Georg Satzinger / Sebastian Schütze (Hgg.): St. Peter in Rom 1506-2006. Akten der internationalen Tagung 22.-25.02.2006 in Bonn, München: Hirmer 2008, 516 S., 118 Farb-, 201 s/w-Abb., ISBN 978-3-7774-4155-9, EUR 128,00
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Der von Georg Satzinger und Sebastian Schütze herausgegebene Band vereint 27 Beiträge der Bonner Tagung vom Februar 2006, deren Anlass zum einen das 500jährige Jubiläum der Grundsteinlegung der neuen Peterskirche am 18. April 1506 und zum anderen die zeitgleiche Ausstellung "Barock im Vatikan" in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland war. Die Einzelbeiträge behandeln diverse Aspekte der Planungs-, Bau-, Ausstattungs- und Wirkungsgeschichte Neu-Sankt-Peters. Im Einzelnen befassen sie sich mit der Grundsteinlegung und deren Überlieferung durch die päpstlichen Zeremonienmeister (Nikolaus Staubach), der Finanzierung des Neubaus und dem Einfluss des spanischen Königshauses (Thomas James Dundelet), Michelangelos Verwendung von Travertin (Vitale Zanchettin), den Kuppelplanungen Michelangelos und della Portas (Federico Bellini), der Rezeption Sankt-Peters im 18 Jahrhundert (Werner Oechslin). Mehrere Autoren widmen sich der Ausstattung der Peterskirche mit Gräbern, Altären, Reliquien und Bildern zu unterschiedlichen Zeiten. Behandelt werden: Guglielmo della Portas Ausstattungsprojekte (Christina Riebesehl), das Programm der Capella Gregoriana (Kaspar Zollikofer), der Hochaltar im 16. Jahrhundert (Sible de Blaauw), die Bildausstattung um 1600 (Stefan Kummer), Sankt-Peter in den "Sacri trofei romani" von Torrigo (Hannes Roser), der Baldachin im Spannungsfeld zwischen Bernini und Borromini (Irving Lavin), Bernini und die Bronze des Pantheons (Luise Rice), die Fabbrica, Sankt-Peter und die Stadt (Sarah McPhee), Cortona und Bernini in Sankt-Peter (Christoph Jobst), Alexander VII. und Bernini (Giovanni Morello), der Bedeutungswandel der Cathedra Petri (Sebastian Schütze), die Reliquien der Vierungspfeiler (Ralph-Miklas Dobler), Geschichte und Kritik des Ziboriums (Rudolf Preimesberger), Risse in Berninis Reputation (Tod A. Marder), die Papstgrabmäler des 18. Jahrhunderts (Elisabeth Kieven) sowie Canovas Grabmal für Clemens XIII. (Johannes Myssok). Weitere Beiträge, die sich mit der frühen Planung Neu-Sankt-Peters beschäftigen, werden im Folgenden gesondert angesprochen.
Im Rahmen dieser Rezension ist es nicht möglich auf alle Themen des Bandes ausführlich einzugehen. Herausgestellt seien zunächst drei Beiträge, die ein Schlaglicht auf den einmaligen kunsthistorischen und historischen Rang Neu-Sankt-Peters werfen.
So widmet sich Christof Thoenes der schieren Größe des Baues, die jeder Besucher der Kirche bis heute unmittelbar erfährt. Dabei beleuchtet er Geschichte, Voraussetzungen, Wirkungen und Komplikationen dieser Größe, die die Verhältnisse sprengt und in der Folge zu Ausstattungsproblemen führt.
Hans Hubert zeichnet die Evolution der Architekturzeichnung auf Papier als Planungs- und Entwurfsmittel nach, die ihren historischen Kulminationspunkt eben im Zuge der Planungen für die neue Peterskirche erlebte. Die Entwurfszeichnungen wurden zu einem "künstlerischen Fundus von Ideen und Motiven, die in anderen Kontexten aufgegriffen werden konnten" (119) und aufgegriffen wurden.
Horst Bredekamp verdeutlicht anhand des "moto proprio", des Vollmachtstatuts Pauls III. für Michelangelo von 1549, zweierlei: Zum einen belegt das Dokument die nahezu absolutistische Stellung des Architekten Michelangelo und zum anderen bezeugt es die - letztlich vergeblichen - Bemühungen von Papst und Architekt, die Planungen festzuschreiben und für alle Zukunft bindend zu machen. Verdienstvoll ist eine neue, korrigierte Transkription des Dokuments durch Bredekamp.
Nicht ganz zufällig beschäftigen sich gleich mehrere Beiträge mit der Initialphase der Neubauplanungen unter Julius II. und Bramante, wird dieses Teilgebiet der Sankt-Peter-Forschung doch seit Jahren viel und vor allem kontrovers diskutiert. Diese Vielstimmigkeit liegt darin begründet, dass uns sowohl der vermeintliche Urentwurf als auch ein vollständiger Ausführungsplan Bramantes für das Pontifikat Julius II. nicht überliefert sind. Vielmehr versucht sich die Forschung immer wieder aufs Neue daran, das überlieferte Quellenmaterial der Zeichnungen Bramante zu- oder abzuschreiben, zu datieren, zu ordnen, in eine logische Abfolge zu bringen und im Abgleich mit schriftlichen Quellen darzulegen, was Bramante wie und wann geplant habe. Dabei differieren Prämissen und Methodik der Einzeluntersuchungen und folglich auch deren Resultate erheblich, so wie es die betreffenden Beiträge des Tagungsbandes von Jens Niebaum, Christoph Luitpold Frommel und Georg Satzinger vorführen, die unkommentiert nebeneinander stehen. Im Folgenden sollen diese drei Abhandlungen genauer beleuchtet werden.
