Alexis Joachimides: Verwandlungskünstler. Der Beginn künstlerischer Selbststilisierung in den Metropolen Paris und London im 18. Jahrhundert (= Münchener Universitätsschriften des Instituts für Kunstgeschichte; Bd. 9), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2008, 416 S., ISBN 978-3-422-06864-3, EUR 58,00
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Komparativ ausgerichtete Studien sind in der Kunstgeschichte nach wie vor selten. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Selbst wenn 'nur' zwei Vergleichsgrößen herangezogen werden, so sind diese doch erst einmal gleichwertig zu bearbeiten, wenn Querbezüge und Schlussfolgerungen stimmen sollen. Was zu einer proportionsgerechten Halbierung des Forschungsaufwandes einladen könnte, führt in der Praxis zu seiner Verdoppelung auf beiden Seiten des untersuchten Feldes. Im gelingenden Fall wird der Mehreinsatz durch den Gewinn neuer Sichtachsen und Synthesebildungen belohnt, die nur durch den mehrfach vollzogenen Perspektivwechsel überhaupt erkennbar geworden sind.
Alexis Joachimides geht in seiner Studie, die 2006 als Habilitationsschrift an der Ludwigs-Maximilians-Universität eingereicht worden ist, vergleichend vor. Er setzt dabei zwei Schauplätze in einen wechselseitigen Bezug, die für sich genommen gut ausgewiesene Felder kunstgeschichtlicher Forschung darstellen. Mit Paris und London (die ein Vorrangverhältnis ausdrückende Nennung in dieser Reihenfolge kehrt sich erst am Ende des 18. Jahrhunderts um) werden zwei urbane Großräume des Ancien Régime in den Blick genommen, denen in den letzten Jahrzehnten zahlreiche kunstsoziologische Untersuchungen gewidmet worden sind.
Eine Leitkategorie war dabei zum einen die Funktion der Kunst bei der Herausbildung einer diskursiven städtischen Öffentlichkeit neben und gegen die repräsentierende Öffentlichkeit des Hofes; eine Deutungsperspektive, die vor allem Thomas Crow, im Aufgriff der Thesen von Jürgen Habermas auf Paris angewandt hat. [1] Der Akzent vergleichbarer Studien zu London lag und liegt dabei bis heute eher auf der Veränderung von künstlerischen Produktions- und Rezeptionsformen im Einflussfeld der entstehenden consumer society. Die neuen Funktionszuschreibungen an Kunstwerke im Sinne einer kulturellen Kommodität und als Distinktionsmittel in der entstehenden Klassengesellschaft hat etwa David Solkin detailliert herausgearbeitet. [2]
Das immense Wachstum, das beide Städte im 18. Jahrhundert durchliefen, wird in den genannten und ähnlichen Studien zwar häufig als statistische Fußnote eingeblendet, aber kaum als neue historische Problemlage profiliert, die auch die Lebens- und Arbeitsweisen von Künstlern grundlegend verändert hat. Hier setzt die vorliegende Studie an. Sie untersucht, wie sich Künstler - hier durchgängig im eingeschränkten Sinne als Maler und Grafiker zu verstehen - als ästhetische Produzenten auf 'Umweltbedingungen' eingestellt haben, die von einer historisch neuen Vielfalt von Handlungsoptionen durch die soziale Ausdehnung des künstlerischen Feldes gekennzeichnet gewesen sind. Der sich formierende Kunstmarkt und die Verstetigung des Ausstellungswesens mit jeweils eigenen Formen der Käufer- und Rezipientenadressierung bildeten dabei fraglos diejenigen Faktoren, deren Dynamik von Künstlern als Marktteilnehmer und als Anbieter in einem dicht bestückten visuellen Medium am schwierigsten antizipiert werden konnten.
