Jürgen Dendorfer / Claudia Märtl (Hgg.): Nach dem Basler Konzil. Die Neuordnung der Kirche zwischen Konziliarismus und monarchischem Papat (ca. 1450-1475) (= Pluralisierung & Autorität; Bd. 13), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2008, VII + 444 S., ISBN 978-3-8258-1370-3, EUR 59,90
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Jürgen Dendorfer / Roman Deutinger (Hgg.): Das Lehnswesen im Hochmittelalter. Forschungskonstrukte - Quellenbefunde - Deutungsrelevanz, Ostfildern: Thorbecke 2010
Jürgen Dendorfer: Adelige Gruppenbildung und Königsherrschaft. Die Grafen von Sulzbach und ihr Beziehungsgeflecht im 12. Jahrhundert, München: C.H.Beck 2004
Claudia Zey / Claudia Märtl (Hgg.): Aus der Frühzeit europäischer Diplomatie. Zum geistlichen und weltlichen Gesandtschaftswesen vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, Zürich: Chronos Verlag 2008
Mit dem Ende des Basler Konzils im Jahr 1449 schloss die mittelalterliche Kirche eine mindestens drei viertel Jahrhundert dauernde ekklesiologische Krise ab. Der Streit um die Ordnung der Kirche war, historisch gesehen, außerordentlich intensiv und für die Beteiligten erschütternd. Wirkliche Zäsuren lassen sich in der Geschichte aber bekanntlich selten finden. Dieses ernst zu nehmen, ist eines der Verdienste des Sammelbandes von Jürgen Dendorfer und Claudia Märtl. Ich erwähne hier nur die aus meiner Sicht wichtigsten Beiträge, ohne mich damit über die Qualität anderer aussprechen zu wollen.
Der Band konzentriert sich auf kuriale Reformdiskussionen nach 1450. Die ersten beiden Beiträge fallen aus diesem Rahmen, denn sie sprechen Reformdiskussionen außerhalb Roms an. Thomas Wünsch untersucht den "Postkonziliarismus" in den Traktaten des Petr Chelčický und des Bartholomäus von Maastricht um 1440, also noch während des Basler Konzils. Rolf De Kegel beschreibt den gedanklichen Wandel des Johannes von Segovia während und nach dem Basler Konzil. Man hätte, wenn es um Diskussionen außerhalb Roms geht, vielleicht auch einen Hinweis auf die Pariser Universität, die in der Forschung seit Jedin doch als konziliares Gegengewicht der Kurie gesehen wird, erwartet.
Verständlicherweise steht der Pontifikat Pius II. in diesem Band oft im Zentrum. Helmut G. Walther weißt darauf hin, dass der Ausbau der päpstlich säkular monarchischen Herrschaft durch die superioritas in spiritualibus behindert würde. Auf der spirituellen Ebene hatte der Papst nach dem Basler Konzil, und so lange die Drohung eines (zukünftigen) Generalkonzils reell war, eine Schwachstelle. Der Versuch Pius' II. dieser Drohung mit der Bulle Execrabilis Herr zu werden (in der versucht wurde, die kirchlichen Diskussionen auf konkrete Fragen des Umfangs der päpstlichen Jurisdiktionsgewalt zu beschränken), war einen Fehlschlag. Jürgen Miethke behandelt zwei Reformvorschläge, De reformationibus Romanae curiae des Domenico de' Domenichis und Reformacio generalis des Nikolaus von Kues, die einer durch Pius II. vorbereiteten, aber nie erlassenen Reformbulle (mit) zugrunde lagen. Die Konklusion ist hart: Die Reform bleibt "im Gärtnerischen stecken, [...] setzt nirgendwo zu einer strukturellen Reform, auch nicht zu einer strukturellen Überlegung an" (135).
Die Arbeiten des Domenico de' Domenichis sind ein zweites häufig behandeltes Thema. Martin Ederer untersucht Konzepte der Kirchenreform in Domenichis Predigten. Kirchenreform war in diesen Predigten vor allem eine moralische Reform auf allen kirchlichen Ebenen unter der Führung des Papstes - "gärtnerisch" würde Miethke vermutlich sagen. Jürgen Dendorfer stellt den Tractatus de episcopali dignitate Domenichis vor. Es scheint Dendorfer auffällig, dass Domenichi mit den gleichen Argumenten mitunter vollkommen unterschiedliche Ziele verfolgt. Die Traktate Replica gegen Gregor Heimburg und Contra supercilium des Teodoro de' Lelli werden von Thomas Prügl besprochen. De' Lelli äußert sowohl dem Konzil als auch dem Kardinalskolleg gegenüber starke Kritik und hält ein Plädoyer für die unbeschränkte päpstliche Monarchie.
