Rezension über:

Birgit Bornemeier: Kunstgeographie. Die kunstgeographische Analyse als Methode einer synthetisch-kulturgeographischen Raumdifferenzierung am Beispiel der Renaissance in Deutschland. Dissertation Trier 2006. URN: urn:nbn:de:hbz:385-3555, Trier: Universitätsbibliothek Trier 2006

Rezension von:
Stephan Hoppe
Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Stephan Hoppe: Rezension von: Birgit Bornemeier: Kunstgeographie. Die kunstgeographische Analyse als Methode einer synthetisch-kulturgeographischen Raumdifferenzierung am Beispiel der Renaissance in Deutschland. Dissertation Trier 2006. URN: urn:nbn:de:hbz:385-3555, Trier: Universitätsbibliothek Trier 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 9 [15.09.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/09/14854.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Birgit Bornemeier: Kunstgeographie. Die kunstgeographische Analyse als Methode einer synthetisch-kulturgeographischen Raumdifferenzierung am Beispiel der Renaissance in Deutschland

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Die hier zu besprechende Arbeit kann als Hinwendung zu gleich zwei wesentlichen Desideraten der deutschen kulturwissenschaftlichen Forschung verstanden werden: zu dem in bestimmten Kombinationen immer noch lediglich punktuellen interdisziplinären Diskurs und der lange Zeit über unbefriedigenden wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Architektur der Renaissance in Deutschland. Die Arbeit wurde 2006 als Dissertation am Fachbereich VI (Geografie / Geowissenschaften) der Universität Trier angenommen. Der Untersuchung liegt eine immense Arbeitsleistung zugrunde; die Autorin spricht von zehn Jahren Reisetätigkeit in Deutschland, auf der ein großer Bestand an kategorisierten Bauerfassungen und Fotos entstanden ist, der aber leider zur Zeit nur unvollständig der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Hier wäre eine zukünftige Kooperation mit einem Online-Bildarchiv wie PROMETHEUS vielleicht sinnvoll. Die PDF-Fassung der Arbeit zeigt zwar durchaus eine große Auswahl an Farbfotos, diese aber leider in sehr schlechter Darstellungsqualität; in diesem Aspekt hätte man der Arbeit eine hochwertige Buchausgabe gewünscht.

Sehr zu begrüßen ist auch die Aufnahme zahlreicher Wohn- und Sonderbauten und Fachwerkgebäude, die dem traditionellen Bild der Renaissancearchitektur als Ensemble steinerner Fassaden entgegentreten. Auch dem Fachmann fällt hier immer wieder Neues auf, und der immer noch große Reichtum der baulichen Überlieferung der Epoche in Deutschland kommt eindrucksvoll zur Geltung. Nicht umsonst befasst sich die Autorin im hinteren Teil der Arbeit auch mit touristischen Anknüpfungsstrategien an dieses kulturelle Erbe. Man bekommt Lust, zu reisen. Leider fehlen fast vollständig Abbildungen von Innenräumen der Epoche, seien es Sakral- oder Profanräume (eine der wenigen Ausnahmen ist der Friedenssaal des Rathauses in Münster als Abb. 226, es ist nicht klar, was ihm hier zu dieser Prominenz verholfen hat).

Ziel der Arbeit ist es, "Fragen der Verbreitung von Architektur im Raum" (7) nachzugehen, also der lange Zeit über in der deutschsprachigen Forschung nur mit Zurückhaltung angepeilten "Kunstgeografie" neue Impulse zu geben. Die deutsche Zurückhaltung war verständlich, wenn man sich die Instrumentalisierung des kulturellen Raumbegriffs bis hin zur Blut-und-Boden-Ideologie der Nationalsozialisten vor Augen hält. In anderen Ländern ohne diese politischen Konnotationen ist man mit dem Thema unbefangener umgegangen, so dass sich zur Zeit bei der wichtigen Kategorie Raum in Bezug auf kulturelle Phänomene ein merkliches Forschungsgefälle bemerkbar macht, dem aber in letzter Zeit aktiver entgegengearbeitet wird. [1]

Auch zum Thema der Renaissance in Deutschland war in den vergangenen Jahrzehnten eine deutliche Zurückhaltung vonseiten der nichtregional arbeitenden Wissenschaft zu beobachten, so dass bis vor Kurzem nur ältere und auch inhaltlich wie methodologisch schon recht veraltete Überblickswerke vorlagen, von denen Hitchcocks von 1981 als die tauglichste galt, aber offensichtlich noch nicht einmal einer Übersetzung ins Deutsche für wert befunden wurde. [2] Jede neue Arbeit, die das Phänomen in größeren Zusammenhängen in den Blick nimmt, ist deshalb grundsätzlich zu begrüßen. Umso mehr ist es zu begrüßen, wenn auch neuere Ansätze, "die Kunst als Teil von sozialen Prozessen" (63) zu erforschen, aufgegriffen werden, da ein Großteil der älteren deutschen Forschung nur noch schwer an aktuelle wissenschaftliche Fragestellungen anschlussfähig ist. Die Autorin hat sich breit in der wissenschaftlichen Literatur umgesehen, wobei sie sichtlich von ihrem akademischen Nebenfach Kunstgeschichte profitiert hat.

Trotzdem fragt sich der Rezensent als Kunsthistoriker (für andere Disziplinen kann er verständlicherweise nicht sprechen) nach dem Durchgang durch das reiche Material, was den wissenschaftlichen Ertrag der Arbeit ausmacht.

