Tobias Leuker: Bausteine eines Mythos. Die Medici in Dichtung und Kunst des 15. Jahrhunderts, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007, VII + 527 S., 46 Abb., ISBN 978-3-412-33505-2, EUR 54,90
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Die "Götterdämmerung des Neuplatonismus" seit den 1970er-Jahren ging mit dem vollen Sonnenaufgang der politischen Ikonographie einher - zumindest gilt dies für die Kunst im Florenz der Medici. [1] Wo bislang Platons Lehren in ihren unendlichen Variationen und Rezeptionen der Kunstgeschichte den Königsweg jeder Erklärung zu liefern schienen, sah man nun allenthalben Propaganda und 'Kulturpolitik'. Das Interesse am Florenz der Medici wurde dadurch freilich nur noch mehr befeuert - ein weiterer Grund für die Überfülle von Publikationen und Spezialstudien zu dieser Stadt und Familie. Umso mehr überrascht, dass bislang keine umfassende Darstellung zur Kunstpatronage der Medici und ihren 'Instrumentalisierungs-Absichten' vorlag - eine Studie, die nicht allein nach der Deutung einzelner Werke oder den Absichten einzelner Personen fragt, sondern nach möglichen Entwicklungslinien und Familienstrategien der fünf Medici-Generationen des 15. Jahrhunderts im Umgang mit Kunst im weitesten Sinne.
Tobias Leukers 2003 an der Universität Augsburg eingereichte romanistische (!) Habilitationsschrift stellt sich nun genau diese Aufgabe. Wobei die interdisziplinär angelegte Untersuchung zu Recht von der Prämisse ausgeht, dass allein eine umfassende Zusammenschau von Bild- und Textzeugnissen eine zuverlässige Einschätzung der mit der Förderung von Kunst und Literatur einhergehenden Absichten, Prätentionen und Mythen der Medici erlaubt. Das bleibende Verdienst dieses fächerübergreifenden Vorhabens ergibt sich schon aus dieser Ausgangskonstellation.
Aus den 27 Kapiteln des Buches, die den Bogen von Leonardo Brunis 'Laudatio Florentine urbis' bis hin zu "politische[n] Texte[n] aus der Ära Piero di Lorenzos" spannen, seien im Folgenden diejenigen (etwa die Hälfte) herausgegriffen, die sich primär mit Bildwerken befassen - ein Vorgehen, das sich insofern rechtfertigen lässt, als der Autor selbst erklärt (14), dass "jedes der aufgelisteten Kapitel [...] isoliert rezipierbar" sei. Wobei selbst diese reduzierte Auswahl hier nicht eingehend zu diskutieren ist, sondern allein einige übergreifende Aspekte benannt werden können. Gleich einleitend muss sich der Leser außerdem bewusst machen, dass er nicht nur eine Habilitationsschrift, sondern auch ein (nicht weiter aktualisiertes) Buch von 2003 vor sich hat: Denn sieht man von Leukers eigenen Aufsätzen ab, verzeichnet die Bibliografie für 2002 und 2003 noch je vier Titel, danach nichts mehr. Obwohl bereits 2002 erschienen, fehlt vor allem Adrian Randolphs Buch zu den 'Engaging Symbols. Gender, Politics, and Public Art in Fifteenth-Century Florence', der nicht nur eine ganz ähnliche Fragestellung wie Leuker verfolgt, sondern teils auch die gleichen Objekte behandelt (so die Medaille auf Cosimo, für die Leuker "ganze zwei Äußerungen" der Forschung beklagt, 114). Ähnliches gilt für Leukers Bibliografien zu den besprochenen Botticelli-Gemälden: Der Deutung von 'Venus und Mars' in der Londoner National Gallery widmet etwa Charles Dempsey ein Kapitel seines Buches zum Renaissance-Putto (2001), das - ganz egal, ob man ihm im Einzelnen zustimmt - auf ein zentrales Deutungsproblem hinweist: nämlich die Satyr- oder Fauns-Knaben anstelle der üblichen Amoretten im Gefolge der Liebesgöttin. In Leukers Interpretation des Gemäldes als diplomatischem Friedensbild (325-339) wird dies nicht thematisiert. Dafür kann Leuker etwa für die Verbindung von Mars und Muschel, auf der einer der Satyrknaben bläst, eine bislang unbekannte Stelle der 'Alexandra' des Lykophron und zugehörige Scholien beibringen (330f.) - wie auch sonst das Buch den Leser mit einer Reihe nicht oder bislang nicht im Deutungszusammenhang mit Kunstwerken bekannter Texte belohnt.