Jens Niebaum gelingt eine überzeugende Rekonstruktion des tatsächlich unter Bramante bis zu dessen Tod 1514 errichteten Baubestands inklusive einer plausiblen Genese von zwei Planungsstufen des Bramantechors. Die akribische Abhandlung stellt in dieser Form einen echten Forschungsfortschritt dar.
Einen anderen Weg beschreitet Christoph Luitpold Frommel, dessen Abhandlung ebenfalls den Chor zum zentralen Thema hat. Er knüpft an frühere, eigene Ergebnisse an und versucht seine Thesen zu bekräftigen. Frommels Aufsatz ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Im Rahmen dieser Rezension kann nur eine bezeichnende Ungereimtheit beispielhaft aufgezeigt werden: Er entwirft ein kohärentes Bild der Planungen und des Baufortschritts, das er aus den überlieferten Zeichnungen im Abgleich mit schriftlichen Quellen entwickelt. Seine Überlegungen starten mit einer ausführlichen Analyse des Blattes UA 3, in dessen Grundrissen er die Initialideen Bramantes für den Neubau sieht. UA 3 wird von den meisten Forschern aus durchaus plausiblen Gründen nicht den Sankt-Peter-Planungen zugerechnet. [1] Frommel kämpft sichtlich für das Blatt, argumentiert aber schließlich unsachlich, dass Thoenes und der gesamten jüngeren Forschung "eine allzu idealistische Vorstellung von Bramante als Entwerfer [...] den Blick für die graphischen Qualitäten des Blattes" verstelle (85-86, Anmerkung 18).
Georg Satzinger schließlich widmet sich einer Einordnung des Neubaus in den städtebaulichen Kontext und die topografischen Gegebenheiten vor Ort. Er schlägt eine Neuinterpretation des von Egidio da Viterbo überlieferten Vorhabens Bramantes vor, die Kirche neu zu orientieren, ausgerichtet nach Süden auf den Vatikanischen Obelisken. Dabei versucht er dieses Vorhaben mit dem Aufriss der Gründungsmedaille und dem Grundriss des Pergamentplans in Zusammenhang zu bringen. Eine interessante These, die allerdings weder beweisbar, noch widerlegbar scheint.
Zieht man zu den drei hier besprochenen Bramante-Aufsätzen noch die Beiträge von Thoenes und Hubert hinzu - auch sie besprechen im Rahmen ihrer Abhandlungen die Zeichnungen der frühen Planungsphase -, so zeigen sich weitere Differenzen in Zuschreibung und Bewertung einzelner Blätter. Ich nenne ein paar Beispiele: Thoenes erkennt in dem berühmten Teilgrundriss des Pergamentplans UA 1 die Westpartie eines Kompositbaus. Niebaum, Frommel und Satzinger sehen in ihm die Hälfte eines Zentralbaus, Hubert hält beide Interpretationen für möglich. Gleichzeitig präsentiert der Tagungsband damit drei unterschiedliche Lesarten des Aufrisses der Gründungsmedaille: Thoenes interpretiert sie als West-, Frommel als Ost- und Satzinger schließlich als Südfront des Neubauprojekts. In der Aufrisszeichnung einer Fassade auf UA 5 sieht Frommel eine Studie für Sankt-Peter nach Bramantes Modell, Niebaum erkennt keinen Zusammenhang mit dem Neubauprojekt.
Zusammenfassend sei zu den Bramante gewidmeten Abhandlungen bemerkt, dass sie in Teilen eben das vorführen, was die Herausgeber des Bandes im Vorwort vermeintlich zu vermeiden suchen, dass nämlich Sankt-Peter "allzu oft neu erfunden" würde (8). Der Tagungsband dokumentiert durch seine unkommentierte Zusammenstellung unterschiedlicher Thesen zu Bramantes Sankt-Peter-Planungen deutlich den verfahrenen Zustand der Forschung. Die beliebte Disziplin der Zuschreibung, Datierung und Ordnung inklusive Rekonstruktionsversuchen anhand des überlieferten Zeichnungsmaterials gleicht einem Glasperlenspiel. Einen Ausweg könnte ein systematischer Forschungsbericht weisen, der seit Jahren ein dringendes Desiderat der Sankt-Peter-Forschung bleibt. [2]
Das Themenspektrum des Tagungsbandes deckt einen Zeitraum vom Beginn des Neubaus bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ab. Damit wird es dem Titel "St. Peter in Rom 1506-2006" letztlich nicht gerecht, da künstlerische, religiöse und historische Aspekte der letzten zwei Jahrhunderte komplett fehlen. Insgesamt aber beleuchtet er mannigfaltige Aspekte des Jubilars, des 500jährigen Neu-Sankt-Peters und offeriert so eine Fülle neuer Einblicke in Werden und Wirken der künstlerischen und historischen Prozesse, die von ihm ausgegangen sind.
Anmerkungen:
[1] Zur Forschungsdiskussion um UA 3 siehe ausführlich Jens Niebaum: Bramante und der Neubau von St. Peter. Die Planungen vor dem Ausführungsprojekt, in: Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana 34 (2001/2002), 87-184, hier 170-176.
[2] Vgl. Olaf Klodt: Raffael oder Bramante? Kritische Anmerkungen zur St. Peter-Forschung, in: Jacobs-Weg. Auf den Spuren eines Kunsthistorikers, hg. v. Karen Buttler / Felix Krämer, Weimar 2007, 73-86, hier 77-80.
Olaf Klodt