Eva Schubert: Islamische Kunst am Mittelmeer. Faszinierende Entdeckungen. Eine Publikation von Museum Ohne Grenzen, Tübingen: Ernst Wasmuth Verlag 2007, 272 S., 380 Abb., ISBN 978-3-8030-4105-0, EUR 29,80
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Knapp drei Jahre lang haben 150 Experten aus 16 Ländern zusammengearbeitet, um das größte Museum der Welt zu schaffen: Materielle und virtuelle Ausstellungsflächen seien zu einem "Museum ohne Grenzen" vereint worden. Darin, erläutert Eva Schubert, Chefin des Vorhabens weiter, würden Kunstwerke aus verschiedenen Museen sowie Denkmäler und Ausgrabungsstätten aus mehreren Ländern zueinander in Beziehung gebracht werden. Das künstlerische Erbe der islamischen Zivilisation des Mittelmeeres sei das Thema der ersten ständigen Sammlung dieses Virtuellen Museums, dessen Expositionen immerhin nach 14 Ländern organisiert sind. Überdies sind sie in Englisch, Französisch, Arabisch und Spanisch abrufbar. All dies kann man online unter http://www.discoverislamicart.org erreichen. Das vorliegende Werk ist der erste Ausstellungskatalog dieses Virtuellen Museums.
In der Tat ist den überwiegend arabischen und türkischen Autoren durch diesen schönen Bildband ein großer Wurf gelungen. Einmal abgesehen von zwei vorangestellten Teilen - Vorwort und Chronologie - sowie den vier Schlussabschnitten mit einem Glossar, mit den Hinweisen zur Literatur und zu den Beiträgern sowie zum Projekt selbst, hellen die 23 Kapitel recht verschiedene Aspekte der islamischen Kunst und Geschichte auf. Da geht es um eine einführende Übersicht in die Museen, die überhaupt islamische Kunst bergen. Dann wird der Mittelmeerraum vor der Ausbreitung des Islam vorgestellt. Was der Prophet Muhammad und die rechtgeleiteten Kalifen begründet haben, ist hernach erläutert. In den nächsten Kapiteln geht es in einer periodischen Abfolge um die großen Dynastien, von den Umayyaden und Abbasiden über die Fatimiden und Ayyubiden bis hin zu den Mamluken und Osmanen. Sicherlich infolge des thematischen Schwerpunktes "Mittelmeer" sind die Safawiden hier nicht behandelt.
Die Autoren bewiesen auch eine glückliche Hand, indem sie Querschnittsthemen in die oben genannten Perioden eingeflochten haben. Viele übergreifende Fragen loten sie dabei aus. Unter anderem hellen sie auf: das figurative Dekor, die Kalligrafie, die Frauen und die Macht, islamische Geometrie, Wasser, Pilgertum, Wissenschaft, Spiegelungen des Paradieses im floralen Dekor und westliche Einflüsse auf osmanische Länder. Zahlreiche Fotos, Bilder und Karten haben eine sehr gute Qualität. Sie laden uns zur vertiefenden Betrachtung ein.
Hilfreich ist auch die einführende Chronologie. Freilich verrät sie uns auch - und damit komme ich zu einigen Monita - dass wir alle Kinder unserer Zeit sind. Selbst wenn wir uns mit zeitlich tief in der Geschichte liegenden Ereignissen auseinandersetzen. Es fällt auf, dass oft vom "Sieg der Araber, Saladins, der Mamluken oder Osmanen" die Rede ist. Umgekehrt wird von der "Eroberung Siziliens durch die Normannen, der Besetzung durch die Kreuzfahrer oder der Eroberung beim siebten Kreuzzug" gesprochen. Kurzum, die einen siegen, die anderen erobern. Das lässt auf eine gewisse Gemütslage gegenüber einem historischen Prozess schließen, in dem durch den Heiligen Krieg der Kreuzzüge das zurückerobert werden sollte, was durch den Heiligen Krieg des Jihads verloren ging. Denn der überwiegende Teil der islamisierten Gebiete in Mittelost war zuvor christlich oder andersgläubig gewesen. Das sollte man bedenken, wenn es um die islamische Kunst und ihre Wurzeln geht.