Insgesamt entscheidend für Leukers Ausführungen ist sein Verständnis vom Zustandekommen der "Bildaussage[n]" und ihrer ikonographisch/ikonologischen Entschlüsselung, wie es deutlicher noch als seine Einleitung (2f.) die Einzelanalysen offenbaren: Immer geht es um die Relevanz von Texten für ein einzelnes Werk, dass hingegen zwei- und dreidimensionale Bilder zumindest teilweise auch aus vorangehenden Bildwerken entstehen, durch ihren 'visuellen Horizont' Kontext und Funktion mit-semantisiert werden und teils eigenständige inventiones umsetzen können, spielt keine Rolle (so werden auch keine 'Vergleichsbeispiele' herangezogen). [2]
Daher stehen die einzelnen 'Bausteine', Thesen und Resultate des Buches auch teils unverbunden nebeneinander: Man erfährt etwa auf Seite 462, die Bossenquader am Außenbau des Palazzo Medici rekurrierten auf einen vermeintlich römischen Kaiserpalast, schon auf den Seiten 93-112 wird die Palast-Kapelle als "Ort der Selbsterniedrigung von Gott und der Buße" mit "politisch-dynastischen" Konnotationen vorgestellt, sodann Donatellos 'Judith' als Symbol der 'libertas' eingeführt (127-131), dagegen sollte der wenige Schritte von der 'Judith' entfernt im Garten aufgestellte, aufwändige und von Leuker ausführlich analysierte Brunnen mit seiner rätselhaften Inschrift (heute im Palazzo Pitti) "schlicht das Ambiente [...] schmücken" (369). Alle diese Bildwerke entstanden dabei innerhalb weniger Jahre - besteht ein Zusammenhang zwischen ihnen? Was folgt für Wahrnehmung und Verständnis eines zeitgenössischen Palast-Besuchers? Und warum wählt Leuker gerade diese Beispiele aus dem viel größeren Bilderangebot des Palazzo Medici aus?
Gozzolis Fresken der Palast-Kapelle eröffnen noch andere Bezüge: Die Medici werden dort gerade nicht als Rollenporträts der Heiligen Drei Könige inszeniert. Erst in Botticellis 'Anbetung der Könige' für Guasparre del Lama agiert dann wohl der zu diesem Zeitpunkt verstorbene Cosimo de' Medici als ältester König, bezeichnenderweise aber sind seine (lebenden) Nachfahren wiederum nicht (überzeugend) in den weiteren Königsrollen zu identifizieren, sondern höchstens als (anachronistische) Randbeobachter der biblischen Szene. Leukers Hinweis, der Jüngling mit Schwert links im Bildvordergrund müsse Giuliano de' Medici sein, da er mit Schwert und Rüstung die Attribute des Hl. Julianus vorweise (195f.), beruht auf einem Sehfehler: der Verwechslung der (schlecht erhaltenen) blau schillernden Samt-Ärmel und Verbrämungen des Gewandes mit Metall-Teilen. Angesichts dieses offenbar vorsichtigen mediceischen Umgangs mit Rollenporträts erscheint es auch nach Leukers Ausführungen immer noch erstaunlich, dass Cosimo de' Medici bereits in Uccellos Sintflut-Fresko des Kreuzgangs von S. Maria Novella als Prophet Jesaias inmitten der ertrinkenden Sünder dargestellt sein soll (63f.).
