Hartwig Brandt / Ewald Grothe (Hgg.): Rheinbündischer Konstitutionalismus (= Rechtshistorische Reihe; Bd. 350), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2007, 149 S., ISBN 978-3-631-56489-9, EUR 34,00
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Von den Verfassungen und verfassungsähnlichen Gesetzen in den Rheinbundstaaten sind seit den wegweisenden Forschungen von Elisabeth Fehrenbach und Helmut Berding vor allem die Verfassung des Königreichs Westphalen von 1807 bekannt und auch die Verfassung des Königreichs Bayern von 1808. Diese hat schon seit jeher das Interesse der bayerischen Landesgeschichtsschreibung gefunden. Weniger bekannt dagegen ist: Über diese beiden Staaten hinaus hat es noch in einzelnen rheinbündischen Duodezstaaten Verfassungen gegeben, und zwar: im Fürstentum Reuß ältere Linie (1809), im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach (1809), in dem wandlungsreichen fürstprimatischen Staat Carl Theodor von Dahlbergs, dem späteren Großherzogtum Frankfurt (1806,1810, 1816), und im Herzogtum Anhalt-Köthen (1810/11).
Es stellt allein schon ein Verdienst dar, alle rheinbündischen Verfassungen zu thematisieren, sie aus ihrer vorwiegend landeshistorischen Verortung herauszulösen und in den größeren Gesamtzusammenhang eines "Rheinbündischen Konstitutionalismus" zu stellen. Aufgrund dieses auf Zusammenschau angelegten Ansatzes kommt es zu dem Ergebnis, das aufhorchen lässt: "Der Rheinbündische Konstitutionalismus repräsentiert die Frühgeschichte des modernen Verfassungsstaates in Deutschland" mit subkutaner "Bedeutung für die spätere Verfassungspolitik in der Restaurations- und Vormärzzeit" (16). Und damit werden die frühkonstitutionellen Verfassungen Badens, Bayerns und Württembergs (1818/19) in ihrer anerkannten Bedeutung für die frühe Verfassungsentwicklung in deutschen Ländern relativiert. Dies ist ein weiterer Ertrag des Buches.
Also wieder einmal mehr: Am Anfang war Napoleon (?) - eine These, für die auch hier einiges spricht - und anderes wiederum nicht. Geht auf der einen Seite ein auf Staatsvereinheitlichung und auf eine revolutionär egalitäre Staatsbürgergesellschaft zielender Reformimpuls zwar von Napoleon aus, so sind auf der anderen Seite alle Verfassungen stark geprägt von den jeweiligen landesspezifischen Gegebenheiten. Westphalen unter König Jerome, dem Bruder Napoleons, soll der Modellstaat par excellence sein. In Bayern unter seiner alten Dynastie der Wittelsbacher geht es naturgemäß weniger um napoleonische Modellhaftigkeit als darum, die neu erworbenen und historisch so unterschiedlichen Gebiete Frankens und Schwabens in das erheblich größer gewordene Königreich zu integrieren. Und hintergründig feinsinnig auch darum, noch weiter gehende Pressalien Napoleons auf innerbayerische Verhältnisse durch eine schnell erlassene (und nie völlig wirksam gewordene) eigene Konstitution die Spitze zu nehmen (Die vorgesehene Nationalrepräsentation trat nie zusammen.).
Doch in den alten Duodezstaaten, die sich in den Rheinbund durch den Zufall der Geschichte haben retten können, geht es jedoch vor allem um banale Finanzzwänge, die z. B. einem überschuldeten Fürsten von Reuß eine Ständerepräsentation schon deshalb ratsam erscheinen ließ, um aus Gründen der Steuerbeschaffung den Staatsbankrott zu vermeiden. Die so unterschiedlichen Ausgangslagen in jenen sechs Rheinbundstaaten, die Verfassungen haben, führen dazu, dass jeder Staat im vorliegenden Band einzeln behandelt wird. Die von den Herausgebern (Hartwig Brandt, Ewald Grothe) verfasste Einleitung ist eher ein Fazit und die Klammer über allem: Sie resümiert das oben zitierte Ergebnis.
Es folgt eine Analyse der Rheinbundakte von 1806 von Gerhard Schuck unter der Fragestellung, inwieweit sie den Rahmen für die einzelnen Verfassungen abgibt. Dann werden diese behandelt - allerdings und naturgemäß auf recht unterschiedliche Weise. Die Aufsätze über die Verfassungen für die Königreiche Westphalen (Ewald Grothe) und Bayern (Hartwig Brandt) konnten auf nicht wenige - ältere und neuere - Forschungsarbeiten aufbauen, tragen daher mehr den Charakter von Darstellung des schon Bekannten und sind eher Forschungsberichte. Anders mussten jene Autoren vorgehen, die sich mit den Duodezstaaten befassten (Gerhard Müller: Reuß ältere Linie und Sachsen-Weimar-Eisenach, Barbara Dölemeyer: Frankfurt und Edgar Liebmann: Anhalt-Köthen). Sie waren gezwungen, richtig zu forschen. Sie mussten in großen Teilen ihrer Abhandlungen zeitgenössische Veröffentlichungen (Gesetzestexte und Publizistik) auswerten und eigens in Archiven recherchieren. Gerade solche Arbeiten machen jeden Band wertvoll. Jeder Einzelaufsatz listet übrigens die wichtigste Literatur für das jeweilige Territorium auf. Darüber hinaus vervollständigt eine fast 20-seitige zusammenfassende Bibliographie die wissenschaftliche Erschließung des in erheblichen Teilen unbekannten Terrains des Rheinbündischen Konstitutionalismus.
Fazit: Wer immer sich mit den Anfängen der Verfassungsgeschichte in Deutschland beschäftigt: Er wird auf diesen gründlich recherchierten Band aufbauen müssen, der auf eine vollständige Erfassung des rheinbündischen Konstitutionalismus zielt und ihn neu bewertet.
Manfred Hanisch