Francine Giese-Vögeli: Das islamische Rippengewölbe. Ursprung, Form, Verbreitung, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2007, 172 S., ISBN 978-3-7861-2550-1, 39,00
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Ein markantes Phänomen der Gewölbekonstruktion, das in vielen Bauwerken des islamischen Kulturbereichs auffällt, erscheint punktuell auch im christlichen Abendland - etwa in den variationsreichen Raumschöpfungen Guarino Guarinis: Bögen oder Rippen überkreuzen sich und bilden dadurch optisch reizvolle geometrische Muster; die Spannweite des mittleren Gewölbes zwischen den Bögen wird reduziert, indem seitliche Segmente abgeschieden werden.
Als 'Leitfossilien' dieses Phänomens können Bauten gelten, die in weit voneinander entfernten Regionen der islamischen Welt liegen: Die Vormihrabkuppeln in der Großen Moschee von Córdoba (um 965) und einzelne Gewölbejoche in der Freitagsmoschee von Isfahan (Iran; wohl 2. Hälfte 12. Jahrhundert) sind zu nennen, dazu das Mausoleum des Sultans Sandschar in Merv (Turkmenistan; vor 1155). Zeitlich liegen diese Bauten mehr als ein Jahrhundert auseinander, wobei die erhaltenen westislamischen Beispiele den östlichen vorausgehen.
Das vorliegende Buch von Francine Giese-Vögeli (zugleich ihre Berner Dissertation) geht der Frage nach, woher diese Rippengewölbe stammen bzw. aus welchen Vorläufern sie sich entwickelten. Welchen Charakter hatte dieses Phänomen - war es konstruktiv bedingt oder handelt es sich um eine rein ästhetisch motivierte Modifikation von Gewölben, die auch anders hätten ausgeführt werden können? Wie hängen Ost und West in der Verbreitung der Rippengewölbe zusammen? Es sei vorweggenommen, dass diese Fragen nur teilweise beantwortet werden können. Besonders intensiv bearbeitet das vorliegende Buch die Frage nach dem Charakter der Rippengewölbe, und in diesem Punkt leistet es wichtige Klarstellungen.
Das Thema ist für die islamische Kunstgeschichte von einiger Bedeutung, denn hier wird ein übergreifendes Phänomen behandelt, das die Ästhetik vieler Bauten entscheidend mitbestimmt hat - man denke an die Gewölbe von Sakralbauten im Iran und in Zentralasien seit dem frühen 15. Jahrhundert, etwa die Werke des Meistes Qivam ad-Din in Herat und Mashhad. Die nahezu gleichzeitig im Osten wie im Westen der islamischen Welt erscheinenden Gewölbe mit sich überkreuzenden Rippen werfen außerdem die generelle Frage auf, aus welchen Quellen sich Innovationen in der islamischen Kunst speisten. Die Epoche politischer Zersplitterung, in die das Kalifat von Bagdad spätestens ab dem 10. Jahrhundert geriet, hatte auch für die Kunstproduktion deutliche Folgen: Zahlreiche Zentren bildeten sich heraus, die für regionale Eigenheiten sorgten, aber dennoch im Austausch miteinander standen. Die westliche Kalifenhauptstadt Córdoba und die seldschukische Residenzstadt Isfahan gehörten zu diesen Zentren. Es ist charakteristisch für die Situation des 11. bis 15. Jahrhunderts, dass sich trotz der ausgeprägten Regionalstile übergreifende künstlerische Phänomene über weite Teile der islamischen Welt verbreiten konnten. Zu fragen ist nach der Rolle Irans, von wo immer wieder Impulse für die islamische Kunst ausgegangen sind. War dies auch bei den Rippengewölben der Fall? Oder belegen die relativ früh datierten Beispiele aus Andalusien die Vorreiterrolle dieser Region?
Francine Giese-Vögelis Darstellung variiert zwischen sehr detaillierten Beobachtungen und summarischer Einordnung. Dieser abwechslungsreiche Fluss beugt der Langatmigkeit vor, jedoch wird manches, das eine eingehende Behandlung verdient hätte, tatsächlich sehr kurz abgehandelt. Erfreulicherweise kommt das Potenzial des genauen Hinsehens an mehr als einer Stelle zum Ausdruck: "Schauen wir uns [...] an" gehört zu den häufig gebrauchten Wendungen, die den Leser zum Nachvollziehen der Beobachtungen, wenn nicht gar zu eigenen Entdeckungen anregen. Der Text ist insgesamt eingängig und liest sich leicht - hier und da vielleicht sogar zu flüssig, wenn dadurch schwach abgesicherte Datierungen und Zuordnungen überspielt werden.
Anders als bei Themen des Baudekors (und dazu gehören auch die "Systeme sich kreuzender Bögen", zu denen Christian Ewert grundlegende Arbeit geleistet hat) tritt bei den Rippengewölben zur ästhetischen Frage der konstruktive Aspekt hinzu. In der vorliegenden Arbeit gewinnt dieser Aspekt besondere Bedeutung, denn die 'traditionelle' iranische Praxis des Gewölbebaus mit Rippen nimmt im Argumentationsgang eine zentrale Stelle ein. Die Autorin klärt grundlegende Fragen der Kategorisierung, indem sie zwischen radialen und nonradialen Rippensystemen unterscheidet. Die byzantinischen Rippengewölbe (bzw. Rippenkuppeln) zählen zur ersten Kategorie, die im Hinblick auf Konstruktion und künstlerische Entwicklung vergleichsweise wenige Fragen aufwirft. Sich kreuzende Bögen liegen eigentlich nur bei den nonradialen Rippengewölben vor. Deren Zahl ist vor dem 15. Jahrhundert überschaubar und das bislang bekannte Material gibt leider nicht immer in der erwünschten Klarheit Auskunft über die Genese des Phänomens. Diesem Mangel kann auch die Erweiterung des Kreises um einige armenische Beispiele nicht abhelfen.
