Markus Schrödl: Das Kriegsrecht des Gelehrten Rechts im 15. Jahrhundert. Die Lehren der Kanonistik und der Legistik über De bello, de represaliis, et de duello (= Rechtsgeschichtliche Studien; Bd. 14), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2006, LIII + 295 S., ISBN 978-3-8300-2356-2, EUR 95,00
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Traditionell gilt die Frühe Neuzeit als jene Epoche, in der Kriegsrecht und Völkerrecht entstanden. An dieser Auffassung hat die Erkenntnis, dass schon im späten Mittelalter sich verschiedene Autoren über diese Themen äußerten, bislang wenig geändert. So ist es grundsätzlich verdienstvoll, sich diesen mittelalterlichen Formen (oder besser: Vorformen) von Kriegs- und Völkerrecht zuzuwenden. Die vorliegende rechtsgeschichtliche Dissertation bietet allerdings nur erste Ansätze für eine Gewinn bringende Behandlung des Themas.
Ziel des Autors ist es, "das Kriegsrecht des Gelehrten Rechts im 15. Jahrhundert aus der Sicht der Kanonistik und Legistik systematisch darzustellen" (2). Zu diesem Zweck stellt er einleitend kurz diejenigen Rechtsgelehrten vor, die sich zu Fragen des Kriegsrechts schriftlich geäußert haben: zum Beispiel Johannes von Lignano und Baldo de Ubaldis, aber auch Honoré Bouvet und Christine de Pizan. Der erste Hauptteil des Werkes betrifft dann die "Grundlegung der Begriffe". Hier werden grundsätzliche Fragen behandelt, zum Beispiel nach der Definition von Krieg, nach Ziel und Arten des Krieges und so weiter. Die beiden weiteren Hauptteile gelten den beiden Arten von Krieg, welche die mittelalterlichen Juristen unterscheiden: dem "bellum publicum" oder "universale" bzw. dem "bellum particulare"; mit dem zuletzt genannten Begriff werden Notwehr, Repressalien und Zweikämpfe bezeichnet. Eine knappe Zusammenfassung stellt die Ergebnisse dar. Zu Recht verweist der Autor hier darauf, dass es im späten Mittelalter durchaus eine reichhaltige Diskussion über Fragen des Kriegsrechts gegeben habe.
Die Untersuchungen beschränken sich - ganz nach dem Muster heutiger juristischer Abhandlungen - ausschließlich darauf, die Aussagen der einzelnen Verfasser zu bestimmten Themen zusammenzustellen, zu vergleichen und festzustellen, inwieweit die Auffassungen übereinstimmen. Sorgfältig folgt der Autor dabei den mittelalterlichen Rechtswissenschaftlern durch die Windungen ihrer Argumentation. So unterscheidet er sieben Fälle von "Einschränkungen bzw. Ausschluss der Notwehr für Kleriker", acht Fälle von "Pflichtenkollisionen" im Krieg und sogar elf "Regeln des Duells". Insofern ist das spätmittelalterliche Kriegsrecht tatsächlich systematisch dargestellt.
Doch fehlt bei diesem rechtswissenschaftlichen Vorgehen in einer rechtsgeschichtlichen Arbeit die genuin historische Perspektive. Dies zeigt sich schon in der Konzeption der Untersuchungen. Getreulich übernimmt der Autor die spätmittelalterliche Unterscheidung von "bellum publicum" und "bellum particulare", er hält dabei als bemerkenswert fest, dass die spätmittelalterlichen Juristen auch Zweikämpfe als "bellum" bezeichneten und abhandelten. Als Ursache benennt er eine "weite Kriegsdefinition" (291). Dieser Definition liegt jedoch ganz offensichtlich zugrunde, dass man Formen von Gewaltausübung anders erfasste und ordnete, als wir das heute tun. Der Autor nimmt dies jedoch gar nicht in den Blick, er versucht erst recht nicht zu ermitteln, was dies für das politische und juristische Denken der Zeit bedeutete, welches Bild die spätmittelalterlichen Juristen von Gewaltausübung überhaupt besaßen. Ebenfalls nicht angesprochen wird die Frage, welche konkreten Folgen für Rechtsprechung und Politik die theoretischen Darlegungen der Rechtswissenschaftler überhaupt hatten.
Auch bei weniger grundlegenden Fragen bleibt der Autor ganz den vorgegebenen zeitgenössischen Kategorien verhaftet, ohne sie konsequent zu problematisieren und daraus Konsequenzen für seine Darstellung zu ziehen. Durchgängig spricht er zum Beispiel von "Duell", wo die Autoren "duellum" schreiben, obwohl es sich nur bei einigen dieser Zweikämpfe um Duelle im heutigen, engeren Sinn handelt. Andere "duella" sind solche, die man gemeinhin als Gottesurteile oder Ordalien bezeichnet, doch diese beiden Begriffe tauchen gar nicht auf. Stets hält sich der Verfasser eng an seine Quellen, verzichtet jedoch oft auf die historische Einordnung. So erwähnt er zum Beispiel, dass nach einigen mittelalterlichen Juristen Zweikämpfe im Sinne von Gottesurteilen nach dem "Lombardischen Recht" unter bestimmten Umständen erlaubt seien, und listet dann nicht weniger als 25 Fälle auf, in denen dies der Fall sein solle, äußert sich aber nicht dazu, was dieses "Lombardische Recht" eigentlich sein mag.
Wer sich über die Aussagen der spätmittelalterlichen Juristen zu unterschiedlichen Aspekten des Kriegsrechts informieren will, kann dies in diesem Werk detailliert tun. Die historische Kontextualisierung aber fehlt weitgehend.
Malte Prietzel