Uwe Schulte-Varendorff: Kolonialheld für Kaiser und Führer. General Lettow-Vorbeck - Mythos und Wirklichkeit, Berlin: Ch. Links Verlag 2006, 217 S., ISBN 978-3-86153-412-9, EUR 24,90
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Eine historisch-kritische Biografie zu Paul von Lettow-Vorbeck (1870-1964) war längst überfällig. Es ist dem Osnabrücker Historiker Uwe Schulte-Varendorff wie dem Berliner Christoph Links Verlag zu verdanken, dass diese nun auf der Grundlage von umfangreichen, teilweise neu erschlossenen Quellenbeständen vorliegt.
Von Lettow-Vorbecks Leben wird hier als typisch für deutsche Kolonialoffiziere nachgezeichnet. Schulte-Varendorff schildert den Aufstieg und die Karriere des von vielen so genannten 'Löwen von Afrika' in der kaiserlichen Armee in China, in Ost- und Westafrika. Die Beteiligung von Lettow-Vorbecks an der Niederschlagung des Boxeraufstandes und sein maßgeblicher Beitrag zum Genozid der Hereros und Nama werden ebenso herausgearbeitet wie sein ausgeprägter Rassismus. Auch schildert Schulte-Varendorff die Beteiligung von Lettow-Vorbecks am Kapp-Putsch, seine Stellung als Kolonialrevisionist in der Weimarer Republik, als maßgeblicher Propagandist der nationalsozialistischen Kolonialambitionen und nicht zuletzt als eifriger Apologet deutscher Kolonialpolitik.
Hervorzuheben ist, dass der Autor auch die Geschichte der Symbolfigur von Lettow-Vorbeck nachzeichnet, seine Verehrung in der kaiserlichen Armee, der Reichswehr und sogar in Kreisen der Bundeswehr heutzutage. Insgesamt liegt hiermit erstmals eine gut recherchierte Biografie dieses wichtigen Akteurs deutscher Kolonialpolitik vor.
Doch ist an dieser Studie auch einiges zu kritisieren. Erstens ist die Leitfrage, die Schulte-Varendorff eingangs stellt, ob von Lettow-Vorbeck "in der heutigen Zeit und für jetzige wie zukünftige Generationen noch als Vorbild und als Objekt der Verehrung dienen" könne oder ob er nicht eher zu den "Relikten der Geschichte" gehöre, die "nicht mehr verehrungswürdig" seien (8-9), ausgesprochen problematisch, um nicht zu sagen vollkommen absurd. Auch nur annähernde Kenntnisse von der mittlerweile seit nahezu zwanzig Jahren umfangreich vorliegenden neueren Forschung zur deutschen Kolonialgeschichte [1], sollten keinen Zweifel daran lassen, dass von Lettow-Vorbeck zu den wichtigsten Akteuren von Völkermorden zählt, die Deutsche in der Geschichte verübt haben.
Auch zeichnet Schulte-Varendorff von Lettow-Vorbeck zu stark als "ein Kind seiner Epoche", das "wie viele seiner Generation von den Denk- und Verhaltensmustern der adeligen und militärischen Führungselite des Wilhelminismus geprägt" worden sei (8). Hier wird der Autor seinen folgenden Ausführungen zur Persönlichkeit des Generals nicht gerecht. So zeigt er doch im Folgenden eindringlich, dass von Lettow-Vorbeck weit mehr als der Durchschnitt der deutschen Offiziere im deutschen Kaiserreich von Rassismus und genozidaler Gewaltbereitschaft geleitet war und hier eine prägende Funktion übernahm. Die Motive eines führenden Vertreters deutscher rassistisch motivierter Vernichtungspolitik, der bis zu seinem Tode 1964 das gewaltsame Handeln der deutschen Kolonialmacht in Afrika keineswegs bestritt, sondern immer wieder als gerechtfertigt propagierte, sollten nicht - wie von Schulte-Varendorff - mit legitimierend anmutenden Begriffen wie "Verführbarkeit" und "Selbsttäuschung" (8) in Zusammenhang gebracht werden.