In einer luziden Einleitung (11-22) und einem nicht minder konzisen Eröffnungskapitel ("Künstler in der Großstadt", 23-69) werden diese, in ihren Grundzügen bekannten Rahmenbedingungen in einer bifokalen Perspektive auf die beiden Hauptschauplätze der Untersuchung entfaltet. Die Auftaktsequenz dient zugleich der genaueren Konturierung des für die Studie zentralen soziologischen Theorems der Selbststilisierung. Joachimides grenzt es von frühneuzeitlichen, topisch geprägten Formen künstlerischer Selbstdarstellung ebenso ab wie von dem erst für das 19. Jahrhundert anwendbaren Konzept eines kollektiven Künstler-Habitus als einer Gruppenqualität, indem er das situative und voluntaristische Moment des Stilisierungsvorgangs hervorhebt: Künstler optieren in bestimmten Situationen und an entscheidenden Karrierestationen für Verhaltensweisen, die nicht mehr von der Tradition gedeckt sind, deshalb aber nicht einfach idiosynkratisch oder willkürlich genannt werden können. Sie folgen vielmehr einer neuen sozialen Handlungslogik, die auf eine mimetische Angleichung an den kulturellen Code der ausgewählten Zielgruppe gerichtet ist, die keineswegs mit dem sozialen Gefüge identisch sein muss, in dem sich der Künstler aktuell bewegt.
Aus diesem Distinktionsbedarf entsteht eine nicht nur in der Ständegesellschaft durchaus brisante Drift zur kalkulierten Normverletzung, die in der sozialen Interaktion als Verhaltensauffälligkeit, wenn nicht gar als Brüskierung sowohl in der eigenen peer-group (unter Künstlerkollegen) oder in gesellschaftlich höherrangigen Formationen (etwa bei Hofe) registriert wird. Dem mit diesem Willen zum kalkulierten Affront verbundenen Risiko steht der mögliche Gewinn einer positiv konnotierten Aufmerksamkeit gerade bei jener Zielgruppe gegenüber, auf deren soziale Akzeptanz und Erwerbungsbereitschaft der Künstler spekuliert. Im günstigsten Fall stellen sich kommerziell relevante Wiedererkennungseffekte ein, in denen sich das künstlerische Werk und die soziale Persona des Künstlers in der öffentlichen Wahrnehmung wechselseitig beglaubigen.
Einen dynamischen Aspekt, auf den die Begriffsprägung vom Verwandlungskünstler anspielt, erhält dieses Handlungssyndrom durch seinen spekulativen Grundzug, der im Sinne eines trial and error bei einzelnen der hier behandelten Künstler die Erprobung alternativer Stilisierungsstrategien mit durchaus ungewissen Erfolgsaussichten erkennen lässt. Das nachfolgend näher zu erläuternde sample der Fallstudien folgt erklärtermaßen einer Präferenz für Pioniergestalten, die erstmals, sei es auf dem französischen oder dem englischen Schauplatz der Studie, neue Stilisierungsformen erprobt haben. Da in dieser Deutungsperspektive auch dem Scheitern ein heuristischer Wert zukommt, weil es Rückschlüsse auf die orts- und zeitüblichen Dimensionen von sozialen Handlungsspielräumen von Künstlern zulässt, ist in dem Buch auch öfter als in der einschlägigen Literatur üblich, von Misserfolgen, Fehl- und Rückschlägen die Rede.
Quellengrundlage für die hier unternommene Rekonstruktion einer sozialen Handlungslogik von Künstlern in der entstehenden Markt- und Konsumgesellschaft bilden akribisch zusammengestellte zeitgenössische Texte (Briefe, Lebensbeschreibungen) und Bildzeugnisse, vorwiegend Selbstbildnisse oder Einzelwerke mit programmatischen Selbstaussagen der Künstler. Stilisierung wird dabei als kollektiver Prozess einer sich selbst verstärkenden Rückkoppelung zwischen dem Künstler, dem Werk und dem Kunstpublikum erkennbar.
Der historische Erklärungswert dieser Konzeption kann in einer Sequenz von Fallstudien überprüft werden, die in fünf Kapiteln zusammengefasst worden sind. Ihr interner Aufbau ist weitgehend einheitlich und erleichtert eine vergleichende Betrachtung der jeweils erreichten Zwischenergebnisse: Detailanalysen zu französischen und englischen Künstlern werden jeweils unter einer gemeinsamen Problemstellung zusammengefasst und mit Resümees und Ausblicken auf die weitere Entwicklung arrondiert. Diese bilateralen Paarbildungen sind ausgesprochen aufschlussreich, weil sie als synchron angelegte Stichproben die in beiden Hauptstädten vorhandenen Handlungsspielräume für strukturell ähnliche künstlerische Strategien und ihre Filterung durch unterschiedliche Traditionsvorgaben erkennen lassen.