Ebenso ist der Jihad nicht, wie es im Glossar heißt, "das Streben nach moralischer und religiöser Vollkommenheit durch Bildung oder das Spenden von Gold und Reichtümern." Dann heißt es dort noch: Zum Jihad gehöre "unter Umständen auch der Kampf 'auf dem Pfad Gottes gegen Abweichler oder Heiden'". Es verhält sich mit Haupt- und Nebensinn genau umgekehrt. Wer denkt, dies sei eine Aussage unter dem Eindruck unserer Zeit, der konsultiere einmal Arne A. Ambros' "Concise Dictionary of Koranic Arabic (Wiesbaden: Reichert Verlag 2004). Demnach meint das Verb "jahada" dem Hauptsinn nach besonders "Krieg führen". Davon stammt das Verbalnomen "jihad" in derselben Grundbedeutung, den Heiligen Krieg zu verfolgen. Für das Ringen um eigene Vollkommenheit gibt es andere Wörter und Konzepte wie etwa "ijtihad".
Natürlich sind die Autoren um Eva Schubert nicht die ersten, die virtuelle Ausstellungen über die islamische Kunst organisiert haben. Man denke an die ausgezeichnete Exposition des Los Angeles County Museum of Art (http://www.lacma.org/islamic_art/intro.htm) oder an die weiterführenden Verlinkungen im Wikipedia-Eintrag über die Islamische Kunst (http://en.wikipedia.org/wiki/Islamic_art). Dennoch sind sie Pioniere, die einen sehr guten Bildband zum Thema erzeugt haben. Ohne hier auch nur annährend repräsentativ sein zu wollen, sei kurz auf Werke verwiesen, die nicht in den Literaturhinweisen auf Seite 265 verzeichnet sind, die aber dem Leser noch weiterführende Einsichten zu bieten haben.
Dazu zählen das von Bernard Lewis aus Princeton edierte Buch "Islam and the Arab World" (New York: Knopf 1976). Es war eine erste, indes mehr historisch und enger auf die Araber orientierte Schwalbe am islamischen Kunsthimmel. Ein ähnliches, viel breiter angelegtes, ungemein schönes und an Informationen kaum noch zu überbietendes Werk hat Markus Hattstein (mit Peter Delius) nun auch in einer englischen Version herausgegeben: "Islam and Architecture" (Königswinter: Könemann 2004). Sie schöpften aus dem Museum für Islamische Kunst und dem Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz in der Berliner Spreemetropole.
Abgesehen von solchen übergreifenden Werken, sind jüngere Beiträge zu Einzelaspekten der islamischen Kunst erwähnenswert. So gab Michael Barry den Band "Figurative Art in Medieval Islam and the Riddle of Bihzâd of Herât (1465-1535)" heraus. Der exzellent aufgemachte und großformatige Bildband erschien zugleich auch in einer französischen Fassung (Paris: Êditions Flammarion 2004). Überdies kam jüngst zur Kalligraphie, über die im vorliegenden Band Şule Aksoy aus Istanbul und Khader Salameh aus Jerusalem eine vorzügliche Übersicht dargeboten haben, noch eine kleine Kostbarkeit von Ulya Vogt-Göknil über die Schrift an der islamischen Architektur hinzu (Tübingen: Ernst Wasmuth Verlag 2007). Diese ergänzenden Hinweise zu Chronologie und Literatur mögen nicht das eindrucksvolle Gesamtbild trüben, das Eva Schuberts Band und grenzenloses Museum vermitteln.
Denn die Editorin und ihre Autorengruppe zählen in der Tat zu den ersten, die Virtuelles und Print so breit und kreativ verknüpft haben. Ihr "Virtuelles Museum" hat einen weiten Horizont und unendlich viele kunsthistorische Straßen eröffnet. Der Leser kann sie jetzt dank der technologischen Revolution per Mausklick erkunden. Und wer doch lieber beim Papier bleiben möchte, der greife einfach auf Ausstellungskataloge wie den vorliegenden zurück. Auf diese Art werden jedenfalls eine Wissensdichte und akademische Vernetzung erreicht, die ihresgleichen suchen. Das ist Globalisierung im schönsten kunsthistorischen Sinne des Wortes.
An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass sich der Ernst Wasmuth Verlag eine Spitzenposition auch im Rahmen des Ausstellungsstraßen-Zyklus "Islamische Kunst im Mittelmeerraum" verschafft hat. Eine enorme Leistung, zu der nun auch neun Bände des Museums ohne Grenzen gehören. Sie umspannen auf Englisch oder auf Deutsch weite Themen von der Türkei über Portugal und Marokko bis hin zu Ägypten und Palästina, um es nur anzudeuten. Zwei Bände über Kunst und Architektur Algeriens und Syriens sind in Vorbereitung. All dies ist ein großer Gewinn sowohl für die Fachleute als auch für die Laien. Eva Schuberts Werk und diese Bände sind besonders empfehlenswert gleichwohl für die akademische Lehre und Bildung.
Wolfgang G. Schwanitz