Besonders die in Schulte-Varendorffs Studie selbst angeführten Aufzeichnungen von Lettow-Vorbecks von seiner Reise nach Namibia und Tanganjika (seinen ehemaligen Wirkungsstätten Deutsch-Südwest und Ostafrika) 1953 zeigen, welch ungebrochener Rassist hier schrieb, wie er die deutsche Kolonialschuld nicht einmal kaschierte, sondern überhaupt nicht als gegeben ansah. [2] Und die gesellschaftliche Wirkung dergleichen sollte nicht unterschätzt werden. Nicht nur die Leser des Sponsors der Reise von Lettow-Vorbecks, der "Deutschen Illustrierten", begrüßten vermutlich großteils die Schilderungen der angeblichen zivilisatorischen Heldentaten, der Fürsorge und Umsicht der Deutschen in ihren afrikanischen Kolonien. Eine solche Geschichtsklitterung kam durchaus der damaligen Bundesregierung unter Konrad Adenauer und ihrem Kabinett entgegen, beispielsweise dem Bundesverteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel, wie Schulte-Varendorff mit Recht bemerkt (125-126). Hier wäre allerdings eine ausführlichere Schilderung der Bedeutung von Lettow-Vorbecks vor dem Hintergrund der Afrika-Politik und der "Entwicklungshilfe" der frühen Bundesrepublik nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig gewesen. Dann hätte sich nämlich zeigen lassen, wie etabliert zu jener Zeit öffentliche Diskurse über die angeblich Wohlstand und bessere Lebensbedingungen in Afrika stiftenden kolonialen Leistungen der Deutschen waren und welch tragende Rollen hierbei greise "Augenzeugen" wie von Lettow-Vorbeck hatten.
Ein weiterer Schwachpunkt der Studie ist, dass Schulte-Varendorff nur wenig auf die Rezeption von Lettow-Vorbecks in Afrika, insbesondere in Namibia und Tansania eingeht. Es ist zwar sehr richtig, dass der Autor die vermeintlich "ungebrochene Treue" der Askari zu ihren deutschen Führern in Frage stellt und die zahlreichen Desertionen aus der deutschen Kolonialarmee herausarbeitet (60-64). Doch wird man Persönlichkeiten wie von Lettow-Vorbeck in der Kolonialgeschichte bzw. in der Geschichte der dekolonisierten Staaten Afrikas hiermit nicht ausreichend gerecht. Vielmehr wurden solche Persönlichkeiten während bzw. nach der Kolonialzeit sehr unterschiedlich von Afrikanern wahrgenommen und eingeschätzt. Durchaus vorgekommene Verehrungen und einen regelrechten Kult um von Lettow-Vorbeck im Tanganjika der 1950er-Jahre oder um Adolf Friedrich von Mecklenburg in Togo 1960 sind noch kaum erforscht, obwohl sie hinlänglich bekannt sind. Sie verweisen auf die vielschichtige, spannungsreiche Pluralität afrikanischer Gesellschaften, die nicht ausgeblendet bleiben sollte. Ein wichtiger öffentlicher afrikanischer Diskurs in Tanganjika im Prozess der Dekolonialisierung war beispielsweise die Verklärung der deutschen Kolonialherrschaft, um die derzeit aktuelle britische Herrschaft zu diskreditieren. Erst unter Einbeziehung solcher und vergleichbarer Aspekte der öffentlichen Auseinandersetzung mit Personen wie von Lettow-Vorbeck in der Geschichte kolonialer und postkolonialer afrikanischer Gesellschaften wird deutlich, welch verheerende Folgen Militarismus, Vernichtungspolitik und Rassismus deutscher Provenienz im Staatsaufbau des modernen Afrika hatten.
Mit diesen Einschränkungen ist Schulte-Varendorffs Arbeit als grundlegende Biografie von Lettow-Vorbecks empfehlenswert. Es ist vor allem zu wünschen, dass die Studie zu einer weiterreichenden differenzierten Beschäftigung mit Akteuren der deutschen Kolonialgeschichte anregt.
Anmerkungen:
[1] Vgl. nur als Beispiele folgende neuere Arbeiten: Jürgen Zimmerer / Joachim Zeller (Hgg.): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen, Berlin 2003. Unter Einbeziehung der namibischen Perspektiven: Gesine Krüger: Kriegsbewältigung und Geschichtsbewußtsein. Realität, Deutung und Verarbeitung des deutschen Kolonialkrieges in Namibia 1904 bis 1907, Göttingen 1999. Felicitas Becker / Jigal Beez (Hgg.): Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905-1907, Berlin 2005. Unter dem wichtigen Aspekt von Gender: Sandra Maß: Weiße Helden, schwarze Krieger. Zur Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland, Köln 2006.
[2] Paul von Lettow-Vorbeck: Afrika, wie ich es wiedersah, München 1955.
Hubertus Büschel