Rezension über:

Arnd Kluge: Die Zünfte, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007, 522 S., ISBN 978-3-515-09093-3, EUR 49,00
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Rezension von:
Anke Sczesny
Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte, Universität Augsburg
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Anke Sczesny: Rezension von: Arnd Kluge: Die Zünfte, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 2 [15.02.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/02/14038.html


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Arnd Kluge: Die Zünfte

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Gleichermaßen an Fachleute wie an interessierte Laien wendet sich diese Überblicksdarstellung, die ohne weitere Untertitel, ohne zeitliche, systematische oder thematische Eingrenzung schlicht den Titel "Die Zünfte" trägt. Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis lässt den breiten Zugriff des Autors erkennen: Chronologisch beginnt er mit antiken römischen Handwerkerverbänden, befasst sich dann mit den mittelalterlichen Zunftgründungen im Konnex der Stadtentwicklungen, um mit dem frühneuzeitlichen, durch Städte, Länder und das Reich induzierten Ende der Zünfte zu schließen. Dass dieser Ritt über den Parcours mit Reibungsverlusten verbunden ist, ist angesichts der allumfassenden - hier nicht in allen Facetten besprechbaren - und damit sehr mutigen Zielsetzung des Autors nicht weiter verwunderlich, gesteht er doch ein, dass "die Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte [...] kaum noch von Spezialisten zu überblicken sind." (17)

So beginnt das in sieben Großkapitel gegliederte Werk in der Einleitung richtigerweise mit einem Forschungsrückblick bis ins 19. Jahrhundert und stellt die wesentlichen Quellengrundlagen vor, um mit einer Definition die Basis für die Arbeit zu legen: Hatten bis dato Kriterien gegolten wie beispielsweise die beruflichen und räumlichen Komponenten, die Art der Vereinigung, das Verhältnis zum Staat, der Zwangscharakter der Zünfte, ihre Ziele und Aufgaben und nicht zuletzt die religiös gesellschaftlichen Funktionen (Tabelle 30-32), schlägt der Autor hingegen folgende Definition vor: "Eine Zunft ist ein geografisch begrenzter Zwangsverband von Betrieben des Handwerks, des Kleinhandels oder von Dienstleistungen, der in vormodernen Epochen marktordnende Aufgaben wahrnimmt". (34) Ob und inwieweit diese Kriterien den Zünften gerecht werden, wird noch zu diskutieren sein.

Betitelt mit "Aufstieg" ist das zweite Kapitel und zielt vor allem auf die städtischen Voraussetzungen für die mittelalterlichen Zunftgründungen sowie auf die (quantitative) Verbreitung der Korporationen, wobei der Autor sich auch mit ländlichen Zünften befasst. Entgegen neueren Forschungen qualifiziert er sie jedoch als Produzenten von lediglich Massenwaren ab und beschreibt sie "als wirtschaftliche Einheiten in reinerer Ausprägung als ihre städtischen Vettern", da "gesellige, religiöse, kommunale oder festliche" (77) Aktivitäten gefehlt hätten. Nun mag dies für einige Regionen stimmen, für andere jedoch nicht, wie die Rezensentin (die im Übrigen - freilich eher ungenau - vom Autor zitiert wird) für den ostschwäbischen Raum eruiert hat. [1] Hier offenbart sich die Crux von Überblicksdarstellungen, denn durch die durchaus notwendigen Verallgemeinerungen werden wiederum Stereotypen gebildet und tradiert, die die Ergebnisse von Einzelanalysen dann verwässern.

An dieses Kapitel anschließend werden die Zunftmitglieder bzw. "die Menschen", so der Verfasser, thematisiert, beginnend mit den grundsätzlichen Zulassungskriterien zu den Zunftverbänden, zu denen unter anderem die Kategorie der Ehre bzw. Ehrbarkeit zählten sowie Nationalität, konfessionelle Zugehörigkeit, Bürgerrecht und das Geschlecht. Neben der Lehrlingslaufbahn konzentriert sich der Autor auf die Gesellenzeit und die Meisterschaft, wobei er sich besonders mit dem nach seinen Worten spezifisch deutschen Aspekt der Gesellenwanderschaft befasst, in deren Zusammenhang er auch nach den Motiven fragt. Ob hier allerdings "Freiheitsdrang, Abenteuerlust und touristischer Genuss" (182) als Motivatoren gelten dürfen, trotz des Hinweises, dass das Wanderleben keineswegs so romantisch gewesen sei, mag dahingestellt bleiben. Dieses "Gesellenkapitel" differenziert der Autor zusätzlich und vergleicht Gesellenverbände und Jugendbewegungen - unterstrichen durch eine siebenseitige Tabelle, die Merkmale der Jugendzeit und Charakteristika der Gesellenschaften nebeneinander stellt - doch ob diese Kontrastierung den Gesellenzusammenschlüssen gerecht wird, ist fraglich. Nicht nur das auch vom Autor genannte Alter vieler Gesellen von bis zu dreißig und mehr Jahren spricht gegen eine Charakterisierung dieser Organisationen als Jugendbewegung, sondern mehr noch die unzähligen Aufstände und Arbeitsniederlegungen in wirtschaftlichen Notzeiten, wegen schlechter Arbeitsbedingungen oder der Wahrung von Ehre und Reputation. Dass in diesen Fällen die Gesellenorganisationen als nicht zu unterschätzende wirtschaftliche Interessenvertretungen fungierten, ist wohl evident und wird vom Autor in einem weiteren Kapitel auch detailliert belegt. Insgesamt wird das Kapitel "Menschen" mit den Meistern und deren Zulassungsbedingungen, der Frage nach den intergenerationellen Aspekten der Zunft und der Möglichkeit des Austritts aus der Zunft beendet.

