Rezension über:

Andreas Schönle: The Ruler in the Garden. Politics and Landscape Design in Imperial Russia (= Russian Transformations: Literature, Thought, Culture; Vol. 1), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2007, 395 S., ISBN 978-3-03911-113-8, EUR 74,90
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Rezension von:
Marcus Köhler
Hochschule Neubrandenburg
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Marcus Köhler: Rezension von: Andreas Schönle: The Ruler in the Garden. Politics and Landscape Design in Imperial Russia, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 2 [15.02.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/02/13871.html


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Andreas Schönle: The Ruler in the Garden

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Der zweihundertjährige Todestag Katharinas II. von Russland brachte um 1996 eine Menge Tagungsbände und Monographien hervor, die insgesamt den hohen Standard belegen, den die historische Forschung in diesem Bereich erreicht hat.

Schon damals fiel jedoch auf, dass den Möglichkeiten der Geistes- und Kunstgeschichte, nämlich diese Ergebnisse zu verifizieren oder zu vertiefen, kaum ein Interesse geschenkt wurde. Betrachtet man die zahlreichen öffentlichkeitswirksamen Ausstellungen zu Katharina ("Katharina die Große" Kassel 1997, "Treasures of Catherine the Great" London 2000, "Catherine the Great. Art for Empire" Toronto 2005), die sich oftmals mehr auf die Aura der Objekte als auf historische Erkenntnis stützen, so scheint der Vorbehalt im Nachhinein berechtigt.

Nichtsdestoweniger sind einige beachtenswerte Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Kunstgeschichte entstanden, wobei vor allem die Architektur- und Gartengeschichte im Vordergrund stand. Dies kommt nicht von ungefähr, sind dies doch die Künste, die am deutlichsten den Interessen der Kaiserin entsprachen und deshalb einen detaillierten Einblick in die katherinische Kunstentwicklung ermöglichen.

Grundlegend waren in den 1990er Jahren die Arbeiten von Anthony Cross (Cambridge) und Dimitri Shvidkovski (Moskau), die einerseits sehr inspirierend, andererseits jedoch teilweise so oberflächlich recherchiert sind, dass darunter ihre wissenschaftliche Brauchbarkeit leidet. Ein Vorstoß kam von Priscilla Roosevelt und Richard S. Wortman. [1] Fokussierte die eine ihre Forschungen auf das russische Landleben und die "Datscha" im umfassenden Sinn, so führte Wortman die politische und künstlerische Entwicklung des russischen Hofes zusammen und entwickelte damit eine neue methodisch-inhaltliche Grundüberlegung.

Der Blick der Forschenden konzentrierte sich jedoch vornehmlich auf den englisch-russischen Austausch und ließ aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten Länder wie Frankreich, Italien und Deutschland unbeachtet - letzteres für Katharina zweifelsohne eine "Primärquelle". Dies war auch der Grund, warum der russischen Fachwelt die Erschließung des Gesamtthemas schwer fiel, ungeachtet der Tatsache, dass darüber hinaus Zugänge zu Quellen erschwert waren. In den letzten Jahren hat sich dies jedoch gewandelt, so dass man mittlerweile von einer erfreulichen russischen Grundlagenforschung sprechen kann.

Unabhängig voneinander sind in den letzten Jahren Arbeiten publiziert worden, die zusammengenommen - wenn auch nicht einen abschließenden - so doch einen umfangreichen Überblick über die Entwicklung der Gartenkunst in Russland im Zeitalter Katharinas geben. Zwei Dissertationsschriften markieren den Beginn: Margarete Floryans 1996 erschienene mit dem Titel "Gardens of the Tsars: A Study of the Aethetics, Semantics and Uses of Late 18th Century Russian Gardens" (Aarhus: Aarhus University Press) und die des Autoren 1997 eingereichte und 2003 unter dem Titel "Frühe Landschaftsgärten in Russland und Deutschland" (Berlin: Aland Verlag) publizierte. Sie stellten den damaligen Forschungsstand dar und beschreiben die stilistischen Entwicklungen, Hintergründe und Interdependenzen. Die Schwierigkeit bestand damals trotz völlig veralteter (Sergej N. Wiltschkowski, 1911) oder unstimmiger Grundlagenliteratur (Anatolii N. Petrov, 1969) eine kohärente Geschichte zu schreiben. Dies mag der Grund gewesen sein, weshalb sich Floryan einschränkte, die andere Arbeit jedoch eine Weitsicht anstrebte. Dabei galt es, die Konstanten der russischen Politik des 18. Jahrhunderts - Antike, Byzanz, Alte Rus, Europa, China - in der Kunst lesbar zu machen. Ein entsprechender Ansatz musste Stückwerk bleiben.