Die Identifikation solcher Rollenporträts, aber auch von Schutzheiligen einzelner Familien-Mitglieder sowie die Identifikation möglicher Auftraggeber bilden für Leuker häufig den Ausgangspunkt einer Hypothesen-Treppe, deren nächste Stufe das Aufspüren eines historischen Ereignisses im Leben der vermuteten Person darstellt, das möglicher 'Auslöser' für das Bildwerk gewesen sein könnte; abschließend wird dieses dann unter solch' doppelten Prämissen interpretiert. Ganz abgesehen vom schwierigen Abwägen des Erkenntniswertes eines derartigen Vorgehens wird deutlich, dass Leuker politische Bildwerke der Frührenaissance häufig als 'Monumente' konkreter Ereignisse versteht. Das ist bislang alles andere als gesichert - von Leukers Beispielen rufen allein Bertoldos Medaille auf die Pazzi-Verschwörung und Uccellos 'Schlacht von San Romano' explizit historische Geschehnisse auf, wobei Uccellos Gemälde keine Medici-Aufträge waren. Cosimos Medaille erinnert dagegen nicht an den Tag, sondern nur an die Tatsache der Erhebung zum Pater Patriae. In erster Linie verkündet die Schaumünze so als Monument des (Nach-)Ruhms wie auch alle übrigen von Leuker diskutierten Werke eine allgemeine Tugendbotschaft, die den konkreten auslösenden Impuls für ihre Entstehung (anders als viele spätere politische Denkmäler) offenbar gar nicht thematisieren will. [3]
Nicht nur solche allgemeinen Rahmenbedingungen der Bildbotschaften hätte man sich eingehender diskutiert gewünscht, sondern daraus folgend bei manchen Einzelanalysen auch, warum und in welcher Hinsicht es sich um 'politische' Werke handelt. Müsste etwa für Botticellis 'Venus und Mars' nicht zunächst einmal der mögliche Rezeptionsrahmen umfassend abgesteckt werden (also auch die Optionen 'Bildwitz', Vergnügen an gelehrten Bildrätseln usw., die im allgemeineren Sinne einer 'kulturellen Blüte' durchaus auch für die Medici nutzbar waren)? [4] Die insbesondere von Charles Dempsey am Beispiel Botticellis diskutierte Frage nach der Bedeutung von literarischen Gattungen und der Unterscheidung von lateinischer und Volgare-Literatur für die Bild-Erfindung wird bei Leuker gar nicht thematisiert. Schließlich lässt sich nicht nur angesichts dieser Arbeit zu den Medici fragen, ob sich deren Verständnis und Umgang mit Kunst ohne den Vergleichshorizont anderer Städte und Fürsten Italiens wirklich einschätzen lässt. Oder anders gesagt: Basiert ein Gutteil des Mythos Medici nicht auch darauf, dass die Forschung immer und immer wieder nur diese eine Familie durchexerziert?
Jedenfalls hätte man sich zum jetzigen Stand zumindest der kunsthistorischen Forschung - und so sehr der abschließenden Einschätzung Leukers zuzustimmen ist, mediceische Kultur zeichne sich durch "Vielfalt" aus, die "differenzierte [...] Analysen" verlange (470f.) - noch etwas mehr Mörtel zwischen den Bausteinen erhofft.
Anmerkungen:
[1] Vgl. forschungs- und methodenkritisch die Beiträge von H. Bredekamp und M. Warnke in: Die Lesbarkeit der Kunst: zur Geistes-Gegenwart der Ikonologie, hrsg. von A. Beyer, Berlin 1992.
[2] Das gilt selbst für mythologische Figuren, wie etwa Settis am Beispiel der mediceischen Verschmelzung von Venus und Minerva gezeigt hat: S. Settis: Citarea 'su una impresa di bronconi', in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 34 (1971), 135-177.
[3] Ernst H. Gombrich: Topos und aktuelle Anspielung in der Kunst der Renaissance, in: Freibeuter 23 (1985), 15-40. - Jeder Datierungs- und Deutungs-Vorschlag der Cosimo-Medaille kann ohne Blick auf den größeren Kontext, nämlich die offenbar aus 'republikanischen Vorbehalten' stark verzögerte Rezeption des Mediums Medaille in Florenz, nicht vollends überzeugen.
[4] Vgl. jüngst für die 'Entstehung' der mythologischen Gemälde in den Jahrzehnten um 1500 Stephen Campbell, The Cabinet of Eros. Renaissance mythological painting and the studiolo of Isabella d'Este, New Haven/London 2006.
Ulrich Pfister