Rezension über:

Almas Ibragimow / Anton Iwanow / Philipp Riethmüller u.a. (Hgg.): Religionen in Kasan. Geschichte - Erinnerung - Gegenwart, Tübingen / Kasan: o.V. 2008, 47 S.

Rezension von:
Ulrike Huhn
Humboldt-Universität zu Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Ulrike Huhn: Rezension von: Almas Ibragimow / Anton Iwanow / Philipp Riethmüller u.a. (Hgg.): Religionen in Kasan. Geschichte - Erinnerung - Gegenwart, Tübingen / Kasan: o.V. 2008, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 11 [15.11.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/11/15152.html


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Almas Ibragimow / Anton Iwanow / Philipp Riethmüller u.a. (Hgg.): Religionen in Kasan

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Die Wolgastadt Kasan, Hauptstadt der autonomen Republik Tatarstan der Russischen Föderation, die Geschichte ihrer Kirchen und Moscheen und deren Rolle im Leben der Bewohner der Stadt sind Gegenstand einer kleinen, ansprechend gestalteten Broschüre, die als Ergebnis eines gemeinsamen Projekts von Tübinger und Kasaner Studenten und Doktoranden entstanden ist. Mit finanzieller Unterstützung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" im Rahmen des Programms "Geschichtswerkstatt Europa" konnte die Broschüre in deutscher, englischer, russischer und tatarischer Sprache veröffentlicht werden.

Vorgestellt werden - nach einer kurzen Einführung zur Stadt und zu den Religionen im sowjetischen Kasan - anhand eines Stadtrundgangs sechs Kirchen und vier Moscheen, die alle zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert errichtet wurden. Im Fokus steht dabei ihre wechselvolle Geschichte in der Sowjetunion. Während der Stalin'schen repressiven Religionspolitik der 1930er Jahre wurden die meisten von ihnen geschlossen und die Gebäude als Archiv, Planetarium oder Kindergarten genutzt. Nur jeweils eine Kirche und eine Moschee blieben während der ganzen Sowjetzeit geöffnet. Eingeflochten in die Darstellung der Geschichte der Gotteshäuser sind Erinnerungen von Stadtbewohnern wie auch von Restauratoren, die in den späten 1980er und den 1990er Jahren die Gotteshäuser rekonstruierten; diese Schilderungen illustrieren die Bedeutung und Präsenz auch der säkular genutzten Kultstätten im Bewusstsein der Kasaner.

Der Erinnerung der Interviewpartner an die antireligiöse Politik, die ab 1958 in der Chruschtschow'schen Tauwetterphase neuerlich zu Kirchenschließungen führte, ist denn auch ein eigenes Kapitel gewidmet. Schilderungen wie z.B. über die Großmütter, die ihre Enkelkinder oft ohne das Wissen der Eltern heimlich taufen ließ, weil sie keine negativen Folgen am Arbeitsplatz zu befürchten hatte, sind dabei ein bekanntes sowjetisches Phänomen. Dass dennoch von manchen Gesprächspartnern die Tatsache von antireligiösen Maßnahmen in der Chruschtschow-Ära überhaupt geleugnet wird, wie auch das geringe Interesse selbst heutiger Studenten an Medressen und Sonntagsschulen an der sowjetischen Religionsgeschichte wirft Fragen nach der gegenwärtigen Erinnerungskultur und der Auseinandersetzung mit dieser Geschichte auf.

Damit sind aber auch die Grenzen der Broschüre erreicht, die sich vorwiegend an ein interessiertes, aber nicht fachkundiges Publikum richtet. Andere Quellen wie Zeitungs- oder Archivmaterial wurden nicht herangezogen, wie überhaupt ein Quellen- und Literaturverzeichnis fehlt. Dass aber die gemeinsame Recherche, die Interviews vor Ort und der Austausch der deutschen und russländischen Studenten wohl eine für alle bereichernde Erfahrung ist, ist der Broschüre anzumerken.

Ulrike Huhn