Die Produktivität dieses Vorgehens wird bereits in dem Doppeltableau erkennbar, das mit Antoine Coypel und Godfrey Kneller zwei Maler in den Blick nimmt, die im Verlauf ihrer Karrieren auf tief greifende Veränderungen im höfisch institutionalisierten Künstlertum reagieren mussten. Ausschlaggebend dafür waren nicht so sehr die dynastischen Umbesetzungen in beiden Ländern im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts. Der Autor kann vielmehr nachweisen, dass der Direktionswert des höfischen Habitus durch die Ausdifferenzierung adliger Lebensstile selbst unterminiert wurde. Mit schwachen Adelsprädikaten ausgestattet, mussten die Hofmaler ihren Status durch eine habituelle Majestätsnähe sichern, ohne dass sie es ich hätten leisten können, gänzlich im Hofdienst aufzugehen. Das Hofkünstlertum, einst Krönung künstlerischer Sozialambition, wurde unter diesen Umständen zu einem fortdauernden Balanceakt: wie viel Künstlertum goutiert der Hof, wie viel Noblesse akzeptieren die Künstlerkollegen, wie viel Magnifizenz verträgt der Auftritt im großstädtischen Raum? Die erforderlichen Rollenwechsel multiplizierten sich.
Der Leitbildverlust des höfisch-adligen Habitus betraf die soziale Navigation von Künstlern besonders, weil die durch die Ausübung der 'edlen und freien Malerkunst' gesicherte Teilhabe an einem symbolischen Konzept von Nobilität nun immer öfter gegen die Verhaltensformen der real existierenden Aristokratie behauptet werden musste. Joachimides erläutert diesen Vorgang unter dem Rubrum der "Verweigerung der Höflichkeit" in einer spannungsreichen Parallelperspektive auf den allseits bekannten William Hogarth und den fast völlig vergessenen Jacques Autreau. Obschon durch eine Generation voneinander getrennt, praktizierten beide Maler in den 1730er Jahren öffentlich die Entkoppelung von künstlerischer Ambition und sozialer Aufwärts-Anpassung. Hogarth verzichtete aus diesem Grund weitgehend auf eine Betätigung im lukrativen, aber 'höfliche' Konzessionen erfordernden Porträtfach und entwickelt stattdessen seine kommerziell sehr erfolgreichen 'modern moral subjects'. Er verbesserte fortan seine Lebensbedingungen nicht unwesentlich durch Bildkritik am pseudo-adligen Lebensstil der Aufsteiger, schon deshalb musste er seinen eigenen Aufstieg kulturell anders kodieren. Autreau beendete seine lange, wenig erfolgreiche Laufbahn als Bildnismaler mit einem ingeniösen Kunstgriff, der es ihm gestattete, ein dringend benötigtes höfisches Auftragswerk anzunehmen und zugleich seine moralische Integrität als eines unbestechlichen Menschenkenners zu bewahren.
Joachimides nennt diese Distanzierungen mit Recht 'proto-bürgerlich', weil sie, wenn auch in negativer Weise, auf ein bereits unscharf werdendes adliges Leitbild, bzw. dessen inkongruente Nachahmung durch nachrückende Aufsteiger fixiert bleiben. Im folgenden Kapitel würde man daher Beispiele für die wechselseitige Stabilisierung von künstlerischen Stilisierungsformen und Bürgerlichkeit erwarten, die sich zuerst in den Metropolen abgezeichnet haben muss. Nur hier war genügend kritische Masse vorhanden, um berufsständische Differenzierungen, ökonomische Rivalitäten und konfessionelle Unterschiede in einen gemeinsamen, nicht-inferioren Code der Bürgerlichkeit als 'wohl situierte' Selbstmoderierung (bienscéance/propriety) zu integrieren.
Auch der Autor scheint eine solche Konvergenz für die Jahrzehnte zwischen 1730 und 1770 anzunehmen, lenkt das Schlusskapitel den Blick doch bereits auf "jenseits des bürgerlichen Lebens" angesiedelte Stilisierungsformen im letzten Jahrhundertdrittel. In dem Zeitraum davor müssen also Künstler im wachsenden Maße ihre Ambitionen so erfolgreich diesem bürgerlichen Leben angepasst haben, dass hier die Mimesis in eine Mimikry übergegangen ist, in der sich die Künstlerfigur kaum noch von dem sozialen Hintergrund, vor dem sie agiert, unterscheidet.
