Egmont R. Koch: Atomwaffen für Al Quaida. "Dr. No" und das Netzwerk des Terrors, Berlin: Aufbau-Verlag 2005, 348 S., 30 Abb., ISBN 978-3-351-02588-5, EUR 19,90
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Egmont R. Koch wurde mit einem Buch über den Seveso-Skandal bekannt und hat seither stets Gespür für brisante Themen gezeigt. Auch sein Werk "Atomwaffen für al Qaida" erschien genau zu dem Zeitpunkt, als die Öffentlichkeit Kenntnis davon nahm, daß Pakistan als Lieferant von Zentrifugentechnologie eine Schlüsselrolle bei den iranischen, libyschen oder nordkoreanischen Bemühungen um Atomwaffen spielte. Die enge Verbindung Pakistans mit den Taliban, die wiederum jahrelang al Qaida in Afghanistan protegierten, ließ dabei den Verdacht aufkommen, die Atomschmuggler aus Islamabad hätten die Terrorgruppe zumindest mit Know-how für den Bombenbau, wenn nicht sogar einem fertigen Sprengsatz versorgt.
Kochs Darstellung setzt in den frühen Siebziger Jahren ein, als der pakistanische Ingenieur Abdul Qadeer Khan sich mit einem Abschluss an einer belgischen Universität als Experte für die gemeinsam von der Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden ins Leben gerufene Firma Urenco empfahl, die Zentrifugen zur Anreicherung von Uran entwickelte. Kurz vor Khans Anstellung hatte Pakistan Ende 1971 nicht nur seinen dritten Krieg gegen Indien verloren, sondern war in zwei Teile zerbrochen: Der östliche hatte unter dem Namen Bangladesh die Unabhängigkeit erlangt. Das nationale Trauma ließ den neuen Regierungschef des Reststaats, Zulfikar Ali Bhutto, die Herstellung von Atomwaffen fordern, und diese Forderung wurde noch dringlicher, als Indien im Sommer 1974 seine erste Bombe zündete. Khan diente Bhutto seine Hilfe an und blieb bei der Datenbeschaffung - wie auch später bei seinen Einkäufen in Europa - jahrelang erstaunlich unbehelligt, obwohl westliche Nachrichtendienste schon früh im Bilde waren. Insbesondere die USA konnten sich nicht zu einem Eingreifen durchringen. Dies galt vollends nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1979, die dem Militärdiktator Zia ul Haq die Gelegenheit bot, dem neuen Frontstaat Pakistan amerikanische Hilfen auf allen Ebenen zu sichern. Während Israels Luftwaffe 1981 den irakischen Reaktor Osirak zerstören und damit Saddam Husseins Bombenprogramm verzögern durfte, wurden ähnliche Pläne für die pakistanische Atomfabrik Kahuta von den USA unterbunden. Zudem erklärten die Präsidenten Ronald Reagan und George Bush senior wiederholt, Pakistan sei nicht im Besitz von Atomwaffen, womit sie Sanktionen verhinderten.
Mitte der Achtziger Jahre verfügte Pakistan über bombenfähiges Uran; beim Design der Waffen sowie beim Bau der Trägersysteme halfen China und Nord-Korea. Damit war das Land in den kleinen Club der inoffiziellen Atommächte aufgestiegen, dem außer dem feindlichen Nachbarn Indien seinerzeit nur Israel und Südafrika angehörten. Obwohl sich Islamabad nicht offiziell dazu bekannte, war die Existenz der Bombe ein offenes Geheimnis. Noch störte man sich kaum daran: So wie Indien einst gegenüber China nachgezogen hatte, hatte es Pakistan nun dem im Westen wenig geliebten Indien gleichgetan, also nur die Balance der feindlichen Zwillinge wiederhergestellt. Solange die Rote Armee Afghanistan besetzt hielt, änderte sich an dieser Einstellung auch nichts. 1987 und 1990 kam es zu schweren Krisen in Südasien, die erstmals einen Einsatz von Nuklearwaffen möglich erscheinen ließen, aber dennoch nur wenig internationale Aufmerksamkeit auf sich zogen. Erst der Paukenschlag des Jahres 1998, als zunächst Indien, dann Pakistan Atombomben zündeten, rief die große Politik auf den Plan. Paradoxerweise war es in der Folgezeit der vierte indisch-pakistanische Krieg, der für Beruhigung sorgte. Der amerikanische Präsident Bill Clinton zwang Pakistans Premierminister Nawaz Sharif regelrecht, seine Truppen aus dem Kargil-Sektor im indischen Teil Kaschmirs zurückzurufen, und aus dem begrenzten Krieg entwickelte sich so kein umfassender Schlagabtausch. Die beiderseitige Bereitschaft zur Mäßigung wurde nochmals sichtbar, als nach dem Terroranschlag auf das indische Parlament am 13. Dezember 2001 die Spannungen letztlich politisch beigelegt wurden.
