Linda-Marie Günther / Michael Oberweis (Hgg.): Inszenierungen des Todes. Hinrichtung - Martyrium - Schändung (= Sources of Europe; Vol. 4), Bochum: Europäischer Universitätsverlag 2006, XVI + 224 S., ISBN 978-3-86515-049-3, EUR 19,90
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Dieser Sammelband führt insgesamt elf Beiträge zusammen, die auf Vorträgen basieren, welche verschiedenen Aspekten von Todesinszenierungen auf zwei Tagungen an der Ruhr-Universität Bochum 2004/05 gewidmet waren. Der zeitliche Schwerpunkt des Bandes liegt auf der (vor allem römischen) Antike und dem Mittelalter, denen jeweils fünf Beiträge gewidmet sind; ein Beitrag ergänzt die Thematik in die frühe Neuzeit hinein.
Die Stärke des Bandes stellen die das Mittelalter betreffenden Aufsätze dar. So greift Uta Kleine in ihrem Beitrag zu den Translationen und zur Fragmentierung des Körpers von Heiligen die Diskussion um dieses komplexe Thema auf, das zumeist sehr ambivalent beschrieben wurde: Während manche Mediävisten die Zerteilung als gängige Praxis bereits des Frühmittelalters verstanden (Dinzelbacher), stellten andere die Vorstellung von der Unversehrtheit des Leichnams als Zeichen der Heiligkeit heraus (Angenendt). Kleine baut nun eine jüngere Position aus, die gerade den ambivalenten Umgang des Mittelalters mit dem Leichnam betont und sich nicht länger bemüht, deren Doppeldeutigkeiten zu vereinheitlichen. Einer Frage, die auch Kleine in ihrem Beitrag kurz anschneidet, - nämlich dem Grad der Abhängigkeit der frühmittelalterlichen Gesetzgebung in Bezug auf die Gräber vom römischen Recht - geht Miriam Czock nach: Sie bespricht den Passus 55,4 der Lex Salica, der sich mit dem Grabfrevel beschäftigt. Gegenüber der Auffassung einer Abhängigkeit dieses Abschnittes von germanisch-heidnischen Vorstellungen und dem Befund von Hermann Nehlsen, der den Passus aus dem Kirchenrecht erklärt, vertritt Czock die Ansicht, dass vor allem die römische Rechtstradition, die ähnliche Strafen auf Grabfrevel vorsähe, für die Ausformulierung dieser Passage ausschlaggebend gewesen sei. Einen überzeugenden Einblick in die byzantinische Geschichte bietet Dirk Jäckel, der die Kaisertötungen in frühbyzantinischer Zeit bespricht und dabei vor allem die Beispiele der am Anfang des 7. Jahrhunderts aufeinander folgenden Kaiser Maurikios und Phokas in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen rückt. Das bekannte Zitat Salimbenes von Parma - "vivit et non vivit" - greift Michael Oberweis in seinem Beitrag zur Verbrennung des "falschen Friedrichs" Dietrich Holzschuh 1285 auf. Dabei kommt er zu einer von Kantorowicz abweichenden Interpretation, die vor allem die apokalyptische Konnotation in der historiographischen Beschreibung und im Urteil Holzschuhs betont. Mehr kursorisch geht Dieter Scheler der Verweigerung des Begräbnisses im Mittelalter nach, wobei er die Entwicklung des Kirchhofs und der Kriterien des Ausschlusses beschreibt, die er vor allem am Beispiel der ungetauften Kinder und der Exkommunizierten darstellt.
Weniger überzeugend als dieser mediävistische Teil gestaltet sich der Rest des Bandes mit seinen zumeist sehr kurzen Beiträgen. So kommt etwa der Beitrag von Wilhelm Geerlings, der die das Märtyrertum verherrlichende Literatur des frühen Christentums zusammenfasst, leider ganz ohne Anmerkungsapparat aus. Stefan Müller bietet "Überlegungen zu den Motiven der Zuschauer bei den römischen munera", doch obwohl er darin die Perspektive des Publikums einnehmen will, spart er die anhaltende Kritik an den munera, wie sie etwa Seneca formulierte [1], aus; auch wenn diese Kritik der Philosophen letztlich nicht die Sinnhaftigkeit der Existenz der Spiele an sich in Frage stellte, so wird hier doch gerade der Umgang des Publikums und insbesondere des Philosophen mit den Spielen immer wieder thematisiert, wie etwa das berühmte Juvenal-Zitat von Brot und Spielen in seinem satirischen Zusammenhang zeigt. [2] Linda-Marie Günther hingegen bespricht anhand von drei Beispielen aus den historiographischen Werken des Flavius Josephus das Konzept des Märtyrertums in der Regierungszeit des Herodes. Leider stellt sie jedoch erst zum Ende ihres Beitrags die Frage, ob es sich bei diesen Beispielen für das jüdische Märtyrertum nicht doch um eine reine Stilisierung handeln könnte; bedenkt man, dass Flavius Josephus rund drei Generationen nach Herodes schrieb, handelt es sich bei dieser durchaus nicht "ketzerischen" (61) Frage doch um nicht weniger als die zentrale Problematik bei der Darstellung des Konzeptes von jüdischem Märtyrertum in der Zeit um Christi Geburt. Von Grabraub, -zerstörung und -schändung in der römischen Antike handelt der Beitrag von Meret Strothmann, die dabei zu dem Schluss kommt, dass die Verschärfung der Gesetzgebung in diesem Bereich seit der späten Kaiserzeit als Folge des zurückgehenden Einflusses der pontifices zu verstehen sei. Cornelia Weber-Lehmann bietet hingegen eine Anmerkung zur Interpretation der etruskischen Tomba François in Vulci, deren Ikonographie sie in den Rahmen griechischer Darstellungen einordnet und dabei zugleich der immer wieder behaupteten besonderen "Grausamkeit" gerade der etruskischen Kunst widerspricht. Den einzigen Beitrag zur frühen Neuzeit liefert Rainer Walz, der sich mit der Inszenierung des Martyriums bei den Täufern anhand von deren Traditionsquellen auseinandersetzt; den Grad der Stilisierung in diesen Berichten wird allerdings erst eine Ergänzung dieser Untersuchung um die Perspektive der Verfolger (etwa anhand von Verhörprotokollen) ermöglichen.
Eine gemeinsame Bibliographie schließt die Beiträge ab. Zusammen mit dem Vorwort von Walter Eder ist dies die übergreifende thematische Klammer des Bandes. Natürlich liegt damit kein umfassender Blick auf die Inszenierungen des Todes vor, was Eder durchaus konsequent bemerkt: "Der vorliegende Band zeigt die eindrucksvolle Breite und doch nicht das ganze Spektrum der Aspekte, Probleme und Fragen, die sich mit Recht, Religion und Gewalt verbinden" (XV). Dennoch hätte man sich gewünscht, dass etwa - und aufgrund der Aktualität gerade - auch dem islamischen Kulturkreis zumindest ein Beitrag gewidmet worden wäre. Über den (uneinheitlich hohen) Wert der einzelnen Beiträge für ihre jeweiligen Fachdisziplinen kommt der Band kaum hinaus, was einmal mehr belegt, dass Interdisziplinarität mehr sein sollte als die bloße Aneinanderreihung verschiedener Aufsätze zum selben Thema.
Anmerkungen:
[1] Seneca, Epistulae 7.
[2] Juvenal, Satiren 6, 81.
Romedio Schmitz-Esser