Dass dieser für die Untersuchung zentrale Vorgang im vierten Kapitel, mit 87 Seiten das umfangreichste der Studie, kaum Kontur gewinnt, liegt daran, dass hier das soziale Theorem der künstlerischen Selbststilisierung nicht nur mit der komplexen ideengeschichtlichen Formation der Aufklärung, sondern auch mit deren Gegenteil, einer wie auch immer zu definierenden Gegenaufklärung kurzgeschlossen wird. Damit hat sich der Autor ohne erkennbaren Grund eine vierfache Hypothek auferlegt, die abzutragen ein eigenes Buch erfordert hätte: der metropolitanen Doppelperspektive gemäß wären Konvergenzen und Differenzen zwischen französischen lumières und englischem (wenn nicht auch schottischem) enlightenment und ihren jeweiligen sozialen Trägerschaften darzulegen gewesen. Die Profilierung der ohnehin problematischen Kategorie der Gegenaufklärung hätte gleichfalls ein nach Pariser und Londoner Milieus getrenntes Doppelporträt erfordert. Tatsächlich bietet das Kapitel unter dem fragwürdigen Titel "Freunde und Feinde der Aufklärung" die Wiederbelebung des normativen Deutungsschemas Aufklärung/Intellektualität/Säkularisierung versus Gegenaufklärung/Anti-Intellektualität/Religiosität, das dem Selbstbild der Pariser Enzyklopädisten entsprochen haben mag, dessen extrem begrenzter historischer Erklärungswert aber von einer komparativen Aufklärungsforschung längst herausgearbeitet worden ist.
Die "Freunde der Aufklärung" identifiziert der Autor denn auch vorrangig in jenen Malern, die durch persönliche Kontakte zu einer neuen Klasse von politisch engagierten Schriftstellern und Teilnahme an deren Geselligkeitsformen und Schreibpraktiken den Habitus eines artiste philosophe gepflegt haben. Mit dieser Ausrichtung wird ein Forschungsfeld beschritten, das für die Pariser Szene bereits bestens von Claudia Denk und Tom Holert bestellt worden ist. [3] Der Autor kann die hier erbrachten Analysen, etwa im Hinblick auf Quentin-Maurice de la Tour, im Wesentlichen bestätigen und im Fall von Allan Ramsay den Import der philosophischen Künstlerrolle in den britischen Raum nachweisen.
Warum sich hingegen eine schillernde Künstlerpersönlichkeit wie Johann Zoffany, der biografisch den Typus des globetrotter-artist des 19. Jahrhunderts vorwegzunehmen scheint, der "Gegenaufklärung" habe andienen wollen, bleibt trotz erheblicher argumentativer Anstrengungen schleierhaft (215-236). Ein solcher Wanderer zwischen den Welten, der 1772 als Expeditionsmaler für die zweite Weltumsegelung von James Cook eingeplant war und von 1783 bis 1789 in Kalkutta lebte, war für jede weltanschauliche Lagerbildung im alten Europa bereits verloren.
Gerade das von Joachimides herangezogene, und als Manifestation katholischer Reumütigkeit gedeutete Selbstporträt Zoffanys von 1779 - vielleicht das wichtigste, fraglos das vielschichtigste der in dieser Studie behandelten Künstlerbildnisse -, illustriert das Recht des Urhebers auf seine religiöse und moralische Nichtfeststellbarkeit. Hier ist der Verwandlungsakt des Künstlers genau in dem Moment festgehalten worden, der eine vereindeutigende Bildaussage unmöglich macht. Das Bild zeigt den Maler, wie er mit einer Mönchskutte hantiert; ob er sie bußfertig anlegt oder nach einem langen Aufenthalt in Italien erleichtert ablegt, ist schlichtweg nicht zu entscheiden. Ebenso wenig lässt sich dem im Hintergrund erkennbaren Arrangement aus Kondomen, Rosenkranz und einer Venusdarstellung eine klare Bildaussage im Sinne von "weltanschaulichen Grundüberzeugungen" (259) abgewinnen. Wenn Zoffany, wie der Autor mutmaßt, mit diesem Bildnis seine Akzeptanz in konservativ-katholischen Kreisen habe befördern wollen, kommt man nicht umhin festzustellen, dass die Bildsprache der Aufklärungsfeinde weitaus kühner und intellektuell stimulierender gewesen ist als die ihrer Befürworter.
