Christina Deutsch: Ehegerichtsbarkeit im Bistum Regensburg (1480-1538) (= Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht; Bd. 29), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005, XI + 801 S., ISBN 978-3-412-18105-5, EUR 64,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Akten aus Gerichten, die sich mit Konflikten um Verlobung und Ehe befassten, sind in den letzten Jahren von der Frühneuzeitforschung mit großem Gewinn ausgewertet worden. Zahlreiche monographische Arbeiten haben aus dem Diskurs der Konfliktparteien vor dem Ehegericht nachgezeichnet, wie Mann und Frau ihre Rollen und die Regeln für ein Zusammenleben aushandelten, und analysiert, wie die Parteien, die Gemeinden, Staat und Kirche Normen durchsetzten und damit Macht erwarben.
Auch für die Reformationsgeschichte ist das vorreformatorische Ehegericht ein wichtiger Forschungsgegenstand gewesen. Die Gravamina der deutschen Nation sammeln die Beschwerden der Laien und der Obrigkeiten gegen die alte Kirche. Sie gehören in die Vorgeschichte der Reformation. In diesen Gravamina nimmt die diözesane Ehegerichtsbarkeit einen prominenten Platz ein. Ein Werk wie der vorliegende Band von Christina Deutsch, der sich genau diesem Typ von Gericht widmet und sich auf den Zeitraum 1480-1538 konzentriert, kann deshalb mit erhöhter Aufmerksamkeit rechnen.
Die Studie stellt nach der Einleitung zunächst die "Grundzüge des kanonischen Eherechts im Spätmittelalter" dar (32 Seiten), dann geht sie der institutionellen Organisation, dem Personal (116 Seiten) und dem Prozessrecht (85 Seiten) nach. Die Justiznutzung kommt auf 119 Seiten. Biogramme des Gerichtspersonals, Tabellen von Bischöfen und Regesten und Register der Akten erstrecken sich von Seite 387-736, machen also den Hauptteil des umfangreichen Bandes aus.
Einen Sonderfall stellt das Regensburger Gericht insofern dar, als es bis 1526 in der Hand des Domkapitels lag und erst danach in der des Bischofs (89 f., 101, 162-164). Im Zuge von Reformation und beginnender Konfessionalisierung verlor das bischöfliche Ehegericht an Einzugsgebieten und Hoheitsrechten, besonders zugunsten der bayerischen Herzöge (170-172). Insgesamt erlebte es seit 1524 einen Akzeptanz- und Kompetenzverlust (384).
Inhaltlich ging es im Regensburger Ehegericht nur um das Eheband in erster Linie um die Frage, ob eine Ehe bestand. Die kirchliche Vorstellung vom Sakrament Ehe führte zur Anerkennung formloser und zeugenloser Eheschließungen und schuf damit vielfältige Konfliktmöglichkeiten. Die "Zuerkennungsklagen" verfolgten die Absicht, eine strittige Eheschließung als gültig erklären zu lassen. Die "Trennungsklagen" zielten in der Regel darauf, die Verlobung aufzuheben oder sie als nicht bestehend zu deklarieren (319). Nur die Hälfte der Trennungsklagen betraf nachweislich verheiratete Personen, die von Tisch und Bett geschieden werden wollten (299, 321-325). "Zuerkennungsklagen" und "Trennungsklagen" markieren die beiden Bereiche der hier besonders interessierenden "Justiznutzung".
Zwischen 1489 und 1529 klagten doppelt so viele Frauen wie Männer vor dem Ehegericht (313). Zwischen 1531 und 1538 glich sich das Verhältnis dann aus. 60% der Prozesse galten der Anerkennung einer ehelichen Gemeinschaft, 40% der Trennung der Verlobten oder Ehegatten, wobei die "Zuerkennungsklagen" überwiegend von Frauen angestrengt wurden, die Trennungsklagen dagegen von beiden Geschlechtern gleichermaßen. Dieser Befund deckt sich weitgehend mit dem, was man aus anderen Untersuchungen weiß. Höchstens der hohe Anteil der Trennungsklagen ist bemerkenswert (314). Christina Deutsch erklärt den niedrigeren Anteil von Zuerkennungsklagen, die auch finanzielle Entschädigungen wegen Defloration oder der Geburt eines Kindes umfassten (266), damit, dass das Regensburger Gericht die traditionelle Eheanbahnungspraxis ausdrücklich anerkannte und damit außergerichtliche Verhandlungen und Konfliktlösungen ermöglichte (281, 317). Damit wird ihres Erachtens der subsidiäre Charakter des Ehegerichts deutlich.
