Johannes Herrmann / Günther Wartenberg / Christian Winter (Bearb.): Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, Bd. 6: 2. Mai 1552 - 11. Juli 1553, Berlin: Akademie Verlag 2006, LIX + 1252 S., ISBN 978-3-05-004166-7, EUR 128,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Armin Kohnle / Christian Winter / Michael Beyer (Hgg.): Zwischen Reform und Abgrenzung. Die Römische Kirche und die Reformation, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2015
Irene Dingel / Günther Wartenberg (Hgg.): Georg Major (1502-1574). Ein Theologe der Wittenberger Reformation, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2005
Heiko Jadatz / Christian Winter (Hgg.): Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen. Dritter Band: 1528-1534, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2010
Die vorliegende Edition bringt ein wissenschaftliches Unternehmen zum Abschluss, das vor über hundert Jahren begonnen wurde. 1896 hatte die Königlich Sächsische Kommission für Geschichte, kaum gegründet, die Herausgabe der politischen Korrespondenz Moritz von Sachsens (1521-1553) beschlossen. Der damalige Privatdozent Erich Brandenburg legte schon nach wenigen Jahren die ersten beiden Bände vor, die Moritz' Regierungsjahre von 1541 bis 1546 behandelten. Danach stagnierte das Projekt, obgleich namhafte Historiker und Theologen das Werk Brandenburgs fortzusetzen versuchten. Erst 1978 erschien Band 3, den der Rechtshistoriker Gerhard Buchda als Vorsitzender der damaligen Sächsischen Historischen Kommission gegen internen Widerstand durchsetzte. Wende und Wiedervereinigung verhalfen der Editionsarbeit dann zu neuem Auftrieb. Seit 1992 stehen umfangreiche Gelder für das Unternehmen der "Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte" zur Verfügung. Als dessen erstes abgeschlossenes Teilprojekt liegen die Bände 4 bis 6 der nunmehr vollständigen "Moritzedition" vor.
Mit über 1300 Seiten ist der sechste Band der umfangreichste der Serie. Und das, obwohl er einen Zeitraum von nur fünfzehn Monaten durchmisst. Dabei werden die Quellen wie gewohnt nur in Regesten dargeboten. Die Dichte des Materials rührt daher, dass die Politik Moritz von Sachsens in seinem letzten Regierungsjahr immer weitere Kreise zog. Moritz fand sich nach der Rebellion gegen Kaiser Karl V. auf einmal als Verantwortlicher einer neuen Friedensordnung wieder. Diese rasante Entwicklung wird in der Edition minutiös und völlig angemessen ausgebreitet.
Die Edition schließt unmittelbar an den vorherigen Band an, indem ihre Dokumentation im Mai 1552 einsetzt. Kurfürst Moritz von Sachsen hatte zu diesem Zeitpunkt ein Heer alliierter Fürsten, die auch ein Geheimbündnis mit Frankreich unterhielten, durch Mittel- und Süddeutschland geführt und Kaiser Karl V. nach Tirol und zuletzt nach Kärnten vertrieben. Der Fürstenaufstand war wenig mehr als eine militärische Überrumpelung des Kaisers, der, ohne eigene Truppen, seine Position im Reich kampflos preisgeben musste. In der Folge wurde Karl V. zur Revision seiner Politik gezwungen, die er seit dem Sieg über den Schmalkaldischen Bund 1546/47 hatte durchsetzen wollen.
In Passau beriet Moritz stellvertretend für die Kriegsfürsten mit König Ferdinand als Unterhändler Karls V. Die Beilegung der Feindseligkeiten band Moritz an die Freilassung des noch immer gefangenen Landgrafen Philipp von Hessen. Das Konzil in Trient sollte für die Protestanten nicht mehr bindend sein, auch das kaiserliche Interim wurde für hinfällig erklärt. Die Passauer Verhandlungen im Mai und Juni 1552 führten dank der Initiative Moritz' und Ferdinands, aber auch der Assistenz vieler neutraler Reichsstände zu einem wegweisenden Ausgleich. Karl V. ließ diese Einigung zwar noch einmal abschwächen und befristete sie bis zu einem künftigen Reichstag. Dennoch hatten die Friedensbemühungen eine neue Qualität erreicht. Erstmals verabredeten alt- und neugläubige Reichsstände eine Besitzstandsgarantie sowie den Gewaltverzicht auf Dauer. Bislang hatte allein das Reichsoberhaupt den Protestanten befristete Friedenszusagen gewährt, an denen die katholischen Reichsstände nicht teilhatten.
