Bernard Lewis: Political Words And Ideas In Islam, Princeton: Markus Wiener Publishers 2008, 186 S., ISBN 978-1-5587-6424-8, USD 89,95
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Der Mittelosthistoriker Bernard Lewis kehrt in diesem Buch über politische Wörter und Ideen zu einem seiner Hauptthemen zurück. Hatte er am Anfang seiner Laufbahn ein Handbuch des diplomatischen und politischen Arabisch publiziert [1] und zwischendurch manche Aufsätze darüber beigesteuert, so widmete er dem vor drei Dezennien einen eigenen Band über die politische Sprache des Islams.
Auch danach erschienen in seinen Büchern - so zum Beispiel in "A Middle East Mosaic" mit Abschnitten über "Migratory Words" and "What Is Your Name And How Do You Spell It?" - Ausführungen zum politischen Wortschatz in den drei großen Sprachen des Islam: Arabisch, Türkisch und Iranisch. Der vorliegende Band vereint weitere solcher weithin verstreuten Aufsätze, die jeweils in anderen Zusammenhängen entstanden sind. Für den Princetoner Gelehrten ist der Islam, wie er im Vorwort meint, und die damit verbundene Zivilisation "vielleicht die politischste von all den religiösen Kulturen".
Dieser Ansatz zeigt sich auch in den zwölf Kapiteln. Sie behandeln Regierung und Staat sowie Freiheit und Konsultation. Dann folgen Politik, Usurpatoren und Tyrannen sowie die quietistische und die aktivistische Tradition im Islam. Im Mittelteil des Buches geht es um König, Herrschertitel der ersten Abbasidenkalifen und um das Daftar-Register. Betrachtungen über den Osmanischen Reichsrat, die Republik und die modernen politischen Termini im Arabischen beschließen diesen Band.
Um Einblicke in das gehaltvolle Werk zu vermitteln, seinen hier nur einige Gedanken des Autoren über die politischen Begriffe im modernen politischen Arabisch herausgegriffen. Bernard Lewis betont vier Wege, auf denen sich der politische Wortschatz im Arabischen erweitert, die: Lehnwörter, Neologismen, Verjüngung und Arabisierung. Dabei geht der Autor davon aus, dass das moderne Hocharabisch, im Gegensatz zum Umgangsarabisch und zu Türkisch (sowie zu Ivrit, könnte man hier ergänzen), stets nur wenige Lehnwörter akzeptiert. Und selbst in diesem Falle bleiben sie lexikalisch als geborgt erkennbar, indes sie zumeist grammatikalisch assimiliert werden.
Lehnwörter lassen sich mit ihrem ausländischen Ursprung identifizieren. Zum Beispiel bei Institutionen barlaman, Parlament. Oder Funktionen wie Konsul, qunsul (qunsuliyya, Konsultat). Oder politische Bewegungen und Ideologien wie Bolschewik, balshafi, und Faschist, fash[ist]i. Während ersteres nur noch selten vorkomme, werde letzteres oft mit Nazi, nazi, verknüpft. Im Fall des pejorativen diktatorisch, diktaturi (Nomen diktaturiyya), und des positiv besetzten Attributs demokratisch, dimuqrati (dimuqratiyya), verweist der Autor darauf, dass diese Wörter auf europäischen und amerikanischen Umwegen in das Arabische kamen. Dies, obwohl sie doch direkter aus dem Griechischen hätten kommen können. Ähnliche Aspekte, dies sei hier am Rande nur eingeflochten, vertiefte Stephan Dähne in seinem Band über Reden der Araber in der klassischen arabischen Literatur (Lang: Frankfurt am Main 2001) sowie kürzlich in einem von Sebastian Günther edierten Fundamentalwerk über Bilder und Methoden literarischer Portraits (Brill: Leiden 2005).
Doch zurück zu den Gedanken von Bernard Lewis über Lehnwörter auf angelsächsischen Umwegen. Dafür gebe es zwei Ursachen, sagt dieser Historiker. Zum einen sei im frühen und mittelalterlichen Arabisch für dimuqrati auch madina jama'iyya verwandt worden. Zum anderen hätten arabische Autoren seit dem 19. Jahrhunderts entweder kaum solche alten Texte studiert. Oder, fügt der Experte augenzwinkernd hinzu, man möge sie doch entschuldigen, dass sie nicht den inhaltlichen Zusammenhang zwischen den so benannten Systemen von einst und ihrer gleichnamigen heutigen Realität in Mittelost erkannt hätten.
Dies könne man auch über Neologismen sagen. Ein Wortneubildung wie etwa Republik, jumhuriyya (Griechisch poleitia, Latein res publica) hatte im klassischen Arabisch das Äquivalent madina mit aramäischen Wurzeln: Land, Distrikt, Stadt. Als funktionierende Republiken wie Venedig entdeckt worden sind, wuchs der Bedarf nach einer genaueren Beschreibung.
Diese erbrachte aber erst die Französische Revolution. Und zwar auf dem osmanischen Umweg, von wo die türkische Entsprechung in das Arabische einging. Türken seien die erste islamische Herrschergruppe gewesen, die in Mittelost solcherlei Neuheiten studiert und administrativ eingeführt hätten. Als mit dem Untergang des Osmanischen Reichs auch Türkisch als dominierende Regionalsprache zurückwich, seien es die europäischen Sprachen wie Französisch, Russisch, Englisch oder Italienisch gewesen, die Startpunkte oder Schablonen für Neologismen lieferten. Daher habe sich das moderne Hocharabisch relativ spät entwickelt - siehe das libysche jamahiriyya, um nur beim Beispiel zu bleiben -, zumal für Türken das klassische Arabisch etwa die Rolle erfüllt hat wie in Europa das Latein und Griechisch. Nebenbei, dies hat Ignacy Nasalski im modernen Hocharabisch anhand der politische Metapher in Ägypten aufgehellt (Harrassowitz: Wiesbaden 2004).
Deutsch, könnte man hier anfügen, hat bei Lehnwörtern und Neologismen im modernen Arabisch eine späte Nebenrolle gespielt. Deutschland hatte in Mittelost keine Kolonien und lieferte nur wenige Wörter aus dem politischen und sozialen Bereich wie Hinterland, hintarland, Realpolitik, rialbulitik, oder Kindergarten, kindargardan. Und selbst letzteres mag als Lehnwort eher aus dem Englischen übernommen worden sein, wobei es alsbald durch raudat al-atfal arabisiert wurde.
Schwer absehbar und eher selten behandelt sind technologische Bereiche, darunter in der chemischen und Auto-Industrie, bei Computer und Internet, wo es auch im Arabischen so eigenartige Verquickungen der hier von Bernard Lewis plastisch erhellten vier Arten der Wortbildung und der Wortnutzung mit einer Lawine an Internationalismen gibt. Es wäre interessant zu erfahren, wie lange sich solche Termini als Lehnwörter halten, wann und warum sie dann wohl arabisiert werden. Kurzum, dieses höchst empfehlenswerte Buch von Bernard Lewis gibt der Forschung mannigfaltige, in seiner orientalistischen Gelehrtheit und multilingualen Vielseitigkeit beispielgebende Impulse.
Anmerkung:
[1] Vgl. hierzu: http://www.trafoberlin.de/pdf-Neu/Bernard%20Lewis%20Kurzbiographie%202008.pdf [PDF-Dokument]
Wolfgang G. Schwanitz