Rezension über:

Rosemarie Gerken: La Toilette. Die Inszenierung eines Raumes im 18. Jahrhundert in Frankreich. Mit einem Vorwort von Ekkehard Eggs, Hildesheim: Olms 2007, 283 S., ISBN 978-3-487-13304-1, EUR 48,00
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Rezension von:
Gertrud Lehnert
Institut für Künste und Medien, Universität Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Gertrud Lehnert: Rezension von: Rosemarie Gerken: La Toilette. Die Inszenierung eines Raumes im 18. Jahrhundert in Frankreich. Mit einem Vorwort von Ekkehard Eggs, Hildesheim: Olms 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 11 [15.11.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/11/13319.html


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Rosemarie Gerken: La Toilette

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Mit ihrer Studie zum neuen "Bildtypus der Frau vor dem Spiegel" bzw. am Toilettentisch seit Ende des 17. Jahrhunderts legt Rosemarie Gerken eine eminent materialreiche Arbeit vor, die ein detailliertes Verständnis der weiblichen Toilette als öffentliche Form der Körperpflege und vorrangig geselliges Ereignis im späten 17. und im 18. Jahrhundert vermittelt. Ihr Gegenstand sind Einzelstiche aus der Zeit, aber auch die französische Genremalerei des 18. Jahrhunderts, die sich dieses Motivs mit Vorliebe annahm.

Der Begriff "Inszenierung" im Titel führt ein wenig in die Irre, wenn man darunter ein kulturwissenschaftliches Diskurselement versteht, das auf schöpferische Hervorbringung bzw. auf ein 'Zur-Erscheinung-Bringen' im Sinne einer "cultural performance" zielt. [1] Es liegt nahe, diese Darstellungen als "cultural performance" zu verstehen. Eine solche Interpretation wird von Gerken nicht vorgenommen; sie verwendet den Begriff "Inszenierung" eher unspezifisch im Sinne einer Zusammenstellung von Dingen und Menschen in einem bestimmten Raum und mit einer bestimmten Funktion innerhalb eines bestimmten gesellschaftlichen Kontextes.

Wenn Rosemarie Gerken mithin weniger an der kulturwissenschaftlichen Theorie- und Methodendiskussion und Neuinterpretation gelegen ist, so liegt ihre Leistung auf einem anderen Gebiet: der bewundernswert detaillierten, akribischen Aufarbeitung eines wichtigen Aspekts der materiellen Kultur. Sie zeichnet die Geschichte des Begriffs "toilette" in seinen Bedeutungsverschiebungen seit dem 17. Jahrhundert nach; sie liefert eine exakte Beschreibung der "table de toilette" einschließlich der darauf befindlichen Objekte und klärt deren Gebrauch und schließlich erläutert sie auch, welche Personen an dieser besonderen Form der Geselligkeit teilnahmen.

Rosemarie Gerken bezieht sich in ihrer Analyse nicht nur auf die Bilder selbst, sondern zieht auch Fächermalerei, Porzellangruppen und sogar Puppenhausminiaturen hinzu. Sie verwendet als ergänzendes Material eine Fülle unterschiedlicher Textsorten aus dem 18. Jahrhundert, allen voran die Encyclopédie (ab 1751), das Zedlersche Universallexikon (ab 1732), ferner Modezeitschriften, Traktatliteratur, Charakterbeschreibungen, Manierenbücher und andere Literatur.

Die Gliederung des Buches geht gleichsam von innen nach außen: Vom Stoff (toile) über den Toilettentisch selbst, dessen Konstruktion beschrieben wird, zu den privaten, intimen Räumen, in denen er zum Einsatz kam (Schlafzimmer oder ihm benachbart), über die Architektur und Innenaufteilung der ursprünglich adligen, nun zunehmend auch von aufstrebenden reichen Bürgern und der "noblesse de robe" errichteten "hôtels particuliers" und die veränderten, das Private betonenden Lebensstile. Schließlich kehrt sie für den mit Abstand ausführlichsten Teil wieder zurück zur "table de toilette" selbst.

Der Begriff "toilette" bedeutete zunächst das Tuch, das über den Toilettentisch gelegt wurde und auf das man Bürsten und andere Gegenstände legte (27), oder auch das Tuch, das man tagsüber auf den Tisch und über den Spiegel hängte. Später wurden Toilettengarnituren als "toilette" bezeichnet, dann der "gesamte Schmuck und Putz" (Zedler) (34), auch kann ein Einschlagtuch für Kleidungsstücke gemeint sein (Furetière). Im "Dictionnaire de l'Académie" (1835) bezieht sich das Wort nicht mehr nur auf das "ensemble" der Objekte, sondern auch auf den Tisch selbst und schließlich auf die an ihm vollzogene Handlung: faire sa toilette (35).