"Die flächendeckende Erfassung erlaubt eine Quantifizierung des Bestands und bildet den objektiven Ausgangspunkt für den induktiven kunstgeographischen Ansatz, der von ausgewählten repräsentativen Einzelwerken ausgehend auf das Allgemeine schließen lässt. Da sich stilistische Zuordnungen von Kunst und Bauwerken jedoch nicht (zuverlässig) aus einer Summe von Einzelmerkmalen ableiten lassen, ist eine individuelle Wertung notwendig, die eine Prüfung der als thematisch relevant zu definierenden kunstgeographischen Faktoren einschließt. Empirische Informationen sind so zu filtern, dass generalisierende Aussagen erreicht werden." (543)

Es mag etwas zu beckmesserisch erscheinen, aber angesichts dieses Zitats drängt sich wie auch an anderen Stellen der Eindruck auf, dass es sich trotz der Verarbeitung zahlreicher historischer Daten und der Wahl des Untertitels bei dieser Dissertation dem Prinzip nach um keine historiografische Arbeit handelt, sie also weniger die Architektur als Phänomen der Renaissanceepoche als ihre Rezipierbarkeit in heutigen, tatsächlich stark durch die (ältere) Kunstgeschichte geprägten Kontexten zum Thema hat. In diesem Sinn ist der Ausblick auf touristische Vermarktungsstrategien auch folgerichtig.

Was jedoch die Arbeit nicht leisten kann, ist die Abbildung aktueller kunstwissenschaftlicher Diskurse auf den so reich, aber eben auch sehr einseitig erfassten Bestand. In der Arbeit changiert der Renaissancebegriff zwischen Epochenbezeichnung und verschiedenen Stilkategorien, nämlich als Systemstil (im Sinne des Vitruvianismus), als retrospektiver Stil (Antikenrezeption) oder in entgegengesetzter Richtung als Innovationsstil. Angesichts der zentralen Rolle, die der Stilbegriff in Verbindung mit dem Renaissancebegriff in der Arbeit spielt, und angesichts des wissenschaftlichen Anspruchs der Untersuchung hielte es der Rezensent für unbedingt notwendig, neuere Ansätze sowohl zum kunstwissenschaftlichen Stilbegriff als auch zum Begriff der Renaissanceepoche im nordalpinen Bereich zu rezipieren. [3] Dann wäre wahrscheinlich aufgefallen, dass in gewichtigen kunstwissenschaftlichen Diskursen eine direkte Verbindung von Epoche und Stil immer stärkerer Kritik unterzogen wird, eine umstandslose Gleichsetzung von Stil und Epoche also nicht mehr zulässig ist. Jüngst ist beispielsweise die Einsicht, dass der Renaissancepoche auch andere als auf dem italienischen Modell fußende Stile zugehören, eindrucksvoll auf einer internationalen Konferenz in Paris erläutert worden. [4]

Die Autorin hat also leider einen merklichen Teil der architektonischen Phänomene, die man aktuell mit der Renaissanceepoche in Deutschland verbindet, gar nicht in den Blick genommen. Wenn aber Stilbegriffe immer häufiger als soziale Konstruktionen erkannt werden, so hätte gerade die Konstruktion im Kontext dieser Untersuchung reflektiert werden müssen. In der Arbeit geht Stil als vermeintlich objektive Qualifizierung ständig mit dem Konzept des Stils als kognitive Konstruktionsleistung ("individuelle Wertung", vgl. oben) durcheinander. Motive, Bautypen, Baumaterialien als durchaus recht zuverlässig objektivierbare Beschreibungsparameter werden auf gleicher Ebene wie Stilbegriffe verwendet, ohne die grundlegende produktionslogische Differenz zu beachten. Deshalb sind die in der Arbeit herausgearbeiteten kunstgeografischen Räume auch leider für die historische Forschung weitgehend bedeutungslos, anders übrigens als für ein touristisches Marketing, das gut mit wissenschaftlich überholten Begriffen leben kann, sofern sie nur einem heutigen Beobachter als einleuchtend von Augen stehen. Es ist gewiss nicht leicht, über Fächergrenzen hinweg alle methodologischen Fallstricke der aktuellen, hochreflektiven Wissenschaften zu vermeiden, intensive persönliche Kontaktaufnahmen auf Konferenzen und im Rahmen fächerübergreifender Einzel- wie Cluster-Projekte werden deshalb aber immer wichtiger für das Gelingen wissenschaftlicher Arbeit.


Anmerkungen:

[1] Vgl. dazu die Sonderausgabe von Kunstform 7 (2006), Nr. 4: Raum und Ort als Kategorien der Kunstgeschichte, hg. von : Stephan Hoppe / Kristin Böse, URL: http://www.arthistoricum.net/index.php?id=275&ausgabe=2006_04

[2] Henry-Russell Hitchcock: German Renaissance architecture, Princeton, New Yersey 1981.

[3] Ohne Anspruch auf Ausgewogenheit, z.B.: Ulrich Pfisterer: Donatello und die Entdeckung der Stile. 1430-1445, München 2002; Heinrich Klotz: Der Stil des Neuen. Die europäische Renaissance, Zweite, korrigierte Aufl. Stuttgart 1997; Hubertus Günther: Die ersten Schritte in die Neuzeit. Gedanken zum Beginn der Renaissance nördlich der Alpen, in: Wege zur Renaissance. Beobachtungen zu den Anfängen neuzeitlicher Kunstauffassung im Rheinland und in den Nachbargebieten um 1500, hg. von Norbert Nussbaum / Claudia Euskirchen / Stephan Hoppe, Köln 2003, 30-87; Jeffrey Chipps Smith: The Northern Renaissance, London 2004.

[4] Le Gothique de la Renaissance, Paris, 12.-16. Juli 2007, man kann natürlich nicht die Kenntnis dieser Tagung in einer 2006 abgeschlossenen Arbeit erwarten.

Stephan Hoppe