Alois Schmid / Katharina Weigand (Hgg.): Bayern in Jahr und Tag. 24 Tage aus der bayerischen Geschichte, München: C.H.Beck 2007, 480 S., 9 Abb., ISBN 978-3-406-56320-1, EUR 24,90
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24 Tage aus der bayerischen Geschichte vom 9. November 977 ("Die Weihe des Klosters Kremsmünster", Knut Görich) bis zum 1. Januar 2006 ("Bayern und das königliche Jubiläumsjahr", Hans-Michael Körner): Auf den ersten Blick ein schier unmögliches Unterfangen, die bayerische Geschichte in einzelnen Tagen dem Leser zu vergegenwärtigen, und dann noch so disparate Themen wie sie aus dem Inhaltsverzeichnis ersichtlich sind.
Aber nur auf den ersten Blick. Zugrunde liegt ein uraltes Prinzip der Geschichtsvermittlung: nicht die ganze Geschichte, sondern Geschichte in Geschichtsbildern. Das war ein Prinzip - weit mehr als 100 Jahre alt - Geschichte möglichst anschaulich zu vermitteln, indem man eine Einzelheit - ein Ereignis, eine Person, aber auch einen Tag, an dem etwas kulminierte - heraus greift und diese Einzelheit darstellt in all ihren Verästelungen: der Vorgeschichte, den vielfältigen (politischen, sozialen, kulturellen) Zusammenhängen und den Folgen. So wird um die geschichtliche Einzelheit eine lebendige Geschichte aus der Vergangenheit erzählt, ein "Geschichtsbild" eben, das den großen Vorzug hat - allein durch die Methode - anschaulicher, leichter fassbar zu sein als manch andere Form der Geschichtsdarstellung.
Der Begriff "Geschichtsbild" fällt nirgends, und doch ist er das methodische Prinzip, das dem Buch zugrunde liegt, und noch mehr: das Buch ist ein gelungenes Beispiel, wie eine solch uralte Methode heute noch mit Erfolg angewandt werden kann.
Natürlich kann man bei Geschichtsbildern immer kritisieren, dass dies und das und jenes fehlt und die Auswahl zufällig ist. Dieses Defizit ist der Methode geschuldet. Man kann sie gut finden - manche tun es nicht, nicht zuletzt auch, weil diese Methode geradezu prädestiniert ist für eine vereinseitigende Behandlung von Geschichte.
Jedoch ist positiv zu würdigen: Im vorliegenden Buch ordnen sich die ausgewählten Vorgänge in sehr verschiedene Zusammenhänge ein. Traditionell Politik-Geschichtliches ist natürlich vertreten, aber einen noch breiteren Raum nimmt Kulturgeschichtliches ein. Und da geht es bisweilen sehr in die Tiefe der Forschung, z. B. in dem Artikel von Frank Büttner über "Die Grundsteinlegung der Würzburger Residenz". Die umfangreichen Planungen, die Einbeziehung der berühmtesten Hofarchitekten Europas als ein Mittel schon vor dem Bau mit ihm zu renommieren, werden hier als ein typischer Ausfluss barocker Repräsentation interpretiert und solide mit Quellen belegt. Oder: "Die Vertreibung der Juden in Regensburg" am 21. Februar 1519. Silvia Condreanu-Windauer bezieht hier neuere stadtarchäologische Bodenbefunde aus dem ehemaligen Judenviertel Regensburgs in ihre Darstellung ein. Stehen diese beiden Aufsätze - und nicht nur diese - für forschungsnahe Artikel, so gibt es auch Artikel, deren Gegenstand zwar schon viel behandelt wurde, die aber einen hohen Informationsgehalt aufweisen, wie z. B. der Artikel über die Gründung Münchens 1158. Der Herausgeber Alois Schmid stellt dieses Einzelereignis - gerade auch für einen Nicht-Mittelalter-Historiker sehr informativ - in den übergreifenden Zusammenhang landesherrlicher Städtegründungpolitik in Bayern. Ein anderes gelungenes Beispiel, Geschichte in Geschichtsbildern darzustellen, rankt sich um einen weniger bekannten Vorgang, nämlich um "Die Enthüllung des Bismarck-Denkmals am Starnberger See" am 1. Juli 1899. Katharina Weigand, mit Alois Schmid zusammen Herausgeber, stellt dieses Einzelereignis dar im Zusammenhang mit dem spannungsgeladenen Verhältnis Bayerns im preußisch-deutschen Kaiserreich - ein für die bayerische Geschichte wahrlich sehr übergreifendes Thema.
Jeder Artikel - und das spricht ebenfalls für die Wissenschaftsnähe - ist überdies mit einer sorgfältig ausgewählten Bibliografie und einem Anmerkungsapparat versehen.
Der einleitende Artikel geht nicht über "Geschichtsbilder". Er ist trotzdem in anderer Hinsicht methodisch wegweisend. Winfried Müller behandelt in seinem Aufsatz "Nach Jahr und Tag. Zahl und Zeit in der Geschichte", warum man sich bei runden Jubiläen geschichtlicher Ereignisse erinnert, was nicht selbstverständlich ist. Auch dies hat seine Geschichte. Sie fing in der Antike an und hört mit dem für die deutsche Geschichte bedeutungsreichen 9. November (oder 3. Oktober) nicht auf. "Nach Jahr und Tag" war übrigens der Titel einer Münchener Ringvorlesung, in deren Zusammenhang die Artikel entstanden sind.
Sich bestimmter Tage zu erinnern und sie mit Geschichtsbildern zu verknüpfen: Beides zielt auf ein breites Publikum. Jedoch ist da ein Nachteil, der für den Kenner keiner ist: Nicht wenige Artikel verlangen profundes historisches Vorwissen, nicht nur über die bayerische Geschichte. So mancher Interessent wird es deshalb bei Seite legen.
"Bayern nach Jahr und Tag. 24 Tage aus der bayerischen Geschichte". Aus schieren Platzgründen können sie nicht alle gewürdigt werden. Der Themenkreis ist erfreulich breit. Alle Artikel sind informativ, alle sind wissenschafts- und einige forschungsnah. Es handelt sich also mitnichten "nur" um Erzählungen von Geschichten aus der bayerischen Geschichte.
Manfred Hanisch