husum: Matthiesen 2004
Toni Diederich: Siegelkunde. Beiträge zu ihrer Vertiefung und Weiterführung, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2012
Mit den ehrwürdigen Folianten der Scriptores hatten die Monumenta Germaniae Historica 1826 eine Reihe begonnen, in der Geschichtsschreiber zur deutschen Nationalgeschichte ediert wurden, so wie man Nationalgeschichte aus dem Geist der Romantik verstand und so wie man die gerade entwickelten Standards historisch-kritischen Edierens damals anwandte. Längst herrscht unter Sachkennern Einvernehmen darüber, dass jene frühen Scriptores-Ausgaben fast durchweg überholt sind und neuer Bearbeitung bedürfen.
Klaus Nass legt in seiner voluminösen, fast 800 Druckseiten umfassenden Edition des Annalista Saxo nun eine solche Neubearbeitung vor. Georg Waitz, immerhin einer der bedeutendsten Historiker und Editoren seiner Zeit, hatte den Text im sechsten Band der Scriptores 1844 bereits ediert. Noch vor ihm finden sich so illustre Namen wie Mabillon, Leibniz, Eckhart und Martène in der Reihe derer, die sich mit dem Text befasst hatten.
Was Nass vorlegt, geht aber weit über eine bloße Neubearbeitung hinaus. Schon in seiner Habilitationsschrift von 1996 [1], die man neben der Textausgabe des Annalista zu Rate ziehen sollte, hatte er gezeigt, zu welch tieferem Verständnis die Quellenkritik des Werkes verhelfen konnte. Das zwischen 1148 und 1152 entstandene Werk, beginnend mit dem Berichtsjahr 741 und erhalten bis zum Berichtsjahr 1139, erwies sich noch weit mehr, als man das ohnehin schon wusste, als eine Kompilation aus verschiedensten Quellen, vor allem aus dem ostsächsischen Bereich.
Die knappe Einleitung zur Edition verzeichnet IXf. immerhin 39 historiographische Werke, 25 Briefe, 11 hagiographische Schriften und weitere 16 sonstige Quellen, deren großenteils wortwörtliche Verwendung nachweisbar ist. Die Technik der Übernahme jeweils meist einer Leitquelle pro Jahresbericht liefert ein Informationsgerüst, das der Annalist dann mit ergänzenden Nachrichten verschiedenster Herkunft auffüllte. Den MGH-Editionspraktiken entsprechend werden die Übernahmen im Druckbild und in sorgfältig gearbeiteten textkritischen Anmerkungen ausgewiesen, so dass gewissermaßen die mittelalterliche Variante der Copy-and-Paste-Technik deutlich wird.
Entstanden ist eine Reichschronik aus sächsischer Sicht, aus den letzten Jahren König Konrads III. stammend oder - wenn man so will - aus den Anfängen Heinrichs des Löwen. Ihr Verfasser bleibt anonym, oder er ist es wieder, nachdem er lange fälschlich mit dem Abt Arnold von Berge und Nienburg bei Magdeburg identifiziert worden war. Die einzige mittelalterliche Handschrift des Werkes stammt aus Sachsen und wird heute in Paris verwahrt. Sie ist das Original und womöglich im Kern das Autograph des Verfassers. Im Mittelalter blieb sie ohne jegliche Resonanz: Keine einzige Abschrift, keine Verwendung des Textes anderweit sind nachweisbar.
Der Annalista Saxo - dem Leibniz den Kunstnamen gab - bleibt in seiner Person ein Rätsel und in seinem Werk ein Solitär. Nichts Ähnliches oder Gleiches ist aus dem Sachsen seiner Zeit bekannt. Klaus Nass gebührt das Verdienst, sein Werk in einer Form publiziert und analysiert zu haben, die den hohen Standard der MGH einmal mehr überzeugend unter Beweis stellt und die keine Wünsche offen lässt.
Anmerkung:
[1] Klaus Nass: Die Reichschronik des Annalista Saxo und die sächsische Geschichtsschreibung des 12. Jahrhunderts (Monumenta Germaniae Historica. Schriften 41), Hannover 1996.
Thomas Vogtherr