Jörg Friedrich: Yalu. An den Ufern des Dritten Weltkriegs, Berlin / München: Propyläen 2007, 623 S., ISBN 978-3-549-07338-4, EUR 24,90
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Trotz der hohen Bedeutung des Koreakriegs für den Kalten Krieg nicht nur in Asien, sondern auch in Europa hat das Thema in der deutschen Forschung relativ wenig Aufmerksamkeit gefunden. Erst vor kurzem gelang Rolf Steininger eine aktuelle, zupackende Zusammenfassung des internationalen Forschungsstandes. [1] Mit Jörg Friedrichs weitaus umfangreicherem Werk liegt nun eine zweite deutsche Gesamtdarstellung vor. Friedrich stellt den Krieg zugleich in eine übergeordnete Perspektive, die einen lang anhaltenden westlichen Niedergang behauptet und einen damit korrespondierenden "fortwährenden Antiwestkrieg" in den Blick nehmen will. Dafür stellt er so unterschiedliche, jahrhundertübergreifende und global wirksame Antriebskräfte wie Nationalismus, religiösen oder ideologischen Fanatismus als spezifische Antriebskräfte einer "Reihe der Rächer" gegen den kompakt und ebenso statisch betrachteten Westen dar (315, 440, 608f). [2] Mit seinem recht apokalyptisch daherkommenden Gesamtentwurf beweist der Autor einmal mehr sein Gespür für historische Themen, die zeitgenössische Stimmungen aufgreifen können. Auf diese Weise mag das Gesamtwerk Friedrichs sukzessive selbst zu einer ergiebigen Quelle zukünftiger kultur- bzw. mentalitätsgeschichtlicher Forschungen über deutsche Diskurse und Befindlichkeiten werden. [3] Der heutige Leser sieht sich indes, bei aller fesselnden Schreibkunst Friedrichs, vor verschiedene Probleme gestellt.
Sie beginnen mit eben dieser suggestiven Darstellungsweise. Die Freude an gelungenen Formulierungen, die Lust auch an überzogenen Provokationen und relativistischen Denkfiguren verwischen oder vernebeln mitunter historische Sachverhalte und Realitäten: die Flucht vor anstürmenden Feinden etwa war sicherlich nie ein "Massenvergnügen", und die süffisanten Bemerkungen zur Kampfkraft amerikanischer Truppen sind in sich nicht ganz widerspruchsfrei (233f., 244f.). Der Begriff "Generalplan Weltkrieg" führt ebenso deutlich in die Irre wie die Kennzeichnung nordkoreanischer Kriegsverbrechen als "SS-Manier"; massenpsychologische Ausflüge mit unklarer Wertung, das angebliche "Schnattern" von Chinesen und Koreanern, die Vorstellung Chinas als einer "verschleppten Krankheit", das "asiatische Regiment" in Gefangenenlagern oder die Präsentation "asiatischer Neutren" folgt schließlich eher hiesigen kulturellen Fronten, als dass es der Analyse dient. (68, 163, 217f., 228-230, 357, 423). Derlei Ärgernisse werden durch sachliche Fehler verstärkt, welche die Argumentation auch im Detail stocken lassen. Die mehrfach genannte Zahl von 20 Millionen Opfern der UdSSR im Zweiten Weltkrieg etwa liegt ungewöhnlich niedrig (45, 103). Die Koppelung indischer Unabhängigkeitskämpfe an die japanische Expansion im Kriege ist zumindest stark vereinfachend (135), Maos Wunsch nach Aufnahme in die UN strittig (346). Zudem fand Stalins letzte diplomatische Unterredung keineswegs mit dem für die Verhandlungen über koreanische Gefangenenfragen wichtigen Krishna Menon statt, sondern mit dessen Namensvetter, der zu der Zeit Botschafter in Moskau war (457). Letztere Unachtsamkeit weist auf ein größeres thematisches Desiderat zurück: Versteht man den Koreakrieg zu Recht als Ereignis von globaler Bedeutung, so hat man relevante Anliegen und das Engagement der später so genannten "Blockfreien" in seinem Umfeld stärker zu berücksichtigen, als es Friedrich und die Forschung häufiger tun: Britische Reaktionen auf amerikanische Eskalationsüberlegungen beispielsweise lassen sich ohne Rücksicht auf und Einflüsse aus dem Commonwealth nur unzureichend erklären, und Initiativen in- und außerhalb der UN lesen sich immer auch als innerasiatische Auseinandersetzungen. Zudem lässt sich die Zweite Welt mit ihrer schwierigen Positionierung im Nord-Süd-Konflikt nur schwer in die Friedrich'schen Konfliktlinien einpassen. Derartige Verflechtungen unterstreichen einmal mehr, dass das eingangs zitierte Gesamtkonzept des "West against the rest" zu pauschal ist.