Andreas Schönles Buch muss zunächst auf dem Hintergrund dieser Entwicklung gewürdigt werden. Wenngleich er auch nicht alle zur Verfügung stehenden Standardquellen kennt bzw. angibt, dienen seine Erkenntnisse nicht nur dazu, die gemachten Betrachtungen zu bestätigen, sondern vertiefen und erweitern diese im gleichen Maße. Seine detaillierten - vor allem auch literarischen - Analysen russischer Originalquellen bringen Licht in die von Cross aufgestellten Hypothesen. Anhand der Aufzeichnungen Katharinas II. belegt er nicht nur genau, mit welchen Gartenschriftstellern sie sich auseinandersetzte, sondern auch inwiefern sie sie für ihre Zwecke benutzte und interpretierte. Das von Voltaire mitgeprägte Bild der "kaiserlichen Gärtnerin" ist insofern keine symbolische Überhöhung der Herrscherin, sondern zeigt die russische Kaiserin als reale Gestalterin. Es wird deutlich, dass sie anhand einer eigenen Kunstpolitik die Herausbildung von neuen Stilen genauso beeinflusste (Kapitel 1, 39-111) wie die Rezeption, die Schönle anhand der Personen des "Hausvaters" Andrei Bolotov und des Grafen Aleksandr Kurakin nachzeichnet (Kapitel 2, 113-217).

In den folgenden Kapiteln werden Ansätze wie die Roosevelts weiter entwickelt. Die Entdeckung des Landschaftlichen öffnete den Blick auf die eigene, nationale Landschaft, die von Karamzin literarisch gewürdigt, ja, vielleicht sogar entdeckt wurde. Ganz im Gegensatz zur westeuropäischen Kunsttheorie verfestigt sich durch ihn nicht etwa der zeitgenössische Topos des Malerischen (Piktoresken), sondern der der Uniformität. Sie wird als stilbildendes Element entdeckt. Schönle korreliert dies mit dem Begriff der "Russischen Seele" und eröffnet hier Perspektiven, die an Jean Baudrillards siderische Landschaften denken lassen. (Kap. 3, 219-270). Schließlich kommt er auf das Landleben zu sprechen, dass er an Lev Tolstois Siedlung Iasnaia Poliana widerspiegelt, eine konkrete gelebte Utopie (Kap. 4, 271-304). Folglich schließt er das Buch mit einem Blick auf den Topos "Garten" im 19. Jahrhundert (305-56) ab und lässt, erfreulich für eine historische Fragestellung, seine Anschauungen in der Moderne enden (335-357).

Ausgehend von einem literaturwissenschaftlichen Ansatz beeindruckt Schönles interdisziplinäre Sichtweise, die vom konkreten Objekt aus, Quellen einbezieht und eine Gesamtsicht entwirft, die in dieser Weise im Jubiläumsjahr noch unmöglich erschien.

Obwohl die genannten Werke eher publizistische Randerscheinungen sind, fordern sie dazu auf, die Eigenständigkeit der russischen Kunst- und Kulturgeschichte in all ihren Facetten stärker in einen gesamteuropäischen Diskurs einzubetten.

Schönle, der als Professor für Russland-Studien am Queen Mary College der University of London lehrt, ist mit seinem Werk nicht ein Schlussstrich gelungen, sondern ein erfreulicher Qualitätssprung, sowie eine willkommene Erweiterung des wissenschaftlichen Horizonts.


Anmerkung:

[1] Priscilla Roosevelt: Life on the Russian Country Estate, New Haven 1995; Richard S. Wortman: Scenarios of Power, Myth and Ceremony in Russian Monarchy. Vol. 1, parts one and two, Princeton 1995.

Marcus Köhler