Stefan Jordan: Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft (= Orientierung Geschichte), Stuttgart: UTB 2008, 228 S., 11 Abb., ISBN 978-3-8252-3104-0, EUR 16,90
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Mit der Einführung der neuen Bachelor-Studiengänge bietet sich die Gelegenheit, den Markt der Einführungsliteratur um eine weitere Reihe zur Orientierung im Geschichtsstudium zu ergänzen. Die Aufgabe, Studienanfänger auf die "Wissensebenen" der Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft zu führen, übernimmt der nun vorliegende Band von Stefan Jordan. Die Kenntnis jener theoretischen Wissensbestände der Geschichtswissenschaft wird in vielen Einführungen oftmals stillschweigend vorausgesetzt. Dem Mangel an Reflexion über die Grundlagen des eigenen Fachs tritt das Buch entgegen und versucht, seinen Lesern die nicht selten komplexen Theorien und deren historische Begleitumstände in einer möglichst einfach und klar gehaltenen Sprache näherzubringen.
Man kann daher erfreut sein, dass ein Kenner der Historiographiegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sich dieser Aufgabe gewidmet hat, der nicht nur das didaktische Fingerspitzengefühl hat, die Problemzusammenhänge anhand von Beispielen und Gegenwartsbezügen zu erhellen, sondern auch fähig ist, die Geschichte der Methoden und Theorien in einem Gesamtzusammenhang vermitteln zu können. Der Aufbau des Buches ist nicht systematisch, sondern historiographisch konzipiert. Beginnend mit Betrachtungen über Funktion, Definition von und im Umgang mit Geschichte, skizziert Jordan ein ethisches Verständnis von Geschichte, das seinen Ausdruck in einer "dreifachen Verantwortung des Historikers" findet: Verantwortung "gegenüber den Fachinhalten, gegenüber den Vertretern und Institutionen der eigenen Wissenschaft und gegenüber einer Öffentlichkeit" (218). Dieses Bekenntnis stellt das immer wiederkehrende Muster von Jordans Ausführungen dar.
Während die Historiographiegeschichte der Frühen Neuzeit nur kurz gestreift wird, wird der "Beginn der modernen Geschichtswissenschaft" ins 19. Jahrhundert datiert. Hier ist es in erster Linie der Historismus, den Jordan als Motor für die Geschichtswissenschaft nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa ausmacht. Der Autor macht dabei stets auf die begrifflichen Probleme, die die Debatten um den Historismus begleiten aufmerksam und legt die Stärken und Schwächen der im 19. Jahrhundert entwickelten Werkzeuge des Historikers offen.
Jordan macht den Leser nicht nur mit den klassischen Autoren der Geschichtswissenschaft, wie Leopold von Ranke oder Johann Gustav Droysen, bekannt, sondern auch mit den gerade in den letzten Jahren wieder mehr beachteten Theorien historischer Materialisten und Geschichtsphilosophen. Der Kampf, der zwischen bürgerlicher bzw. historistischer und sozialistischer Geschichtsschreibung stattfand, prägte, so Jordan, eine "zweite Sattelzeit" (ca. 1870-1920), die entscheidende Weichen für das 20. Jahrhundert stellte. Nach dieser Koselleckschen Lesart kann die sogenannte Volksgeschichte, wie die in den Jahren der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus verbreitete Richtung möglichst begriffsneutral genannt wird, in eine Kontinuität eingeordnet werden, die von der zweiten Sattelzeit bis zur Gesellschaftsgeschichte der 1960er Jahre reicht.
Dass Jordan den Einflüssen von Max Webers Theorien zur Werturteilsfreiheit und Objektivität besonderes Gewicht und ihm als einzigem Theoretiker ein eigenes Kapitel zugesteht, überrascht wegen seines ethischen Verständnisses des Historikerberufs nicht. Weber erscheint hier in vielerlei Hinsicht als Schlüsselfigur. Er war es, der, so die Lesart des sozialhistorischen Neuanfangs in den 1960ern, den Konflikt zwischen historistischer und materialistischer Geschichtsschreibung "löste". Aufgrund seines fachübergreifenden Interesses, das vor allem der Soziologie, Nationalökonomie und Kulturgeschichte galt, wurde Weber "zum personifizierten Inbegriff der Historischen Sozialwissenschaften, die die disziplinäre Enge überwinden wollten" (77). Webers wirkungsgeschichtliches Schicksal, erst verspätet in der Geschichtswissenschaft angekommen zu sein, erscheint in Anbetracht der von Jordan beschriebenen Vorherrschaft der Volks- bzw. Sozialgeschichte verständlicher: Weber wurde dann für Historiker anschlussfähig, als die Ablehnung des Rationalitätsprimats verschwunden war und Gesellschafts- und Strukturgeschichte nach den Regeln eines offenen Wissenschaftsdiskurses betrieben werden konnte.