Friedrichs Gesamtdarstellung führt indes eindrucksvoll vor Augen, dass auch der Zweite Weltkrieg kein Krieg "to end all wars" war, sondern seinerseits neue Problemfelder schuf bzw. in diversen älteren Spannungsherden Akzente und Ausgangspositionen aktualisierte. Japan, danach schon offen, der Iran und die Türkei, kurz darauf Berlin, wurden so zu neuen Brennpunkten. Die stalinistischen Nachkriegsoperationen mussten auf westliche Beobachter offensiv wirken. Sie trafen aber zugleich auf uramerikanisches Sendungsbewusstsein sowie auf die aus der jüngsten Vergangenheit gewonnene westliche Überzeugung, sowjetischen Nadelstichen und Probebohrungen klare Grenzen aufzeigen zu müssen. Diese politische Maxime stand einmal nur vor dem Problem, undurchsichtige sowjetische, nordkoreanische und chinesische Manöver einzuordnen. Die westlichen Berechnungen chinesischer wie sowjetischer Reaktionen auf den Krieg in Korea erwiesen sich häufiger als fehlerhaft. Friedrich selbst reduziert das schwierige Dreiecksverhältnis innerhalb des kommunistischen Lagers im Kern auf fein gesponnene Strategien Stalins, der die USA aus vielerlei Gründen bewusst in den großen Krieg gelockt habe. Für Chinas Einsatz hebt Friedrich die Relevanz anti-westlicher Rachepläne hervor. Diese spielten natürlich eine Rolle, doch trugen zu der sowjetisch-chinesischen Verständigung gegen den Imperialismus nicht nur historisch gewachsene Feindbilder Chinas bei. In Maos China hatten ideologische Überzeugungen einen eigenen, hohen Stellenwert, und das hat auch die chinesische Führung so gesehen. [4] Die Gesamtbewertung gewichtet zudem den unbändigen nordkoreanischen Willen, die Wiedervereinigung Koreas mit allen Mitteln zu erreichen, sehr gering; hier gingen Nord- und Südkorea im Übrigen unter entgegengesetzten Vorzeichen konform. Darüber hinaus überschätzt die Interpretation nicht nur die Lenkbarkeit Nordkoreas, sondern auch strategische Fähigkeiten Stalins: die Landungsoperation von Incheon in Korea oder die Beschleunigung der deutschen Wiederbewaffnung waren ebenso naheliegende wie unerwünschte Konsequenzen, die ein wirklich weitsichtig und weltweit denkender Kreml, der sich unter Stalin zudem deutlich der eigenen Schwächen im globalen Kräftespiel bewusst war, kaum herausgefordert hätte. Massive planerische Hilfestellungen der sowjetischen Armee für Kims Aufgebot und der Verzicht auf das sowjetische Veto im Sicherheitsrat gegen UN-Reaktionen im Juni 1950 müssen somit keineswegs zwingend auf überlegene Moskauer Ränke hindeuten (222-225), sondern legen eine Fehlkalkulation nahe, die von Kims Optimismus mit gespeist wurde.
Unabhängig von den tatsächlichen Abläufen hinter dem Eisernen Vorhang sah sich das politische Washington schließlich vor der Herausforderung, eigene militärische Notwendigkeiten respektive Möglichkeiten in politische Entscheidungsfindungen und deren Implementierung zu integrieren. Friedrich lenkt mit Recht den Blick auf die hohe Bedeutung militärischer Entwicklungen und Strategien und damit auf das brisante Wechselverhältnis militärischer - realer, empfundener und selbst geschaffener vermeintlicher - Zwänge und der politischen Entwicklungen gerade im Koreakrieg: MacArthurs Drängen auf Nutzung aller militärischen Optionen - einschließlich der Atombombe -, und zwar direkt gegen China, rieb sich an der drohenden sowjetischen Intervention nach einer derartigen Ausweitung. Im Umkehrschluss führt der Autor nachdrücklich das Eigenleben des militärischen Potenzials auch innerhalb politischer Rahmenbedingungen vor Augen (416f.): Schätzungen über die Zahl nordkoreanischer Bombenopfer gehen bis zu zehn Prozent der Gesamtbevölkerung, ein Vielfaches der Bombenkriegsverluste Deutschlands im Zweiten Weltkrieg (450). In dieser eindringlichen Problematisierung des Verhältnisses von Politik und Militär im Atomzeitalter liegt das eigentliche Verdienst der Darstellung Friedrichs.
Anmerkungen:
[1] Rolf Steininger: Der vergessene Krieg. Korea 1950-1953, München 2006.
[2] Vgl. zu diesem Ansatz etwa Samuel P. Huntington: The clash of civilizations and the remaking of world order, New York 1996.
[3] Gedacht ist hier an Jörg Friedrich: Das Gesetz des Krieges. Das deutsche Heer in Russland 1941-1945, Taschenbuchausgabe München 1995; ders.: Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940 - 1945, Berlin 2002.
[4] Vgl. etwa Zhou Enlais Analyse der Ergebnisse des Koreakriegs, in: Shu Guang Zhang: Constructing "Peaceful Coexistence": China's diplomacy toward the Geneva and Bandung Conferences, 1954-55, in: Cold War History, 7 (2007), 509-528, hier 511.
Andreas Hilger