Ein gravierender Wandel trat in der Gerichtspraxis nach 1530 ein, als nicht nur das Eheversprechen und die copula carnalis (Vollzug der Ehe durch den Geschlechtsakt) für die Frage der Gültigkeit einer Ehe untersucht wurden, sondern der gesamte Lebenswandel der Parteien. Ob man deshalb sagen kann, der Bischof verfüge nun "über das juristische Instrumentarium, um einen wesentlichen Teil des sozialen Verhaltens der altgläubigen Gemeindemitglieder [...] kontrollierend zu überwachen" (320), und das ausdrücklich als Parallelität zu den reformierten Sittengerichten definieren kann, ist fraglich. Wenn man über den Bereich der reinen Ehegerichte wie Basel hinaus geht und die umfassende Sittenaufsicht der Konsistorien andernorts betrachtet, was Christina Deutsch angesichts ihrer nur auf Ehegerichte bezogenen Literaturbasis (292-295, Anm. 141-158) aber nicht tut, erkennt man den sehr viel weiteren Radius der Sittenzucht in den protestantischen Sitten- und Ehegerichten.
Durch den Wandel um 1530 wurde es Frauen zunehmend schwerer gemacht, formlose Ehen, ohne Zeugen und damit auch ohne Priester, durchzusetzen (380, 383-385). Ab 1531 verschob sich die Beweislast stark zu ihren Ungunsten: Frauen hatten zu beweisen, dass sie vor der copula carnalis Jungfrauen gewesen waren (291). Damit wurde der Leumund der Frau Prozess entscheidend. Das bedeutete angesichts der schon zuvor geringen Erfolgsaussichten (30% Erfolgsquote - 267) eine weitere Verschlechterung der Chancen von Frauen auf eine Ehe, wenn der Verlobte seine Zusage zurückzog.
Die Trennungen von Tisch und Bett, die über zwei nachweislich verheiratete Personen verhängt wurden (50% der Trennungsklagen), erfolgten wegen Ehebruch und Misshandlung oder Impotenz (299). Die "saevitiae" (Gewalttaten) waren nach dem Ehebruch die zweithäufigsten Klagegründe, obwohl sie kanonisch-rechtlich kein Ehehindernis darstellten (302). In 86 von 98 Fällen erschien hier die Frau als Klägerin. Nur in einem Fünftel wurde bei Gewalt im Sinne der klagenden Partei entschieden.
Die sozialgeschichtliche Untersuchung der Parteien ergibt, dass in über 90% der Fälle die "landsässige Bevölkerung" vor Gericht stand (376). Mehr an sozialer Differenzierung wird nicht geboten. Dass v.a. Knechte und Mägde klagten, kann kaum als Zeichen dafür gewertet werden, dass nicht in genossenschaftliche Verbände (Zünfte, Gesellenbünde) integrierte Gruppen (Deutsch tendiert dazu, sie als "Unterschicht" zu apostrophieren) ans Gericht gelangten (376 f.). Knecht und Magd sein war ein Übergangszustand, und die Integration dieser Gruppe ins "ganze Haus" und in die Gemeinde muss sicher vorausgesetzt werden.
Die Studie ist nützlich und erschließt weiteres Material für die Diskussion der Frühneuzeitforschung über die Ehe. Auch für die Reformationsgeschichte ist die Feststellung, dass das geistliche Gericht auf ein hohes Maß an Akzeptanz gestoßen ist (378), von Bedeutung. Sie deckt sich mit den Befunden etwa Thomas D. Alberts. [1] Dennoch hätte man sich gewünscht, dass die Verfasserin stärker auf die Diskurse vor Gericht eingegangen wäre und den Lebenshorizont der Prozessparteien und ihr soziales Umfeld zumindest stichprobenartig einbezogen hätte. So bleibt die Arbeit doch eher eine institutionengeschichtliche Untersuchung.
Anmerkung:
[1] Thomas D. Albert: Der gemeine Mann vor dem geistlichen Richter. Kirchliche Rechtsprechung in den Diözesen Basel, Chur und Konstanz vor der Reformation (= Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, Bd. 45), Stuttgart 1998.
Heinrich Richard Schmidt