Festeren Grund betritt die Analyse wieder im letzten Kapitel, das der Entstehung von zwei genuin neuen Stilisierungsstrategien im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert gewidmet ist. Die eine ist gekennzeichnet durch die provokative Demonstration der eigenen gesellschaftlichen und institutionellen Marginalisierung; Joachimides fasst diese unter dem Behelfsbegriff der "Boheme" (259) oder als "proto-bohemische Verhaltensauffälligkeiten" (260) zusammen. Die andere Darstellungsstrategie kristallisiert sich zeitgleich im Typus des Dandy aus, der auf der großstädtischen Bühne seine soziale Persona und gesellschaftliche Interaktion selbst zum Kunstwerk stilisiert (313-366). Beide Formen sieht der Autor durch eine wachsende literarische Selbstbezüglichkeit gekennzeichnet, insofern hier Topoi und Typen der Viten- und Romanliteratur in die Lebenswirklichkeit zeitgenössischer Künstler übernommen werden.
Im Falle von John Hamilton Mortimer wird überzeugend dargelegt, wie dessen Kultivierung des 'gesetzlosen', latent kriminellen Außenseiters bewusst an Leben und Werk von Salvatore Rosa anknüpfte (261-280). Die Übernahme einer solchen Topik der Dissidenz auch für Gabriel de Saint-Aubin nachzuweisen, will weniger gut gelingen, vor allem weil hier der Bezugspunkt zu Antoine Watteau als Ahnherr der Pariser Künstlerboheme nicht ausreichend berücksichtigt worden sind. Der Fall Saint-Aubin führt überdies die heuristischen Grenzen des Stilisierungstheorems insgesamt vor Augen. Von Joachimides ausdrücklich als eine gewählte Strategie sozialen Handelns definiert, vermag dieses Konzept nicht recht zu erklären, warum Künstler auch dann noch an Stilisierungsformen festhalten, wenn diese - wie bei Saint-Aubin - schließlich in eine völlige soziale Isolation und Verarmung führen. Die kenntnisreich zusammengestellten Schrift- und Bildzeugnisse für diesen Marginalisierungsprozess beschwören fast zwangsläufig die Frage herauf, ob hier bloß eine Stilisierungsstrategie scheitert oder nicht vielmehr eine ganze Existenz.
Mit der Stilisierungsform des Dandy wird schließlich ein Typus untersucht, dessen Übernahme in den Bereich der Kunst gleichsam das Ergebnis einer anglo-französischen Koproduktion darstellt. Der Autor kann an der mode- und literaturgeschichtlich dominierten Genealogie dieses Männlichkeits-Habitus gewichtige Korrekturen anbringen, insofern er dessen Ursprünge im Paris der 1780er nachweisen kann, bevor das Phänomen mit einigem Zeitverzug in London kurz vor der Wende zum 19. Jahrhundert auch begrifflich bestimmt worden ist. Eingebettet in eine breite Rezeption von Lebens- und Kleidungsformen des englischen Landadels, adaptierten junge französische Künstler wie Carle Vernet oder Jacques-Louis David einen anglophilen Habitus schlichter Eleganz, der sowohl künstlerisches Selbstbewusstsein als auch einen anti-höfischen Affekt zum Ausdruck brachte. Für Vernet eröffnete sich hierbei die Möglichkeit, kaum erfüllbare Ambitionen im Historienfach durch ein Ausweichen auf das Genre des Jagd- und Pferdesports nicht zur zu kompensieren, sondern auch durch meisterhafte Beherrschung dieser ehemals rein aristokratischen konnotierten Betätigungen sozial aufzuwerten.
