Rezension über:

Gabriel Zeilinger: Lebensformen im Krieg. Eine Alltags- und Erfahrungsgeschichte des süddeutschen Städtekrieges 1449/50 (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte; Nr. 196), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007, 285 S., ISBN 978-3-515-09049-0, EUR 48,00
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Rezension von:
Stefanie Rüther
Exzellenzcluster "Religion und Politik", Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Stefanie Rüther: Rezension von: Gabriel Zeilinger: Lebensformen im Krieg. Eine Alltags- und Erfahrungsgeschichte des süddeutschen Städtekrieges 1449/50, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 11 [15.11.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/11/14026.html


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Gabriel Zeilinger: Lebensformen im Krieg

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Auch wenn sich die mittelalterlichen Kriege in den letzten Jahren mehr und mehr zu einem fruchtbaren Forschungsfeld innerhalb der Mediävistik entwickelt haben, ist unser Wissen über Alltag und Organisation der vielen bewaffneten Auseinandersetzungen dieser Epoche immer noch recht begrenzt. Das gilt insbesondere für die Kriegführung der Städte, der sich Gabriel Zeilinger nun am Beispiel des Zweiten Süddeutschen Städtekriegs gewidmet hat. Seine alltags- und sozialgeschichtlich ausgerichtete Kieler Dissertation, in der er konsequent alles das zusammen getragen hat, was sich aus den Quellen über die konkreten "Lebensformen im Krieg" gewinnen lässt, bietet daher gleich eine ganze Reihe neuer und zum Teil überraschender Einsichten in das spätmittelalterliche Kriegsgeschehen.

Ausgehend von einem zweistufigen Erfahrungsbegriff gliedert Zeilinger die Studie in zwei Teile: Unter dem Aspekt des "Erlebens des Alltags im Krieg mit seinem Geschehen und seiner Materialität" (22) werden zunächst die äußeren Rahmenbedingungen vorgestellt, die von den Akteuren maßgeblich gestaltet wurden und in denen sich das Kriegsgeschehen vollzog. In einem zweiten Teil fragt Zeilinger nach den Auswirkungen des Krieges auf einzelne soziale Gruppen und ihren Alltag, um somit Aussagen über den "Prozess der Rückkopplung der Erfahrungen an das soziale Leben" (23) treffen zu können. Vorangestellt ist der Studie ein kurzer, aber präziser Überblick über die Vorgeschichte und den Ablauf des Konflikts zwischen Albrecht Achilles von Brandenburg-Ansbach und der Reichsstadt Nürnberg, der auch als "erste Markgrafenfehde" bekannt ist. Die Darstellung der politischen Situation im "agonalen Reich" (25) um die Mitte des 15. Jahrhunderts hat Handbuchcharakter und ist auch jenseits des Interesses für den konkreten Konflikt lesenswert.

Den Alltag des Krieges rekonstruiert Zeilinger vor allem auf der Grundlage des überlieferten Verwaltungsschriftguts, wie etwa den Ratsbeschlüssen, den Stadtrechnungen und den breiten Korrespondenzüberlieferungen. Für die Kriegführung der adeligen Partei hat der Autor dabei auf eine besondere, bisher kaum ausgewertete Überlieferung aus dem Staatsarchiv Nürnberg zurückgegriffen, einer Art "Kriegsarchiv" des Markgrafen Albrecht Achilles. Aus diesem lassen sich beispielsweise Informationen über die Zusammensetzung der markgräflichen Truppen gewinnen, wenn auch nur über Umwege, wie etwa Absageverzeichnisse oder Futterzettel. Auf der Seite des Markgrafen kämpften demnach nicht nur dessen Lehnsleute, Diener und Räte, sondern auch eine beträchtliche Zahl von Söldnern sowie adelige Sympathisanten, die offenbar auf eigene Rechnung in den Krieg zogen. Ähnlich heterogen waren auch die städtischen Mannschaften zusammengesetzt, in denen neben den eigenen Bürgern, die im späten Mittelalter grundsätzlich zum Kriegsdienst mit eigener Waffe verpflichtet waren, auch adelige wie bürgerliche Söldner stritten. Die konkrete Kriegführung beider Parteien wies aber durchaus Unterschiede auf; so versuchten die Fürsten in größer angelegten Kriegzügen, die reichsstädtischen Besitzungen im Umland zu zerstören, während die Städte in meist ein- bis zweitägigen Auszügen die Besitzungen des adeligen Gegners schädigten.