In Kapitel 6 (ab Seite 55) werden die Gegenstände auf der "table de toilette" katalogisiert, beschrieben und in ihrer Funktion erläutert: einheitliche Garnituren aus Gold, Silber, Porzellan etc., oft aus dem Orient importiert; Spiegel; Leuchter; Lichtscheren; Bürsten zum Abkratzen von Dreck und Fett, Puder, Ungeziefer etc. vom Kopf; Kleiderbürsten; Bürsten zum Reinigen der Kämme; Kämme; Stecknadeln, Stecknadelkasten; Deckelschüsseln, aus denen die Dame des Hauses ihre morgendliche Fleischbouillon zu sich nahm; Wasserkanne, Gießbecken (für die Hände); ferner Präsentierteller; eine Tischglocke; Mouchendose; Haarpuderdose; Schminkbehältnisse und schließlich die Essigwasserflasche (für die Mundspülung). Dosen, Kästen, Schachteln dienten als Aufbewahrung für alles Mögliche; ein kleines Kapitel ist den Düften und dem Parfumhändler gewidmet, ein anderes der Musik bei der Toilette.

Kapitel 9 nennt die bei der Toilette anwesenden Personen in ihren (typisierten) Rollen und Funktionen: z.B der Abbé, ein "pilier de la toilette" (152); ein Marquis; der Arzt; ein Belesprit; ein Akademiemitglied; ein Modenarr (petit-maître); natürlich unbedingt der Liebhaber. Das Verhältnis von Kammerzofen und Friseur zur Herrin wird kurz erläutert (Kap. 11). Nicht nur diese Kapitel hätten gewonnen, wenn auf die Herstellung von Geschlechterverhältnissen in diesen gender-kodierten Darstellungen reflektiert würde. Den für die Toilettenkultur unverzichtbaren Händlern, allen voran den "marchandes de mode", ist das lange Kapitel 12 gewidmet. Kleinere Kapitel eröffnen Ausblicke auf "Tiere" und "Männer"; Kapitel 14 schließlich befasst sich mit den damals beliebten satirischen Darstellungen der alten bzw. älteren Frau vor dem Spiegel. In ihrer Unbarmherzigkeit belegen diese Darstellungen, wie sehr auch damals der Jugendkult das gesellschaftliche Leben beherrschte. Die von der Verfasserin zur Erläuterung angeführten Texte von Mercier, Montesquieu oder Rousseau belegen die Auseinandersetzung mit dem weiblichen Altern und die Ambivalenz ihm gegenüber. Mit Mitte/Ende dreißig war man in dem Alter, in dem man laut Rousseaus "Emile" schon einen dicken Bauch und schlaffe Brüste haben durfte. Die Frauen sollten sich also möglichst nicht lächerlich machen, indem sie sich weiterhin intensiv ihrer äußeren Erscheinung widmeten, freilich gab es keinen adäquaten Lebensentwurf, auf den die frühere "eitle" Existenz hätte vorbereiten können.

Mit vielen Quellen belegte Ausführungen zur Reinlichkeit, zur Praxis des Schminkens, zur Beschaffenheit der Schminkfarben, die mit Bleiweiß und anderen gefährlichen Stoffen wie Quecksilber oder Zinn versetzt waren und zu vielen weiteren Themen machen dieses Buch zu einer wahren kultur-, speziell modehistorischen Fundgrube, die den "Lifestyle" der gehobenen Schichten im Ancien Régime unter dem Aspekt der materiellen Kultur anschaulich macht.

Durchaus problematisch ist freilich, dass die Verfasserin ihr Material recht unreflektiert wörtlich nimmt als unmittelbare Abbildungen von sozialer Realität - mit der Begründung, sie seien anders als im 17. Jahrhundert keine Allegorien mehr. Allein das von ihr selbst vermerkte, bei vielen einzelnen Abbildungen auffallende Fehlen eines Interieurs (die "table de toilette" steht in einer unspezifizierten, durch einen Baum oder ähnliches markierten Natur) verweist darauf, dass es nicht (nur) um Abbildungen sozialer Realität geht, sondern auch um Normierungen, Idealisierungen, um das Vermitteln von "Bildern". Und die Genremalerei nimmt zwar für sich in Anspruch, Realität zu schildern, aber gerade sie tut das mit solch theatraler Verve, dass von "Abbildung" nur eingeschränkt gesprochen werden kann. Gerade hier hätte es sich angeboten, auf Konzepte von Theatralität, Inszenierung und Performativität und auch von Geschlecht einzugehen. Aber das wäre eine andere Arbeit geworden.


Anmerkung:

[1] Erika Fischer-Lichte: "Theater als kulturelles Modell", in: Ästhetische Erfahrung. Das Semiotische und das Performative, Tübingen 2001, 297. - Zur Mode speziell vgl. Gertrud Lehnert: "Die Kunst der Mode - Zur Einführung", in: Die Kunst der Mode, hg. von Gertrud Lehnert, Oldenburg 2006, 10-25.

Gertrud Lehnert