Bernhard Maaz (Hg.): Adolph Menzel. radikal real, München: Hirmer 2008, 239 S., ISBN 978-3-7774-4175-7, EUR 39,90
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Bernhard Maaz (Hg.): Im Tempel der Kunst. Die Künstlermythen der Deutschen, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2008
Petra Kuhlmann-Hodick / Gerd Spitzer / Bernhard Maaz u.a.: Carl Gustav Carus. Katalog: Natur und Idee. Essays: Wahrnehmung und Konstruktion, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2009
Ausstellungen von Werken Adolph Menzels haben eine lange Tradition. Wer das Findbuch über die Akten der Berliner Nationalgalerie (1874-1945) durchsieht [1], stößt allenthalben auf Ausleihanfragen von Bildern des Berliner Malers. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts präsentierten Kunstvereine zwischen Königsberg und Düsseldorf, zwischen Malmö und Mülheim an der Ruhr ihrem Publikum in zahlreichen Ausstellungen besonders gern Menzels Zeichnungen. Zwischen 1886 und 1888 liehen sich die Dresdner Kunstgenossenschaft, der Leipziger Kunstverein und die Genossenschaft der Bildenden Künstler Wiens Bilder aus. In Malmö zeigte man 1914 Zeichnungen für die Kunstabteilung der Baltischen Ausstellung. Die Kunstsammlungen der Stadt Königsberg baten 1935/36 um Ausleihungen für eine Ausstellung mit Studien für das Krönungsbild (Krönung Wilhelm I., 1861-65, Neues Palais, Potsdam).
Der bis heute anhaltende und überragende Bekanntheitsgrad des Malers, sein ungebrochen mit dem Genialischen verknüpfter Name, gründet nicht zum Geringsten auf dieser schnellen, frühen und flächendeckenden Popularisierung seines Werkes. Die Verbreitung von Bildern bis in die letzten Winkel der Provinz ist keine Erfindung der Gegenwart. Während die Zeichnungen aus Berlin verschickt wurden, fanden Menzels Bilder zugleich in Reproduktionswerken Eingang. Er wusste selbst, als Lithograf, Kenner des Lichtdrucks und Beförderer der Fotografie, um die Wirkung von Reproduktionen. Er hat bereits früh auch die Vervielfältigung seiner Ölbilder in Farbe befürwortet. Die "Tafelrunde Friedrichs des Großen in Sans Souci" (1850) gehört zu den ersten Gemälden, die Anfang der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts als Farbdruck von der "Vereinigung der Kunstfreunde der Nationalgalerie" herausgegeben wurden. Die bekannten Bilder sind bis heute begehrt. Es dürfte daher kein Zufall sein, dass gerade die "Tafelrunde", wie ja auch "Friedrich der Große und die Seinen bei Hochkirch" (1856), heute nur als Reproduktionen verfügbar sind. Vom Verschwinden der Vorlagen hat dabei die Popularität des Malers gewiss profitiert.
Die Münchner Präsentation war wie jene Schauen des 19. Jahrhunderts monografisch angelegt. Sie erklärte das Werk aus dem Werk. Sie steht damit heute nicht allein, sondern knüpft an die Einzelausstellungen an, die durch die Zusammenführung des Werkes aus Ost und West nach 1989 erst möglich wurden. Populär und künstlerisch überragend wirkte schon 1996/97 die Wanderausstellung "Adolph Menzel (1815-1905). Das Labyrinth der Wirklichkeit" mit den Stationen Paris, Washington, Berlin. Später folgten "Menzel und Berlin. Eine Hommage" im Kupferstichkabinett Berlin 2005 und "Menzel in Dresden", im selben Jahr im Kupferstichkabinett Dresden. "Menzel in München" wäre daher eine Alternative zum, hier unter dem an die große Retrospektive von 1996/97 erinnernden Titel "radikal real" gewesen.
Wer die Ausstellung in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung besuchte, dem sprang im Entree Menzels Schriftzug in großen Lettern auf preußischblauem Grund ins Auge, in Bezug auf diesen Künstler ein altbekanntes Mittel in der Buch- und Ausstellungspraxis. Hier setzte man auf den Widererkennungseffekt, der auch in der Porträtfotografie des 19. Jahrhunderts aufgenommen wird und für Menzel durch verbreitete Fotos des greisen Künstlers aus dem Atelier Jacob Hilsdorf einsetzen musste.