Die "Umstellung des Stadtregiments auf Kriegsbetrieb" (53) wird in Nürnberg vor allem durch die Tätigkeit der fünf 'Kriegsherren' greifbar, die versuchten, den Kriegsalltag durch zahlreiche Erlasse und Ordnungen zu organisieren. Was Zeilinger in den verschiedenen Abschnitten zu Ausrüstung und Versorgung der städtischen Bevölkerung, der öffentlichen Ordnung und Sicherheit wie auch dem Stand von Handel und Finanzen im Krieg aus den Quellen herausgearbeitet hat, entwirft das vielleicht überraschende Bild einer Stadt im "kontrollierten Ausnahmezustand" (202). Der Nürnberger Rat hatte sich beispielsweise schon im Vorfeld des Krieges einen Überblick über die in der Stadt befindlichen Gesamtbestände von Getreide und Hülsenfrüchte verschafft und die Stadtbewohner aufgefordert, Vorräte anzulegen.

Während des Krieges betrieb der Magistrat eine öffentliche Großküche, die zwar vornehmlich der Versorgung der städtischen Truppen diente, aus der aber auch die ärmeren Teile der Bevölkerung für einen Heller täglich eine warme Mahlzeit erhalten konnten. Die Vielzahl der Ordnungs- und Regulierungsversuche der städtischen Obrigkeiten, die von der Ausweisung fremder Bettler bis hin zur Kontrolle der öffentlichen Meinung reichten, lassen die städtischen Führungsgruppen gewissermaßen als "Kriegsprofis" erscheinen. Damit verbunden war aber auch, wie Zeilingers Untersuchung eindrücklich zeigt, eine erhebliche Intensivierung des "Zugriffes der Mächtigen auf ihre 'Untertanen' bzw. ihre Klientelverbände" (202) - eine Beobachtung, die für die städtische wie die adelige Kriegspartei gilt. Zeilingers mikrohistorische Analysen regen deswegen dazu an, gerade die Kriege des 14. und 15. Jahrhunderts im Reich stärker als bisher als Momente der Herrschaftsverdichtung in den Blick zu nehmen.

An seine Grenzen stieß der obrigkeitliche Steuerungswillen aber offenbar während des unmittelbaren Kampfgeschehens. Die militärische Disziplin während der Feldzüge zu wahren, stellte für beide Seiten eine schwierige Aufgabe dar, worauf nicht nur die nachträglichen Klagen des Nürnberger Kriegsherrn Eberhard Schürstab verweisen, sondern auch die verschiedenen Beschwerden und wechselseitigen Anschuldigungen beider Kriegsparteien. Diese stellen einen wesentlichen Zugang zu den Kriegserfahrungen der verschiedenen sozialen Gruppen dar, denen Zeilinger im zweiten Teil der Arbeit nachgeht. Vom Adel über die städtischen Führungsgruppen, von der Domgeistlichkeit bis hin zu den Landpfarrern, Bauern, Söldnern und Gefangenen versucht er anhand einzelner Beispiele anschaulich zu machen, was der Krieg für die soziale Existenz dieser sozialen Gruppen bedeutete. Das kann aufgrund der disparaten Quellenlage allerdings nur in unterschiedlichem Maße gelingen, was selbst für die Person des Markgrafen gilt. Obwohl von ihm mehrere Briefe vorliegen, die er aus dem Feld verfasste, ist es nur schwer möglich, einen tiefer gehenden Einblick in die Erfahrungen des Fürsten während des Krieges zu gewinnen. Gleichwohl vermitteln die einzelnen von Zeilinger zusammengetragenen Szenen aus dem Kriegsgeschehen ebenso wie die sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Daten über materielle Schäden und menschliche Verluste ein eindrückliches Bild vom Ausmaß des Städtekriegs und seiner Wahrnehmung durch die Zeitgenossen.

Das Verdienst von Gabriel Zeilingers Studie liegt vor allem darin zu zeigen, welche vielfältigen Erkenntnispotentiale die Quellen zu den spätmittelalterlichen Städten im Krieg bergen, während die inhaltliche Gliederung seiner Arbeit zugleich ein überzeugendes Forschungsprogramm für künftige Studien in diesem Bereich bietet. Denn vieles von dem, was Zeilinger vorstellt, wird von ihm nur schlaglichtartig beleuchtet und folglich auch nicht eingehender analysiert, wie etwa die erstaunlichen Befunde über die Rollen und Erfahrungen der Frauen in diesem Krieg, die von der Schaulustigen über die Spionin bis zur Verteidigerin reichen. Doch das ist bei einer Qualifikationsschrift mit einem solch breit angelegten Themenspektrum und den wenigen Vorarbeiten kaum zu bemängeln, vielmehr ist ihm eine überzeugende Erschließung eines zentralen spätmittelalterlichen Forschungsfeldes gelungen.

Stefanie Rüther