Der Passauer Vertrag blieb nach seinem Abschluss von vielen Seiten bedroht. Er musste gegen eine Revision durch den Kaiser verteidigt werden. Und er war den bis dahin nicht beteiligten Reichsständen nahezubringen. Zwar ist der Schutz und die Etablierung des Passauer Vertrags nicht allein das Verdienst Moritz von Sachsens gewesen. Doch gilt umgekehrt, dass sich Moritz in den folgenden zwölf Monaten ganz der Behauptung des in Passau Erreichten verschrieb. Der Wettiner suchte das stete Einvernehmen mit König Ferdinand, dem ebenso an der Passauer Ordnung gelegen war. Moritz ließ die Beziehungen zum bisherigen Bündnispartner Heinrich II. von Frankreich versanden. Mit Ferdinand trat er im Frühjahr 1553 in Verhandlungen über einen Defensivbund, der die österreichischen Erblande und Böhmen mit den benachbarten Reichsständen zu einem Sicherheitssystem zusammenschließen sollte. Der Bund kam zwar nicht zustande; dennoch vertiefte sich das Vertrauensverhältnis zwischen Ferdinand und dem protestantischen Kursachsen, dem damals mächtigsten Reichsstand nach den Habsburgern.
Eine Schnittstelle zwischen der Kooperation mit Ferdinand, der Festigung der Passauer Ordnung und der informellen Führung unter den Reichsständen ergab sich für Moritz im Konflikt mit Markgraf Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach. Dieser hatte ursprünglich zu Moritz' Verbündeten gezählt. Seit dem Ende des Fürstenaufstands bedrohte Albrecht mit seinen Truppen die Hochstifte Würzburg und Bamberg sowie die Reichsstadt Nürnberg, von denen Gebietsabtretungen erzwungen und Zahlungen erpresst wurden. Albrecht hatte auch den Passauer Vertrag nicht anerkannt. Die kursächsische Politik stellte sich auf die Seite der fränkischen Bischöfe und nahm dafür Albrechts Gegnerschaft auf sich. In das Bündnis gegen den Markgrafen band Moritz auch Böhmen mit ein, vor allem aber Herzog Heinrich d. J. von Braunschweig, der bis dahin weder am Fürstenaufstand noch am Passauer Vertrag teilgenommen hatte. Moritz arbeitete auf eine militärische Konfrontation mit Markgraf Albrecht hin. Bei Sievershausen nahe Hannover kam es im Juli 1553 zur Schlacht. Zwar siegten der Kurfürst und seine Verbündeten und setzten Albrechts Umtrieben damit ein Ende. Moritz starb jedoch drei Tage nach der Schlacht an einer Wundinfektion.
Der sechste Band der "Moritzedition" dokumentiert mit mehr als 700 Regesten eine Zeitspanne von knapp 500 Tagen. Die Regesten sind durchweg chronologisch angeordnet. Was fehlt, ist eine Feingliederung anhand von Kapiteln oder editorischen Einschüben. Orientierung bieten lediglich das Orts- und Personenregister sowie die Einleitung der drei Editoren Johannes Herrmann, Günther Wartenberg und Christian Winter. Doch erst durch die Lektüre jedes einzelnen Regests erschließt sich etwa, dass neben den vielen gedruckten Quellensammlungen nicht weniger als 40 Archive und Bibliotheken in Deutschland, Österreich, der Schweiz und im übrigen Europa ausgewertet wurden.