Die der Bühnenkunst entlehnten Überschriften der in sich geschlossenen fünf Kapitel führten vom "Prolog" über "Unerbittlich wahrhaftig", "Reisewelt" und "Theatrum mundi" bis zum "Epilog". In bunter, multimedialer Folge von Skizzen, Gemälden, Fotografien illustrierte der Prolog Person und persönliches Umfeld des Künstlers. Erfreulich war hier, worin insgesamt eine Qualität der Ausstellung zu sehen ist: Selten ausgestellte Werke in Privatbesitz verwandelten den gängigen Werkkanon. Darunter befand sich ein Aquarell von 1848 (Kat 24), eine Seltenheit zumal deshalb, da die Pastelle in den Revolutionsjahren Menzels bevorzugtes Medium darstellten. Das Kapitel "Unerbittlich wahrhaftig" bot hingegen wenig Neuigkeiten, spitzte höchstens zu, wofür Menzels Kunst seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts steht: für einen ausgeprägten Sinn für das Alltägliche, einen freien Blick auf die physische Welt. Den Reisen des Künstlers einen eigenen Abschnitt zu widmen, "Reisewelt" überschrieben, war eine verdienstvolle, ertragreiche Idee, setzte es doch das alte Klischee von Menzels kaum ausgeprägter Reisetätigkeit ins Verhältnis. Die Bilder über Bad Kissingen, Hofgastein, Salzburg, Innsbruck, Verona und insbesondere von München zeugten vom gleichermaßen intensiven Zeichenstudium unterwegs. Der Titel des vierten Teiles, "Theatrum mundi", erschien allerdings unangemessen pathetisch gegenüber Menzels nüchterner Beobachtungskunst. Doch die Hofballszenen, Theater-, Konzert- oder Gottesdienstbesuche, die Menzel in Bilder von überbordender Vitalität übertrug, mochten eine solche Interpretation erlaubt haben. In der Schlussrede wurde der Besucher auf die Selbstbeschau des Künstlers gewiesen. Von Kopf bis Fuß, ohne Rücksicht auf Zustand ("Zahnrose", 1892, Kat. 212) und Alter ("Der Fuß des Künstlers", 1876, Kat. 214) forcierte die Zusammenschau den entblößenden Blick auf die Physis Menzels. Der Epilog in diesem Stück wirkte alsdann weniger als Schlussrede, denn als Katharsis. Alles zuvor Gesagte spitzte sich hier auf die Person des Künstlers zu, schlug einen Bogen zum ersten Kapitel und entlud sich an ihr.
Die Ausstellung "radikal real" in der Hypo-Kulturstiftung steht am Ende einer Ausstellungspraxis, die im 19. Jahrhundert entstand, und auch noch im 21. Jahrhundert eine mit großem materiellem Aufwand betriebene Belebung erfährt. Sie befördert die Idealisierung des einzelnen Künstlers und seines Werkes, ist populär und verbreitet. Doch kunsthistorisch ist sie überholt. Wozu brauchen wir einen Kult um Künstler?
Das große Verdienst der Hypo-Kulturstiftung ist es, dass sie die Digitalisierung der sehr empfindlichen Skizzenbücher Menzels finanziert. Der Forschung und der Öffentlichkeit wird dadurch wichtiges Material der Kunstgeschichte zugänglich werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Skizzenbuchbilder in absehbarer Zeit online verfügbar sein werden.
Einige der Skizzenbücher waren in der Ausstellung zu sehen. Neu war die Art ihrer Präsentation. Sie erschienen wie kostbare Schmuckstücke, einzeln, erhöht, in Vitrinen. Die Suggestion dieser Gestaltung ist nicht zu unterschätzen. Skizzenbücher sind angefüllt mit Gedanken, die der Künstler aufzeichnete, allein um sie für sich festzuhalten. Zur Veröffentlichung, geschweige denn zur Präsentation wie Pretiosen, waren sie nicht bestimmt. Dazu machen sie Kuratoren und Kunsthandel.
Zur Betrachtung und Analyse künstlerischer Produktion, und nicht nur des Menzelschen Werkes, wirkt die digitale Veröffentlichung der Skizzenbücher in die Zukunft. Sie wird bleiben, so wie der Katalog, der sich durch herausragende Bildqualität auszeichnet. Den mit den Ausstellungskapiteln korrespondierenden fünf Kapiteln im Buch sind Beiträge früherer und heutiger Wächter des Menzelschen Werkes bei den Staatlichen Museen zu Berlin vorangestellt: Claude Keisch, Bernhard Maaz, Sigrid Achenbach. Für die Hypo-Kulturstiftung verantwortet die Direktorin Christiane Lange einen eigenen Beitrag sowie, zusammen mit Hélène Hiblot, eine erhellende biografisch-historische Synopse.
Anmerkung:
[1] Die Akten der Nationalgalerie 1874-1945. Findbuch, Bestandsverzeichnisse Band 2, Zentralarchiv Staatliche Museen zu Berlin, hg. von Jörn Grabowski, Berlin 2001.
Sibylle Ehringhaus