Zusammen mit Anderen schildern und detaillieren die hier erwähnten Autoren Teile eines Bildes, das im Grunde genommen schon durch Jedin gemalt wurde. Die Diskussion über korporatistische Kirchenordnungsvorstellungen und monarchisches Papat dauert nach 1450 spürbar an, auch an der Kurie. Gleichzeitig scheint die Entscheidung zu Gunsten des monarchischen Papats schon getroffen zu sein. Die Zukunft des Papsttums scheint unvermeidlich die eines italienischen Fürstentums zu sein, auch wenn diese Zukunft nicht immer unbedingt gewollt oder logisch ist. Reform ist ein kirchliches und kuriales Desiderat, aber auch hier ist der Schatten der konziliaren Experimente merkbar: Die Reformvorschläge bleiben im Allgemeinem vorsichtig theoretisch, und werden selten umgesetzt. Das muss auch Hans-Jürgen Becker zugeben, obwohl er in seinem Beitrag über Ansätze der Kirchenreform in den päpstlichen Wahlkapitulationen argumentiert, dass sich die Päpste dem Drängen auf Reform nicht ganz entzogen haben. Besonders ist auf die Beiträge Claudia Märtls und Anna Modiglianis hinzuweisen, weil sie die Zeit nach 1450 anhand von Themen, die bisher seltener Gegenstand der Forschung waren, zu entschließen versuchen. Märtl untersucht die Rolle der Konsistorialadvokaten nach dem Basler Konzil. Modigliani behandelt ideologische und symbolische Äußerungen der päpstlichen Macht, die entweder auf antike imperiale Ursprünge der päpstlichen Macht zurückgehen oder eben dieser Tradition reserviert gegenüberstehen.
Sehr lesenswert sind auch die Beiträge Concetta Biancas und Duane Hendersons. Bianca stellt fest, dass in Rom in der nachkonziliaren Zeit wenig - ja erstaunlich wenig - "konziliare" Handschriften und Drucke zu finden waren. Henderson untersucht, wie die Donatio Constantini, bereits deutlich als Fälschung erwiesen, in unterschiedlichen Diskussionen um das Verhältnis zwischen Kaiserreich und Papsttum, um die weltlich päpstliche Herrschaft, um die Kardinäle sowie um die Kirchenreform benutzt wurde. In einigen dieser Diskussionen wurde der Nachweis der Fälschung rezipiert. In anderen, die in den gleichen Milieus geführt wurden, wird die Fälschung ignoriert. Bianca und Henderson liefern Argumente, die ihre Feststellungen erklären sollen, aber die Erklärungen bleiben etwas unbefriedigend.
Das bringt uns zu einer Kritik, die auch andere Beiträge betrifft (etwa Dendorfer, Walther oder Becker). Warum wird die These, dass die Kurie sich nicht mit ihrer eigenen Geschichte und mit der konziliaren Geschichte im Reinen ist, nicht berücksichtigt? Vor allem Francis Oakley hat in der letzten Zeit eindrücklich darauf hingewiesen, dass im römisch-kurialen Umfeld Versuche unternommen wurden, die Geschichte umzuschreiben oder sogar zu verschweigen. [1] Argumente wurden gezielt eingesetzt und wurden, je nach konkreter Situation, gedreht. Das Überleben des Papsttums als Leitung der Kirche war wichtiger als die Geschichte, wichtiger als das "ehrliche" Argument und wichtiger als Reform. Wenn wir das ernst nehmen, erklärt es vielleicht einiges besser. 1439 versuchte Giuliano Cesarini mit der Donatio Constantini die Griechen in Florenz von dem päpstlichen Primat zu überzeugen. [2] Möglicherweise hatte Cesarini die ihm gewidmete De concordantia catholica des Cusanus nicht gelesen oder sie falsch verstanden? Oder wirkt es befreiend, wenn wir sagen: Für Cesarini war die Verteidigung des päpstlichen Primats einfach wichtiger als die Schlüssigkeit seines Arguments?
Allein schon die Thematik der Verarbeitung der konziliaren Zeit an der Kurie nach 1450 macht diesen Band zu einem wertvollen Beitrag zur kirchengeschichtlichen Forschung des 15. Jahrhunderts. Er ist zudem eine Sammlung interessanter und weiterführender Aufsätze auf hohem Niveau. Die Herausgeber präsentieren Beiträge, die unser Verständnis des Pontifikats Pius II. vertiefen und in denen neue Fragen gestellt werden. Andere Beiträge ziehen zentrale Schriften der Zeit, entweder zum ersten Mal oder erneut, unter einem anderen Blickwinkel ins Rampenlicht. Darüber hinaus eröffnen weitere Beiträge neue Wege, um die nachkonziliare Zeit zu erschließen. Der Band kann natürlich kritisiert werden, aber er ist vor allem eine Antwort auf ein Forschungsdesiderat und entspricht aus meiner Sicht den (hohen) Erwartungen.
Anmerkungen:
[1] Francis Oakley: The Conciliarist Tradition. Constitutionalism in the Catholic Church, 1300-1870, Oxford, 2003. Vgl. auch einen Beitrag, den die Autoren des Bandes "Nach dem Basler Konzil" noch nicht kennen konnten: Francis Oakley: The Conciliar Heritage and the Politics of Oblivion, in: The Church, the councils and Reform: The Legacy of the Fifteenth Century, hg. von Gerald Christianson/Thomas Izbicki/Christopher Bellitto, Washington 2008, 82-100.
[2] Georg Hofmann: Acta latina concilii Florentini, Rom 1955, 247.
Michiel Decaluwé