Imants Lancmanis: Libau. Eine baltische Hafenstadt zwischen Barock und Klassizismus (= Das Baltikum in Geschichte und Gegenwart; Bd. 3), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007, XII + 192 S., ISBN 978-3-412-02806-0, EUR 19,90
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Libau (Liepāja) ist heute nach Riga und Dünaburg (Daugavpils) die drittgrößte Stadt Lettlands. Wirtschaftlich ist besonders der eisfreie Zugang zur Ostsee von Bedeutung. Obwohl Libau während des Zweiten Weltkrieges im Oktober 1941 stark zerstört wurde, besitzt die Stadt noch immer eine Reihe herausragender Bau- und Kunstdenkmäler. Sie stehen im Mittelpunkt des reich bebilderten Bandes, den Imants Lancmanis, Direktor des renommierten Schlossmuseums Ruhenthal (Rundâle) und einer der führenden Kunsthistoriker Lettlands, verfasst hat.
Die lettische Originalausgabe erschien bereits 1983. Seitdem hat sich - vor allem bedingt durch die Restaurierung zahlreicher Gebäude - besonders die bauliche Gestalt Libaus nicht unerheblich verändert. Der Verfasser hat diesen Prozess für die jetzt erschienene deutsche Ausgabe, die auf einer Übersetzung aus dem Lettischen von Ursula Reimers basiert, berücksichtigen können.
Der knapp 200 Seiten umfassende Band, der in der Mitte 24 zusätzliche Seiten mit 42 Farbabbildungen auf Kunstdruckpapier enthält, ist nach den drei Stilepochen Barock, Rokoko und Klassizismus in drei große Kapitel unterteilt. Innerhalb dieser drei Hauptabschnitte wird zunächst jeweils ein allgemeiner Überblick über die Entwicklung Libaus gegeben. Während er in den beiden Kapiteln über die Epochen des Rokoko und des Klassizismus knapper ausfällt, räumt Lancmanis der Stadtgeschichte im ersten Hauptabschnitt vergleichsweise viel Platz ein. Dabei erfährt der Leser einiges über den Stadtwerdungsprozess Libaus, seinen Hafen und seine sich in den Stadtplänen widerspiegelnde Geographie. Auch auf die Einwohner und die Verwaltung der Stadt geht der Verfasser kurz ein.
Den Kern der Untersuchung bildet dann aber jeweils die Beschreibung und Kommentierung herausragender Bau- und Kunstdenkmäler. Im Abschnitt über den Barock, dessen Zeitalter in Libau im späten 17. Jahrhundert beginnt, stehen vor allem verschiedene Haustypen im Mittelpunkt. Es werden dazu jeweils einzelne Beispiele vorgestellt und durch detailreiche Abbildungen veranschaulicht. Außerdem gibt Lancmanis hier (ebenso wie in den folgenden Hauptkapiteln) einen profunden Überblick über das Wirken der in Libau tätigen Bau- und Kunsthandwerker. Der Leser erfährt dabei viel über die Werke von Bildschnitzern, Malern, Goldschmieden, Kunstschmieden, Töpfern, Zinn- und Messinggießern. Die Darstellung stützt sich dabei - wie auch in den folgenden Abschnitten - nicht nur auf die einschlägige Literatur, sondern ebenso auf ungedruckte Quellen im Staatlichen Historischen Archiv Lettlands sowie im (russischen) Zentralen Historischen Staatsarchiv St. Petersburg.
Im mittleren Hauptkapitel "Libau im Rhythmus des Rokoko" werden zunächst allgemeine Merkmale dieser kunsthistorischen Epoche in Europa wie speziell in Libau vorgestellt. Danach geht der Autor ausführlich auf den Bau der Dreifaltigkeitskirche ein, die noch heute ein herausragendes Wahrzeichen der Stadt ist. Breiten Raum nimmt die Darstellung der Planungsgeschichte ein, wobei die Rolle des Baumeisters Johann Christoph Dorn besonders ausführlich analysiert wird. Des Weiteren behandelt Lancmanis kenntnisreich und detailliert die Einrichtungsgegenstände (darunter auch die Orgel) und die Innenarchitektur der Kirche sowie den Baukörper selbst. Es folgen ein nicht ganz so ausführlicher Abschnitt über die katholische Kirche sowie einige Bemerkungen zur reformierten Kirche, die bereits im 19. Jahrhundert abgerissen wurde. Unter den Profanbauten, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden sind und von Lancmanis vorgestellt werden, ragt das Ende der 1750er Jahre errichtete, ebenfalls detailliert beschriebene neue Rathaus heraus.
Aus dem Zeitalter des Klassizismus stammen in Libau vor allem einige bau- und kunsthistorisch hervorhebenswerte Wohngebäude. Sie und die daran beteiligten Bau- und Kunsthandwerker stehen im Mittelpunkt des letzten Hauptteils der Arbeit. Beschlossen wird der Band mit einem kurzen Resümee, das der Autor mit einem pointierten Ausblick auf die Zukunft der Stadt verbindet: "Libau, wie es ist und wie es werden kann".
Insgesamt liegt ein sehr kenntnisreicher, mit viel Liebe zum Detail verfasster Überblick über die Bau- und Kunstgeschichte Libaus vom späten 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert vor, der vor allem kunsthistorisch interessierte Leser sowie deutschsprachige Besucher der lettischen Hafenstadt sehr ansprechen dürfte. Die Einordnung in den stadt- und stilgeschichtlichen Kontext rundet das Bild einer auch sprachlich sehr gelungenen Veröffentlichung ab.
Stefan Kroll