Höchst anerkennenswert auch, dass der Band eine Übersicht des gesamten Itinerars Moritz von Sachsens bietet. Sämtliche nachweisbaren Aufenthalte des Wettiners sind hier verzeichnet, beginnend mit seiner Jugend, nicht erst mit den Jahren der Regierung. Nur ganz wenige Quellen sind wörtlich wiedergegeben, so etwa der Text des Passauer Vertrags vom 2. August 1552 (Nr. 246) oder Moritz' Bericht an Bischof Melchior von Würzburg über die Schlacht bei Sievershausen, den der Wettiner auf dem Sterbelager diktierte (Nr. 669).
Die Editoren fassen den Begriff der "politischen Korrespondenz" sehr weit. Neben dem Briefwechsel des Fürsten im engeren Sinne treten Landtagsakten, Mandate, Instruktionen, Berichte, Abschiede und Denkschriften hinzu, wann immer dies der Stringenz der Quellensammlung dient. Das Material ist damit nicht anders ausgewählt als in den diversen "Briefen und Akten" zur politischen Geschichte im frühneuzeitlichen Reich. Dabei ist dieses Konzept keineswegs antiquiert, im Gegenteil: für die neueren kommunikationsgeschichtlichen Ansätze zur Politik in der frühen Neuzeit bleiben Quellen in dieser breit angelegten Zusammenstellung unentbehrlich.
Der abschließende Band der "Moritzedition" bietet weit mehr als nur als ein Repertorium bereits behandelter Quellen über den Wettiner und seine Politik. Manche unbekannten Dokumente werden zutage gefördert, so etwa ein Erbeinungsvertrag zwischen Moritz, Pfalzgraf Ottheinrich von Neuburg und Landgraf Wilhelm von Hessen vom August 1552 (Nr. 276). Ein Nachbarschaftsabkommen in dieser Konstellation hat es sonst niemals gegeben, und offenkundig wurde es auch nicht vollzogen.
Das hier präsentierte Material veranlasst auch zu weitreichenden Fragen - etwa der nach der Friedensfähigkeit kursächsischer Politik im Konfessionellen Zeitalter. Ebenso evident wie Moritz' Verdienste um einen Ausgleich der Konfessionsparteien und eine Koalition mit König Ferdinand als späterem Reichsoberhaupt ist das Unvermögen, den Konflikt mit Markgraf Albrecht zu entschärfen. Hier deuten sich Züge einer Politik an, die unter Moritz' Nachfolgern noch stärker zum Vorschein traten: die Neigung, einen Kontrahenten in die Enge zu treiben und zu isolieren, ehe man mit Gewalt gegen ihn vorging, bewies nicht zuletzt Kurfürst August, als er 1566 die Reichsexekution gegen seinen Vetter Herzog Johann Friedrich und den Ritter Wilhelm von Grumbach herbeiführte.
Da die Editoren neben den vorrangigen Archivbeständen in Dresden, Marburg, Wien und Berlin auch diejenigen etwa in Hannover, Wolfenbüttel, Lübeck, Bremen, Schwerin und Kopenhagen herangezogen haben, erweitert sich die Perspektive besonders um die Kontakte Kursachsens zum Norden des Alten Reichs. Dieses Feld ist bislang ebenso spärlich erforscht wie die überregionalen Beziehungen zwischen den Reichsständen ganz allgemein. [1] Moritz' Abkommen mit Herzog Heinrich von Braunschweig in Haldensleben und Torgau vom März bzw. Mai 1553 (Nrr. 469 f., 535), die den Weg freimachten für den Feldzug gegen Markgraf Albrecht, sehen die Editoren als "Befriedungsinstrument in Norddeutschland", das "den Braunschweiger zunehmend in das in Passau erarbeitete Friedenssystem [integrierte]" (XLV). Eine solche Aussage kann freilich nur als These gelten, die erst noch der Diskussion bedarf. Doch gerade dafür eröffnet das immense Material dieses Quellenbandes einen vortrefflichen Einstieg.
Anmerkung:
[1] Vgl. etwa Gabriele Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund 1530-1541/42. Eine Studie zu den genossenschaftlichen Strukturelementen der politischen Ordnung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Leinfelden-Echterdingen 2002, 68, Anm. 77: "Eine systematisierende Behandlung der kaiserlich-reichsständischen Beziehungen, die auch die Verhältnisse in Norddeutschland berücksichtigt, steht freilich noch aus."
Thomas Ott