Für die Kulturgeschichte macht Jordan vor allem die Wirkung der Schule der Annales geltend. Deutsche Traditionen der Kulturgeschichte, wie etwa die von Karl Lamprecht, die unter anderem über später exilierte Wissenschaftler aus der Warburg-Schule, wie Ernst Gombrich oder Erwin Panofsky, zumindest eine indirekte Wirkung entfalten konnten, werden nur knapp erwähnt. Nach Jordan waren es die Heroen der Mentalitätsgeschichtsschreibung, die den Diskurs innerhalb der Geschichtswissenschaften zu Feldern jeglicher Richtung öffneten. Neben der Hinwendung zu gesellschaftswissenschaftlichen Themen, wie Frauen- und Geschlechtergeschichte, erhält die Kulturgeschichte, die hier im allumfassenden Sinne zu verstehen ist, den wichtigsten Stellenwert innerhalb der Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts.
Damit löst Jordan eine Forderung ein, die er selbst an ein, nun in direkter Konkurrenz zu seinem Buch stehendes Einführungswerk gestellt hat. In einer Rezension zu Lothar Kolmers "Geschichtstheorien" bemängelte er dessen Betonung "materialer Geschichtsphilosophien" und die Vernachlässigung "historischer Epistemologie und Methodologie, die man zusammengefasst als Theorie historischer Praxis bezeichnen kann". Für ihn stellen gerade die Ansätze der neueren Sozial-, Alltags- und Mentalitätshistoriker "bedeutendere Bezugspunkte als die Philosophien Kants, Hegels oder Marx'" dar. [1] Die letzten beiden Kapitel in Jordans Buch versammeln daher die Vielfalt historischer Betätigung in den letzten vier Jahrzehnten.
Doch gerade in diesen Abschnitten gelingt Jordan das nicht, was in der Darstellung des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts so gut geglückt war: Die synthetische Klarheit, die verschiedenen Linien der Kontinuitäten verbinden und die Brüche der Tradition im Zusammenhang vermitteln zu können, gerät bei der Darstellung der Geschichtswissenschaft in der "Postmoderne" zur bloßen Aneinanderreihung und pflichtbewussten Nennung der verschiedenen Teilbereiche einer pluralistisch verstandenen Wissenschaft. Die Entschuldigung, eine Darstellung von an die Gegenwart reichenden Themen sei als solche problematisch (vgl. 200), ist wenig befriedigend. Denn gerade die historiographische Darstellung von Theorien und Methoden sollte deren Anwendung als historische Werkzeuge in der Gegenwart erlauben, anregen und begründen. So wird den zwar vorschnellen, aber auch sehr wirkmächtigen Kritikern der Postmoderne, die das potpourrihafte von Darstellungen bemängeln, eine weitere Bestätigung geliefert. Das kann nicht im Interesse einer Einführung in die postmoderne Geschichtsschreibung liegen. Hier hätte man sich mehr Mut zur vereinfachenden Darstellung gewünscht.
Dieses Buch kann gleichwohl als sinnvolle Ergänzung der Studienliteratur bezeichnet werden. Die didaktische Hinführung zu mehr Theoriebewusstsein ist in der Ausbildung zum Historiker unerlässlich. Sucht man nach einer problemorientierten Einführung in die wichtigsten Methodendebatten der letzten 200 Jahre, ist der Griff zu Jordans Buch zu empfehlen.
Anmerkung:
[1] Rezension von: Lothar Kolmer: Geschichtstheorien, Stuttgart 2008, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 10 [15.10.2008], URL: http://www.sehepunkte.de/2008/10/14208.html
Benjamin Steiner