Axel Kellmann: Anton Erkelenz. Ein Sozialliberaler im Kaiserreich und in der Weimarer Republik (= Geschichte; Bd. 79), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2007, 245 S., ISBN 978-3-8258-0343-8, EUR 24,90
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In seiner im Jahre 2007 an der Fernuniversität Hagen vorgelegten Dissertation lenkt der Historiker Axel Kellmann, Dozent im Bundesverwaltungsamt in Köln, mit Anton Erkelenz (1878-1945) den Blick auf einen sozialliberalen Gewerkschafter und Politiker, der bisher von der Geschichtswissenschaft kaum wahrgenommen wurde. Den Grund hierfür liefert der Verfasser selbst: Anton Erkelenz war mit seinen politischen Forderungen nicht nur in der eigenen Partei, der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) gescheitert (189), sondern auch ohne Einfluss auf die Reichspolitik geblieben, trotz seiner exponierten Stellung als Vorsitzender des Vorstandes einer Partei in Regierungsverantwortung. Der Ausgangspunkt für das Forschungsinteresse Kellmanns ist die "Ausnahmestellung" seines Protagonisten im deutschen Liberalismus (8), die sich nach Meinung des Verfassers in Erkelenz' Vision einer bürgerlichen Arbeiterpartei sozialliberaler Provenienz manifestiert. Ein durch Einbeziehung der Interessen der Arbeiterschaft erneuerter Liberalismus hätte den Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital zum Wohle der Gesellschaft überwinden sollen, ohne die kapitalistische Wirtschaftsordnung grundsätzlich infrage zu stellen.
Methodisch bewegt sich Kellmann auf bewährtem Terrain, indem er die Biographie, die in der Darstellung zwischen einer chronologischen und einer sachthematischen Ebene wechselt, in eine sozial- und strukturhistorisch orientierte Geschichte des Kaiserreichs und der Weimarer Republik einbettet. Die Untersuchung, die den aktuellen Forschungsstand zur Geschichte des deutschen Liberalismus im Allgemeinen und die Geschichte der DDP im Besonderen reflektiert, basiert auf umfangreichem Quellenmaterial. Kellmann konzentriert sich hierbei vornehmlich auf die Auswertung des Nachlasses von Anton Erkelenz, der im Bundesarchiv Koblenz aufbewahrt wird. Aber auch die dort archivierten nachgelassenen Dokumente anderer liberaler Spitzenpolitiker seiner Zeit wie Friedrich von Payer, Erich Koch-Weser, Georg Gothein und Heinrich von Gerland fließen in die Studie ein. Die zweite Quellengrundlage bilden die Zeitschriften, in denen Erkelenz als Journalist regelmäßig publizierte. Hier sind "Die Hilfe" und der "Demokrat" hervorzuheben.
Die in fünf Kapiteln untergliederte Biographie betont besonders das politische Denken Erkelenz' und seine Tätigkeit als Gewerkschafts- und Parteifunktionär in den Jahren 1902 bis 1929. Anton Erkelenz, der Sohn einer Handwerkerfamilie, begann seine politische Karriere als hauptamtlicher Arbeitersekretär im liberalen Hirsch-Dunckerschen Gewerkverein in Düsseldorf. Hier machte er sich bald einen Namen als sozialliberaler Kapitalismuskritiker und entschiedener Verfechter für innerbetriebliche Demokratie und Arbeitnehmerrechte (16ff.). Im November 1918 gehörte Erkelenz zu den Mitbegründern der DDP in Düsseldorf, deren Ortsvorsitzender er wurde. Im Januar 1919 wurde Anton Erkelenz in die Nationalversammlung gewählt und in den Hauptvorstand der DDP berufen. Mit seiner Wahl zum Vorsitzenden des Parteivorstandes im Jahre 1921 erreichte Erkelenz den Höhepunkt seiner politischen Karriere. Ein Richtungsstreit in der DDP veranlasste den linksliberalen Politiker 1930 zum Übertritt in die SPD, wo er keine politische Wirkung zu entfalten vermochte (191ff.).
