Paul Divjak (Hg.): Alpine Interventionen, Wien: Folio 2006, 70 S., 16 Farbabb., ISBN 978-3-85256-354-1, EUR 25,00
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Ausgehend von der Idee, Typologien der Wildbach- und Lawinenverbauungen in den Alpen zu entwickeln, hat sich der Allroundkünstler und hier v. a. als Fotograf auftretende Paul Divjak jene Objekte zum Thema gemacht, die als alpine Funktions- bzw. Schutzbauten in der baugeschichtlichen und denkmalpflegerischen Forschung - geschweige denn in der breiten Öffentlichkeit - eine kaum wahrgenommene Baugattung darstellen, aber seit der rasanten Modernisierung ab dem 19. Jahrhundert den Lebens-, Wohn- und touristischen Genussraum von Alpenlandschaften überhaupt erst ermöglichten. Aus einer Kooperation mit dem Forsttechnischen Dienst für Wildbach- und Lawinenverbauung in Vorarlberg (WLV), der Kulturabteilung der Vorarlberger Landesregierung und dem Landhaus Bregenz hervorgegangen, liegt hiermit eine fotokünstlerisch, medientheoretisch, zivilisationskritisch und zugleich kunstphilosophisch verortete Publikation mit sieben Kurzbeiträgen diverser Autoren und 16 herausragenden Farbfotos Divjaks über das Phänomen alpiner Landschaftsverbauung vor.
Es hätte durchaus im plakativen Trend der Zeit gelegen, die fotografierten, mit 'Geschieberückhalte-, Balken-, Schlitz-, Holzkasten-, Konsolidierungs- und Bogensperre, Murbrecher, Absturzbauwerk, Sohlgurt, Steinschlagschutznetz und Stahlschneebrücke' betitelten, anthropogenen Interventionen aus mehrheitlich Beton und Stahl in wildromantischer Berglandschaft als brutale und rücksichtlose, zudem landschaftsökologisch fatale und noch dazu zumeist hässliche Funktionsbauten im Dienste eines bis heute ungebremsten alpinen Landschaftsverbrauchs schlichtweg abzuqualifizieren. Doch gerade auf dieser allzu einfachen Schlussfolgerung setzt diese Publikation an. Sind diese Bauten nicht die ingenieurstechnische Bedingung der bisher ungebremsten Kolonialisierung der Alpen und gleichzeitig unserer hochselektiven Ästhetisierung unberührt-unschuldiger Alpenlandschaften? Welcher touristische Alpenkonsument ist sich denn heute bewusst, wie viel Landschaftsverbauung notwendig war und ist, um den zivilisationsbefreienden und touristisch vermarkteten Alpenblick von Alpenbahn und -straße überhaupt erst zu ermöglichen? Die hier thematisierten Schutzbauten treten, wenn überhaupt, erst dann ins öffentliche Bewusstsein, wenn sie aufgrund der hochriskanten Überschreitung der alpinen Nutzungsgrenzen versagen und 'Naturkatastrophen' (müssten sie nicht eigentlich Kulturkatastrophen heißen?) in Form von Lawinen, Erdrutschen und Hochwasser die Landschaft zurückerobern. Hier durchdringen sich die 'Künstlichkeit der Naturlandschaft' und die 'Künstlichkeit der Naturgefahr'.
Eine 'kulturelle Rehabilitation' haben diese alpinen Schutzbauten kaum zu erwarten. Divjaks engagiertes Buch möchte sie als viel befragbare Baugattung zumindest in den öffentlichen Wahrnehmungsradius rücken.
Michael Falser