Die weiteren Kapitel beinhalten die Ziele und Tätigkeiten der Zünfte sowie den Zunftzwang, wirtschaftliche Ziele, marktordnende Aufgaben und kommunal-staatliche, religiöse und soziale Obliegenheiten der Zünfte. Freilich sollte hier darauf hingewiesen werden, dass der vom Verfasser verwendete Begriff der "Nahrung" sich keineswegs nur auf die Zünfte bzw. auf deren Wirtschaftsgesinnung bezog, sondern dass das "Nahrungsprinzip" ein gesamtgesellschaftlicher Grundbegriff war, wie neue geschichtswissenschaftliche Analysen belegen. [2]

Das vorletzte Kapitel beschreibt anhand betriebswirtschaftlicher Veränderungen sowie institutioneller Transformationen das Ende der Zünfte. Während auf institutioneller Ebene im 18. und 19. Jahrhundert ein erster Aspekt zum Abstieg der Zünfte der gleichzeitige Niedergang der Städte war, ein zweiter Aspekt die expandierende und durch die Länder geförderte Gewerbefreiheit und ein dritter die nur schleppende Umsetzung des Reichsschlusses von 1731, der die Missbräuche im Handwerk abschaffen sollte, trug letztlich auch die Wissenschaft und Verwaltung in Form von Kameralismus, Merkantilismus und der lange gültigen Volkswirtschaftslehre nach Adam Smith zur Aufhebung der Zünfte bei. Als Wirkungen des Zunftwesens bis in unsere Tage werden im letzten Kapitel Genossenschaften, Innungen sowie Handwerkskammern und Gewerkschaften gesehen, wobei noch ein Ausblick bis nach Russland, Japan und den USA gegeben wird.

Diese Überblicksdarstellung über Zünfte besticht durch die Breite ihres Ansatzes, ihren Aufbau, ihre Fülle an Beispielen sowie den immer wieder herangezogenen Vergleichen mit den Nachbarländern. Hilfreich sind auch die in den Text integrierten grau unterlegten Quellen, Forscherzitate, literarischen Beschreibungen und Tabellen, die Fachleuten und Laien gleichermaßen zur Illustration dienen. Auch die in fast jedem Abschnitt vorgenommene chronologische Betrachtung unterschiedlichster Gesichtspunkte führt dem Leser Möglichkeiten und Grenzen der Entstehungs- und Entwicklungsphasen der Zünfte stimmig vor Augen.

Gleichwohl bleiben neben den schon genannten noch einige Wermutstropfen. So schießt der Verfasser trotz seines Impetus, die Arbeit auch Nicht-Fachleuten zugänglich zu machen, an einigen Stellen mit seinen Begrifflichkeiten über das Ziel hinaus, wenn er mittelalterliche Gesellenbünde als Gewerkschaftsbewegungen tituliert (80) oder gleichverteilte Löhne als sozialistische Ordnung interpretiert (279). Schwerer wiegen jedoch zwei Aspekte: Zum einen werden die Auswahlkriterien der Beispiele nicht deutlich, und in ihrer Fülle wirkt es mithin willkürlich, wie überhaupt eine Reduzierung der Beispiele zugunsten der Aufnahme neuester Forschungen der Arbeit nicht schlecht angestanden hätte. Zum anderen sei nochmals auf die eingangs vom Autor selbst entworfene Definition vom Zunftwesen verwiesen, die nur auf die wirtschaftlichen und marktordnenden Ziele abhebt und somit die sozialen und religiös-brauchtümlichen Komponenten der Zünfte als konstitutive Elemente ausschließt. Wenn auch die ökonomischen Zwecke der zünftischen Vereinigungen im Vordergrund gestanden haben mögen, so waren die zweit genannten Bestandteile für das Zunftwesen doch nicht weniger wichtig, wie ja auch die umfangreichen Kapitel des Verfassers dazu deutlich belegen, d.h. hier müsste die der Arbeit als Grundlage dienende Definition revidiert werden.

Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist das Werk empfehlenswert, da es erste Anhaltspunkte bietet, von denen ausgehend sowohl Forscher als auch Laien weiter arbeiten können.


Anmerkungen:

[1] Anke Sczesny: Zwischen Kontinuität und Wandel. Ländliches Gewerbe und ländliche Gesellschaft im Ostschwaben des 17. und 18. Jahrhunderts (= Oberschwaben - Geschichte und Kultur, Bd. 7), Tübingen 2002

[2] Vgl. dazu Robert Brandt / Thomas Buchner (Hgg.): Nahrung, Markt oder Gemeinnutz. Werner Sombart und das vorindustrielle Handwerk, Bielefeld 2004.

Anke Sczesny