Johannes H. Voigt: Die Indienpolitik der DDR. Von den Anfängen bis zur Anerkennung (1952-1972) (= Stuttgarter Historische Forschungen; Bd. 5), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, XVII + 717 S., ISBN 978-3-412-18106-2, EUR 69,90
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Im krassen Gegensatz zu ihrer Relevanz haben die politischen Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten und Indien in der Wissenschaft nur wenig Beachtung gefunden. Nach einer Studie über die bundesdeutsche Südasienpolitik [1] sowie einigen wenigen indischen Beiträgen zu den deutsch-indischen Beziehungen hat nun Johannes Voigt ein Werk über die Indienpolitik der DDR vorgelegt. Voigt kann mit Fug und Recht von sich behaupten, der Kenner schlechthin zu sein: Dafür steht nicht nur eine lebenslange Beschäftigung auf diesem Forschungsfeld, aus der 1978 das Standardwerk "Indien im Zweiten Weltkrieg" hervorgegangen ist. Voigt war als Dozent in Varanasi und Chandigarh seit den späten 50er Jahren auch Zeitzeuge und Mitgestalter vor Ort. Auf dem Lehrstuhl für Überseegeschichte in Stuttgart, auf dem er auch zu Australien forschte, war Voigt mit seinem Lebensthema auf sich alleine gestellt. Die einzigen beiden deutschen Lehrstühle für die moderne indische Geschichte gingen den deutsch-indischen politischen Beziehungen jahrzehntelang konsequent aus dem Wege.
Der Umfang von Voigts Werk steht in einem auffälligen Kontrast zum weitestgehenden Fehlen von Haupt- und Staatsaktionen in den bilateralen Beziehungen. Die wichtigsten Fakten sind schon bei Siegfried Kupper knapp zusammengefasst [2]: Bis zu Stalins Tod legte sich Ostberlin gemäß der sowjetischen Darstellung Indiens als Lakai der imperialistischen Staaten große Zurückhaltung auf. Erst Mitte der fünfziger Jahre begann das intensive Werben um ein Land, das neben Ägypten als Schlüsselstaat unter den heterogenen Blockfreien verstanden wurde und in dem genau deshalb der Durchbruch gelingen sollte: die vollwertige Anerkennung trotz Hallstein-Doktrin. Indien unterzeichnete als erster nicht sozialistischer Staat ein Regierungsabkommen und gewährte den Handelsvertretungen Spielräume zur Eigenwerbung. Weitere Schritte unterblieben jedoch wegen der guten Beziehungen zur Bundesrepublik sowie der seit 1957 virulenten indischen Geldnöte, bei denen nur der Westen helfen konnte. Dies blieb bis zur quasi von Bonn genehmigten Anerkennung der DDR nach Aushandlung des Grundlagenvertrags im Oktober 1972 der Stand der Dinge.
Voigt legt schlüssig die Gründe für den anhaltenden Misserfolg dar, wobei man Indien getrost als ein Beispiel unter vielen nehmen darf: Die DDR hatte wirtschaftlich und finanziell nichts wirklich Interessantes zu bieten, das Angebot eines Kredits über 200 Millionen DM ignorierte Indien schlichtweg. International war der zweite deutsche Staat zu unbedeutend. Er vermochte geschickt in der Öffentlichkeit für sich zu werben. Andererseits fehlte es auf allen Ebenen an qualifiziertem Personal, das diese Defizite wenigstens teilweise hätte wettmachen können: Wirklichkeitsfremde Direktiven aus Ostberlin, umzusetzen von oft bemerkenswert tumben Diplomaten und Politikern, die in der Regel ihre indischen Gesprächspartner zunächst über die objektive Fehlerhaftigkeit von deren Deutschlandpolitik belehrten, um dann wehleidig und mit leeren Händen um die Anerkennung zu betteln.
Reizvoll ist Voigts Darstellung des Innenlebens der DDR-Außenpolitik. Anschaulich wird die propagandistische Schulung und Bespitzelung der Mitarbeiter der Vertretungen geschildert, von denen es einige dennoch wagten, bei geheimen Wahlen gegen ihre Führung zu stimmen oder sich gar zum Klassenfeind abzusetzen. Der von den bundesdeutschen Diplomaten als "Geheimwaffe" gefürchtete Herbert Fischer mit seinen umfassenden Kenntnissen und Kontakten wird wieder zu dem guten, aber fehl- und wegen seiner Vergangenheit als Quäker erpressbaren Fachmann gemacht, der er war. Zudem hat Voigt klar die Diskrepanz von internem Indienbild und den pragmatischen Forderungen der Indienpolitik herausgearbeitet. Dass die ideologische Brille in den frühen fünfziger Jahren noch dominierte, überrascht nicht, wohl aber, dass dieser Befund uneingeschränkt auch für die späteren Jahre gültig ist. Während die Sowjetunion in Südasien Realpolitik betrieb, war die DDR nicht einmal geschickt genug, ihre öffentlichen Stellungnahmen oder Atlanten den Notwendigkeiten pfleglicher Beziehungen zu dem asiatischen Riesen anzugleichen.
