David J. B. Trim / Mark Charles Fissel (eds.): Amphibious Warfare 1000-1700. Commerce, State Formation and European Expansion (= History of Warfare; Vol. 34), Leiden / Boston: Brill 2006, xxxv + 498 S., ISBN 978-90-04-13244-3, EUR 135,00
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Die größte, aufwendigste und schwierigste militärische Unternehmung der Geschichte war die Landung der Alliierten in der Normandie am D-Day - eine "amphibious", "combined" oder "joint" Operation von See-, Land- und Luftstreitkräften. Der D-Day machte die militärische, wirtschaftliche und logistische Überlegenheit der Alliierten gegenüber dem Deutschen Reich deutlich. An die Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 denkt man zuerst, wenn man "amphibious warfare" liest, auch an die Landungen der Amerikaner auf den pazifischen Inseln im Zweiten Weltkrieg, das "island-hopping", eventuell an die alliierte Invasion Siziliens im Jahr 1943 - und vielleicht, wenn man weiter zurückschaut, noch an das logistisch aufwendige, größte Landungsunternehmen im 18. Jahrhundert, die Einnahme Havannas durch britische Streitkräfte im Jahr 1762. Die 700 Jahre zwischen 1000 und 1700 kommen dagegen wohl nur Wenigen in den Sinn.
Dessen sind sich auch die Herausgeber des Bandes "Amphibious Warfare 1000-1700" bewusst. Doch, so David J.B. Trim und Mark Ch. Fissel, "how amphibious warfare was practised in the eighteenth century owed much to the conduct of combined operations in the earlier era of transition from relatively primitive, albeit ambitious, monarchies into multi-continental empires. It was in these transitional seven centuries that European states were forged and then forged the means by which eventually they would dominate the globe - and in both processes amphibious warfare was pivotal." (3)
Diese Feststellung und ebenso der Untertitel des Buches wecken die Erwartung, dass Handel, Staatsbildung und die europäische Expansion in Übersee die zentralen Themen der in dem Band versammelten Beiträge sind. Ehrlicherweise treten die Herausgeber diesem Eindruck aber umgehend entgegen: "The chapters in this volume are primarily essays in military history and especially in the history of warfare. They focus on tactics, operational art, strategy, and logistics." (4) Der Band sei in erster Linie militärhistorisch ausgerichtet, es gehe vor allem um die Durchführung amphibischer Operationen. Allerdings hätten diese Unternehmungen auch Auswirkungen von weitergehendem Belang zur Folge gehabt, denen sich die Autoren des Bandes bewusst seien. Fragen nach den wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Hintergründen würden daher im Gesamtzusammenhang angesprochen, wenn auch nicht immer en detail beantwortet.
Darüber hinaus ist die "militärische Revolution" ein Thema. Die Beiträge beziehen in dieser Frage eher die Position Geoffrey Parkers, der die Entwicklungen in der europäischen Militärtechnologie und auf dem Gebiet der Operationsführung für signifikant genug hält, um sie als revolutionär zu qualifizieren und sie für die europäische Dominanz über den Erdkreis vom 16. bis zum 18. Jahrhundert verantwortlich zu machen. Die Essays unterstützen weniger Jeremy Blacks These von den "multi-centred [military] developments", die es auf der Welt gegeben habe, als vielmehr die der "one pattern of military development" [1], die sich von und durch Europa über die Erde verbreitet habe. Denn die Artikel zeigen, dass amphibious warfare in Europe erdacht und von Europa aus exportiert wurde.
Das Buch ist hervorragend gestaltet und ausgestattet, mit 12 Karten und 31 zeitgenössischen Illustrationen. Es umfasst elf Kapitel und eine Schlussfolgerung. Im ersten Kapitel, "Amphibious Warfare, 1000-1700. Concepts und Context" (1-50), umreißen Trim und Fissel den Rahmen der Gesamtstudie und geben eine Definition von amphibious warfare: "A form of warfare in which land-based and waterborne forces cooperate, on at least one side, whether against a similar conjunction of forces, or against a solely land or water-based enemy" (27). Im zweiten Kapitel gibt Matthew Bennet einen Überblick über die amphibischen Operationen "from the Norman Conquest to the Crusades of Saint Louis, 1050-1250" (51-68), im dritten untersucht Louis Sicking "The Hansa, Holland and the Habsburgs" und deren Kriegführung in der Ostsee vom 14. bis zum 16. Jahrhundert vor allem unter operativen und strategischen, finanziellen und organisatorischen Gesichtspunkten (69-101). Daran schließt inhaltlich Jan Gletes Übersicht über die amphibischen Operationen in der Ostsee im 16. und 17. Jahrhundert im 5. Kapitel an (123-147).