Architektonische Eigenheiten, die in den Umkreis des Motivs der Rippengewölbe gehören, werden nicht nur mit Beispielen aus Armenien und Byzanz, sondern auch anhand des irakischen Palastes von al-Ukhaidir (2. Hälfte 8. Jahrhundert) und einiger vorislamisch-südarabischer Bauten diskutiert. Letztere werden allerdings nur recht kurz abgehandelt (und sind nicht abgebildet), sodass ihre mögliche Rolle ein wenig verschwommen bleibt.
An den andalusischen und nordafrikanischen Bauten stellt die Autorin genaue Beobachtungen zur Konstruktion der Gewölbe an und geht mit ihren Überlegungen deutlich über den bisherigen Kenntnisstand hinaus, so z.B. bei den Kuppeln der Moschee am Bab Mardum in Toledo. Darauf aufbauend wird gezeigt, wie das System der Cordobeser Vormihrabkuppeln an anderen Orten aufgegriffen und abgewandelt wurde. Insgesamt zeigt sich die Tendenz, dass ein konstruktives System zunächst ästhetisch ausgenutzt wurde, dann mehr und mehr dekorativ angewendet zu einem sekundären Gestaltungselement absank.
Bei den östlichen Beispielen sind leider die grundlegenden Daten noch immer schwach abgesichert. Zentrale Bedeutung kommt in Francine Giese-Vögelis Argumentation dem Vierbogenbau (chahar taq) von Naisar zu. Er wird als Kronzeuge für die Herleitung der Rippengewölbe aus der sasanidischen Baupraxis angeführt - aber dazu taugt er nur bedingt. Die jetzige Kuppel stammt aus dem islamischen Mittelalter, vielleicht aus dem 12. oder 14. Jahrhundert, wie Dietrich Huff vermutet hat (sein Beitrag wird zitiert, aber die Datierung nicht übernommen). Auch das Beispiel des kleinen Kuppelbaus von Mubarakabad in Nordiran bleibt im Ungefähren: Er kann nur sehr vage datiert werden, und seine Zweckbestimmung bleibt vollkommen ungeklärt. Sicherlich sind genaue Untersuchungen an diesen Bauten heute oftmals unergiebig - entweder existieren sie nicht mehr oder nur stark überformt durch Restaurierungen. Dennoch erscheint es problematisch, dass die Autorin die Einschätzungen des 'Pioniers' André Godard ohne weitere Diskussion übernimmt. Francine Giese-Vögeli nutzt scharfsinnig die in Godards "Voûtes iraniennes" 1949 publizierten Beobachtungen an Bauten des 20. Jahrhunderts in Teheran und arbeitet Konstanten im iranischen Bauhandwerk heraus, die sich über lange Zeiträume hinweg vergleichen lassen. Wegen der unsicheren Einordnung der älteren Vergleichsbeispiele muss aber einiges davon Postulat bleiben. Das wichtigste Beispiel bleibt letztlich das Gewölbejoch Nr. 60 im seitlichen Betsaalbereich der Freitagsmoschee von Isfahan und selbst bei diesem ist ungewiss, ob es in das frühe oder in das spätere 12. Jahrhundert zu datieren ist.
Zusammenfassend erscheinen die Rippengewölbe als kreatives Resultat einer material- bzw. gerüstsparenden Bauweise, die zunächst im Iran geläufig war und sich von dort nach Armenien ebenso wie in den westislamischen Bereich ausgebreitet hat. Der Rezensent bringt dieser Sichtweise einige Sympathie entgegen, aber ihre Herleitung ist durch das vorliegende Material leider schwach begründet: Wenn Naisar wegfällt, bleiben als iranische Bauten der vormongolischen Zeit eigentlich nur noch das Mausoleum in Merv und ein Gewölbejoch in Isfahan. Dagegen sind im westislamischen Bereich mit Córdoba und Toledo, Marrakesch und Tlemcen mehrere erstrangige Bauwerke dieser Epoche erhalten. Zwei davon datieren noch ins 10. Jahrhundert! Soll trotzdem für einen östlichen Ursprung des Rippengewölbes plädiert werden?
Hinzu kommt noch ein weiterer Faktor: Sich überschneidende Bögen als Elemente der Aufrissgestaltung von Arkaden oder Wänden stellen seit dem 8. bis 9. Jahrhundert ein wesentliches Merkmal andalusischer Architektur dar. Es ist zu fragen, ob die Übertragung dieses Prinzips in den Grundriss von Kuppeln und Gewölben nicht auch in al-Andalus angesiedelt werden könnte. In al-Andalus entwickelte sich die Kunst im 10. Jahrhundert auch in anderen Bereichen durchaus unabhängig vom islamischen Osten. Warum sollte dies nicht auch im Bereich der Gewölbekonstruktion der Fall gewesen sein?
Mit dem Verweis auf die handwerkliche Baupraxis in Iran zeigt die vorliegende Arbeit einen Weg auf, wie das Postulat älterer Rippenkonstruktionen in Iran begründet werden kann - auch wenn die Lücke bei den erhaltenen vormongolischen Bauten damit nicht wirklich geschlossen ist. Die Frage, wie die westliche und die östliche Hälfte der islamischen Welt durch künstlerischen Austausch verbunden waren, bleibt weiter zu diskutieren.
Lorenz Korn