Der gravierendste Fauxpas dieser Art war die Äußerung von Ministerpräsident Grotewohl zum letztlich im Oktober 1962 zum Krieg eskalierenden indisch-chinesischen Grenzstreit. Während andere sozialistische Politiker wohlweislich schwiegen, bezog Grotewohl klar Stellung zugunsten der Volksrepublik, womit sich Ostberlin auf lange Sicht die Sympathien in Neu-Delhi verscherzte. Bei der Beleuchtung der Hintergründe wird allerdings eine Schwäche des Buches sichtbar, nämlich die mangelnde Einbindung der DDR-Aktivitäten in den internationalen Kontext. Voigt kann nicht schlüssig erklären, wieso es zu der Äußerung kam, obwohl auch in Ostberlin der heftige Konflikt zwischen Moskau und Peking längst bekannt war. Dass sich ausgerechnet die DDR gerade in der Dritten Welt, wo die Sowjetunion selbst hart genug zu kämpfen hatte, Eigenmächtigkeiten erlauben durfte, kann ausgeschlossen werden, erfuhren doch die ostdeutschen Diplomaten von ihren sowjetischen "Kollegen" kaum einmal Hilfe, sondern eher eine Behandlung zweiter Klasse. Unerwähnt bleiben auch die Kontakte zu anderen Staaten des Warschauer Paktes, die durchaus eine Rolle spielten: Der sozialistische Spitzendiplomat in Indien war kein Sowjet, sondern der Pole Julius Katz-Suchy, ein Auschwitz-Überlebender, dessen schiere Präsenz schon als Mahnung an die deutsche Vergangenheit und Warnung vor einem Aufleben militärischer Stärke wirkte. Voigt weist selbst immer wieder nach, wie wenig die DDR in Indien durfte - systematisch analysiert hat er das krasse Abhängigkeitsverhältnis von der Sowjetunion nicht.
Sichtbar hat Voigt zudem mit dem Problem aller Forschung zur indischen Außenpolitik zu kämpfen: Indien hält trotz formal den deutschen vergleichbarer Regelungen seine Akten seit 1947 faktisch unter Verschluss, sodass man sich mit öffentlichen Stellungnahmen, Gelegenheitsfunden in Nachlässen und den Wiedergaben indischer Äußerungen in den Niederschriften ausländischer Diplomaten und Politiker begnügen muss. Letztere spiegeln trotz allen Bemühens um Sachlichkeit zwangsläufig die Wahrnehmung des Verfassers, aber nicht die des Sprechers wider. Hinzuzufügen ist, dass das für DDR-Berichte in besonderem Maße gilt, wie das auch Voigt mehrfach anhand der Diskrepanzen zwischen Delegationsberichten, Analysen der Diplomaten vor Ort und der Zentrale in Ostberlin vorführt. An anderer Stelle jedoch werden die vermutlich von Ideologie und Wunschdenken gefärbten Texte wörtlich genommen, wenn es um die feinen Nuancen der indischen Deutschlandpolitik geht.
Für DDR-Forscher ist das Werk von Voigt eine wahre Fundgrube. Im Sinne einer breiteren Wahrnehmung wäre jedoch eine Fassung wünschenswert, die das Wesentliche sehr viel knapper auf den Punkt bringt. Der deutschen Indienforschung wäre zu wünschen, das Erbe Voigts weiterzuführen. Während alles vom Aufstieg Indiens redet, hat die Kürzungswut bei vermeintlichen Orchideenfächern dazu geführt, dass es heute weder in Stuttgart noch bei den (noch) verbliebenen Südasien-Lehrstühlen in Heidelberg und Berlin Kapazitäten
oder Interesse an den deutsch-indischen Beziehungen gibt. Dieser Band zeigt, dass sich Forschung zu Indien lohnt - von der DDR ganz zu schweigen.
Anmerkungen:
[1] Amit Das Gupta: Handel, Hilfe, Hallstein-Doktrin. Die bundesdeutsche Südasienpolitik unter Adenauer und Erhard, 1949-1966, Husum 2004.
[2] Siegfried Kupper: Die Tätigkeit der DDR in den nicht kommunistischen Ländern, Bd. III: Indien, Ceylon, Malediven, Bonn 1970.
Amit Das Gupta