Davor und danach sind Fallstudien angeordnet: Eine breit angelegte Untersuchung über portugiesische kombinierte Unternehmungen im Indischen Ozean zwischen 1500 und 1520 von Malyn Newitt ist Inhalt des vierten Kapitels (103-121). Und im sechsten Kapitel beschäftigt sich der wohl beste Kenner der Verhältnisse, John F. Guilmartin Jr., auf archivalischer Basis mit der Belagerung von Malta 1565 und dem Kampf Habsburgs und des Osmanischen Reichs um die Vorherrschaft im Mittelmeer (148-180). Sein Resümee: "In amphibious operations success is highly - perhaps uniquely - dependent on the skill, competence and forsight of senior commanders and their staffs." (179) Im siebten Kapitel untersucht Richard Bruce Wernham die "Amphibious Operations and the Elizabethan assault on Spain's Atlantic economy 1585-1598" (181-215). Wernham verstarb 1999, kurz nachdem er einen ersten Entwurf seines Beitrags mit den Herausgebern des Bandes besprochen hatte. Deshalb haben Trim und Fissel die Änderungen vorgenommen. Wernhams Interesse galt mehr als das aller anderen Autoren den wirtschaftlichen Implikationen von amphibischen Unternehmungen, sein Paradebeispiel sind die Seezüge Sir Francis Drakes.
Da sich die Anordnung der Beiträge an der Chronologie orientiert, folgen auf die beiden Fallstudien wieder zwei Überblicke, ein analytisch angelegter von Mark Fissel im achten Kapitel über "English Amphibious Warfare, 1587-1656" (217-261) und von Guy Rowlands ein allgemein gehaltener über "The King's Two Arms: French Amphibious Warfare in the Mediterranean und Louis XIV, 1664-1697" (263-314) im neunten Kapitel. Kapitel zehn enthält wieder eine Fallstudie, John M. Stapletons Jr. "Amphibious Operations and Alliied Strategy during the Nine Year's War, 1688-1697" (315-356). Im elften Kapitel gibt David Trim eine Gesamtschau vom "Medieval and Early-Modern Inshore, Estuarine, Riverine and Lancustrine Warfare" (357-419).
Die Schlussfolgerung von Trim und Fissel fasst die Ergebnisse der einzelnen Beiträge zusammen (421-456): Sie unterstreicht die Bedeutung von kombinierten Operationen, um handels- bzw. wirtschaftspolitische Ziele zu erreichen und finanziellen Gewinn zu machen (423) und hebt sie als das geeignetste militärische Mittel hervor, um den europäischen Machtvorsprung in die außereuropäische Welt zu tragen (427). Allen Unternehmungen gemein sei, dass sie für sich genommen sehr kompliziert und aus diesem Grund nur sehr schwer durchzuführen gewesen seinen (432). Es habe sich gezeigt, dass die Befähigung, amphibische Operationen durchzuführen, immer wieder an die physischen, politischen und strategischen Bedingungen der jeweiligen Zeit habe angepasst werden können, dass jedoch die Beherrschung von kombinierten bzw. Landungsunternehmen in jeder Generation habe neu erlernt und an die technologischen, organisatorischen und strategischen Veränderungen habe angepasst werden müssen (454).
Die in dem Band versammelten Essays decken nicht das gesamte Spektrum amphibischer Operationen, Taktiken und Strategien des Untersuchungszeitraums vom elften bis zum siebzehnten Jahrhundert ab. Aber sie erlauben durch die klug getroffene Zusammenstellung - wie die Herausgeber beabsichtigten - einen repräsentativen Einblick in die Organisation, die Durchführung und das Ziel amphibischer Operationen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit.
Anmerkung:
[1] Jeremy Black: European Warfare. 1494-1660, London / New York 2002, 1-2. Vgl. hierzu die Rezension von Marian Füssel, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 6; URL: http://www.sehepunkte.de/2006/06/2255.html.
Jürgen Luh