Kellmann arbeitet anschaulich heraus, dass Erkelenz mit seinen sozialpolitischen Forderungen und Konzepten eine Sonderstellung im deutschen Liberalismus einnimmt, wohingegen seine außenpolitischen Positionen in der Weimarer Zeit überwiegend auf Parteilinie lagen. Kellmann schildert kenntnisreich Erkelenz' unermüdlichen Einsatz für eine Demokratisierung der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Vor diesem Hintergrund wollte Erkelenz den Liberalismus auf eine neue sozial- und wirtschaftspolitische Grundlage stellen und als eigenständige politische Kraft der Mitte organisatorisch etablieren (38ff.). Es sollte eine neue liberale Volkspartei entstehen, die alle Teile der Gesellschaft gleichermaßen repräsentiert und von einer liberalen Arbeiterbewegung getragen wird.
Sein politisches Denken war stark von sozialliberalen Anschauungen beeinflusst, die Liberale und Intellektuelle wie Friedrich Naumann, Theodor Barth und Lujo Brentano prägten (39). Als linksliberaler Sozialreformer wollte Erkelenz den Kapitalismus nicht abschaffen. Allerdings strebte er eine "Humanisierung" des Kapitalismus auf evolutionärem Wege an (185). Von Naumann griff Erkelenz die Idee der "konstitutionellen Fabrik" (47f.) auf und entwickelte hieraus sein Modell einer weitestgehend entstaatlichten sozialen Selbstverwaltung der Arbeiterschaft (184ff.). Dieses von Kellmann im dritten Kapitel detailliert beschriebene Konzept sah im Kern die Schaffung innerbetrieblicher Mitbestimmungsrechte, Gewinnbeteiligungen und moderne Arbeitsschutzgesetze für die Arbeitnehmer vor, die ihre Interessen in Betriebsräten organisieren sollten (110). Der von Erkelenz angestrebte sozialpolitische Kurswechsel in der Reichspolitik blieb allerdings aus. Seine Ideen waren weder im Liberalismus noch in der Sozialdemokratie mehrheitsfähig. (189). Auch gelang es ihm nicht, die DDP als Arbeiterpartei zu reorganisieren bzw. die Arbeiterschaft langfristig an die liberale Partei zu binden. Erkelenz ist mit seinen politischen und organisatorischen Hauptanliegen gescheitert.
Kellmann erklärt das politische Scheitern Erkelenz' damit, dass dieser mit seinen Positionen in seiner Partei keine Unterstützung fand. Vielen in der DDP ging seine Öffnung zu vermeintlich sozialdemokratischen Positionen zu weit. Außerdem habe Erkelenz den Umstand verkannt, dass der Liberalismus über keine liberaldemokratische Entsprechung des sozialdemokratischen Arbeitermilieus verfügte und den Arbeitern somit keine spezifischen subkulturellen Angebote machen konnte, in denen diese sich hätte "heimisch" fühlen können (218f.).
Axel Kellmann legt eine solide und gut lesbare Biographie über Anton Erkelenz vor, die aufgrund ihrer quellennahen und konzisen Darstellung für jeden mit Gewinn gelesen werden kann, der sich mit der Geschichte des deutschen Sozialliberalismus in der Weimarer Republik befasst. Ihm kommt das Verdienst zu, einen bemerkenswert eigenständig denkenden Liberalen in Erinnerung gerufen zu haben, dessen Konzepte vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Sozialpolitik durchaus diskussionswürdig sind. Allerdings hätte man sich insgesamt eine kritischere Auseinandersetzung Kellmanns mit den Positionen von Anton Erkelenz gewünscht. An manchen Stellen des Buches gewinnt man den Eindruck, dass Kellmann nicht ganz die nötige kritische Distanz zum Thema seiner Arbeit wahren kann. Leider verzichtet er auf die Formulierung zugespitzter Thesen, die eine ergiebige weiterführende Forschungsdiskussion hätten anregen können. So kann zum Beispiel die Frage gestellt werden, ob der Kapitalismus im sozialen Sinne überhaupt reformfähig ist.
Salvador Oberhaus