Während sich in Südasien ein Gleichgewicht des Schreckens zu entwickeln schien, betrieb Pakistan im Geheimen längst einen schwungvollen Handel mit seiner Zentrifugentechnologie. Zum illustren Kreis der Interessenten gehörten Kim Jong-il, Saddam Hussein, Muammar al-Gaddafi und das Mullah-Regime in Teheran. Bezahlt wurde nicht nur mit Geld; man tauschte auch für Rüstungsprogramme relevante Technologie. Pakistan kam dabei sowohl technologisch als auch logistisch eine Schlüsselrolle zu; der Verbündete der USA war das eigentliche Bindeglied der "Achse des Bösen". Hier und weniger in der alten Feindschaft mit Indien liegt die Bedrohung, die vom pakistanischen Atompotenzial ausgeht. Pakistan ist bislang der einzige Nuklearstaat, der sein Wissen auf dem schwarzen Markt feil bietet und dabei sogar von der islamischen Bombe oder der Bombe der Benachteiligten spricht. Und Pakistan ist auch der einzige Nuklearstaat, dessen innerer Zustand befürchten lässt, dass die Kontrolle über die Atomwaffen in absehbarer Zeit in die Hände von Extremisten fallen könnte.
Dies ist das Schreckenszenario, mit dem Koch den Kreis wieder schließt. Die Weitergabe von Nukleartechnologie oder gar Atombomben an al Qaida darf man mittlerweile getrost als Geheimdienst-Garn abtun. Eine Machtübernahme der Islamisten in Pakistan, deren Ableger die Taliban sind, scheint angesichts der jüngsten Machtkämpfe durchaus im Bereich des Möglichen. Koch ist über das Machtgefüge innerhalb Pakistans gut informiert, wie das gesamte Buch auf dem aktuellsten Stand der Erkenntnisse ist. Der Autor hat vornehmlich die internationale Presse ausgewertet, da deutschsprachige Literatur zum Thema bislang Mangelware ist. Eine Ausnahme stellt der Band "Bomben-Geschäfte" aus dem Jahre 1990 dar, den Koch mitverfasst hat [1]. Das neueste Werk zum Thema ist von William Langewiesche verfasst worden, fällt gegenüber dem exzellent recherchierten Werk Kochs mit seinem beeindruckenden Anmerkungsapparat aber deutlich ab. [2]
Interessant sind die Interviews des Autors mit Khan, wobei man allerdings weniger über die Sache als über die Person erfährt. Wie alle, die an derartigen Themen arbeiten, ist Koch ansonsten in hohem Maße auf namentlich nicht genannte Geheimdienstquellen angewiesen. Einerseits gibt das dem Buch eine unverzichtbare Tiefe, andererseits stellt sich nicht selten die Frage, wie ernst derartige Quellen genommen werden dürfen. Problematisch scheint es etwa, dass sich Koch vornehmlich auf einen Ex-Agenten stützt, der im Streit von der CIA geschieden ist. Auch anderweitig trägt der Autor zum Zwiespalt zwischen Spannung und Glaubwürdigkeit bei, indem er dem Buch durchgängig den Anstrich eines Thrillers gibt. Videoclipartige Schnitte mögen ein spannender Einstieg in die Welt der Atomschmuggler und Geheimdienste sein, 300 Seiten in diesem Stil ermüden. Die Stilisierung Khans zu "Dr. No", einem Bösewicht aus der Welt von James Bond, ist nicht nur sprachlich ein Missgriff: Diese Interpretation entspricht auch der Darstellung der Regierung Musharraf, Khan sei ein Einzeltäter gewesen - eine Interpretation, die schon deshalb überaus zweifelhaft ist, weil sich der für die Transaktionen nötige logistische Aufwand ohne die Hilfe des pakistanischen Militärs nicht hätte bewerkstelligen lassen. Der Verkaufserfolg des Buches spricht dafür, dass der deutsche Markt auf eine Gesamtdarstellung zu diesem brisanten Thema gewartet hat. Übersieht man die Effekthascherei, hat Koch hier Standards gesetzt.
Anmerkungen:
[1] Holger Koppe / Egmont R. Koch: Bomben-Geschäfte. Tödliche Waffen für die Dritte Welt, München 1990.
[2] William Langewiesche: The Atomic Bazaar. The Rise of the Nuclear Poor, New York 2007.
Amit Das Gupta