Dass die Übernahme des Dandy-Habitus als genaue Antithese zu der sich formierenden Boheme sowohl für französische wie für englische Maler zu einem schwierigen sozialen Balanceakt wurde, belegen die Einzelanalysen, etwa zu Thomas Lawrence und Anne-Louis Girodet eindringlich. In vielfacher Hinsicht wiederholten sich die Spannungen zwischen professioneller und sozialer Identität, die bereits für das Hofkünstlertum prägend gewesen sind, auf einer neuen gesellschaftlichen Ebene: Faktisch ermöglichte die Porträtmalerei bürgerlichen Künstlern Teilhabe am Leben der metropolitanen upper class, doch zugleich konnte diese Tätigkeit nicht schon als Erfüllung der durch die Gattungshierarchie normierten künstlerischen Ambitionen gelten. Zusätzliches Distinktionspotential musste aktiviert werden: Esprit, modische Extravaganz und eine gute Portion Erotik (363). Bohemien und Künstler-Dandy erscheinen damit zeitgleich als antithetische soziale Kompensations- und Kompromissfiguren, die dauerhaft die kollektiven, publizistisch verstärkten Fantasien auch im kunstfernen Publikum beschäftigen werden; gezielte Reprisen dieser Stilisierungsformen kann der Autor selbst noch im zeitgenössischen Kunstgeschehen nachweisen (367-369).
Die bisherigen Bemerkungen verweisen, selbst wo sie alternative Lesarten des in dieser Studie bearbeiteten Bild- und Quellenmaterials aufzeigen, auf das außergewöhnlich hohe Anregungspotential des Buches. Über den primären kunstsoziologischen Kontext hinausweisend, führt die Lektüre allenthalben zu Aussichtspunkten, von denen sich der Blick in benachbarte Forschungsfelder öffnet: Die komparative Metropolenforschung und die (wieder etwas erlahmte) Kulturtransferforschung sind hier an erster Stelle zu nennen. Die von Joachimides erschlossenen methodischen Zugänge und Materialien bieten zudem eine ausgezeichnete Grundlage für eine disziplinenübergreifende Habitusforschung mit Blick auf die kreativen Eliten in der entstehenden Marktgesellschaft. Zu denken ist hier vor allem vergleichende Untersuchungen über Stilisierungsformen anderer ästhetischer Produzenten, wie Schriftsteller, Musiker oder darstellende Künstler.
Abschließend anzumerken, dass die Studie faktisch ohne jede geschlechtergeschichtliche Profilierung ihrer soziologischen Theoreme auskommt, ist nicht nur ein Gebot diskurspolitischer Korrektheit. In einer Untersuchung, die den sozial wirksamen Verhaltensformen männlicher Künstler im 18. und frühen 19. Jahrhundert gewidmet ist, kann die signifikante Zunahme von Frauen sowohl auf der Angebots- wie auch der Nachfrageseite von Kunst kein Nebenaspekt sein, der ohne bedenkliche Einbußen für den Argumentationsgang ausgeblendet werden könnte.
Gerade die methodisch durchaus vertretbare Beschränkung des sample auf Maler und Grafiker hätte den Blick schärfen müssen für geschlechtsspezifische Veränderungen, die sich in dem hier untersuchten Zeitraum vorrangig auf diesem künstlerischen Feld (und nicht etwa auf dem Gebiet der Bildhauerei und Architektur) ereignet haben. Der Zusammenhang liegt auf der Hand: Erstmals mussten sich im 18. Jahrhundert Maler - als Künstler - zu ihrem sozialen Geschlecht in ein Verhältnis setzen, weil das, was sie professionell taten, nicht nur, wie schon zuvor, von Frauen betrachtet und bewertet, sondern in wachsender Anzahl und mit steigender institutioneller und gesellschaftlicher Anerkennung auch von Frauen praktiziert wurde.
Die vom Autor präzise zusammengestellten Belege für kalkulierte soziale Normverstöße ließen sich insgesamt plausibler erklären, wenn neben der institutionellen und gesellschaftlichen Statuskonkurrenz sowie der Selbstbehauptung im großstädtischen Aufmerksamkeitswettbewerb die Neuaufteilung des künstlerischen Feldes zwischen den Geschlechtern zu einem analytischen Parameter erhoben worden wäre. Die Kultivierung des Unhöflich-Ungalanten bei William Hogarth und Jean-Baptiste Greuze, die Betonung sportlich-athletischer Virilität bei Carle Vernet und John Hamilton Mortimer, die 'metrosexuelle' Erotisierung des Künstlerkörpers bei Anne-Louis Girodet und Thomas Lawrence und selbst die gesellige Totalverweigerung des späten James Barry und Gabriel de Saint-Aubin reagieren, durchaus widersprüchlich und mit unterschiedlicher Radikalität, auch auf das Schwinden einer alten Gewissheit: Malen ist das, was männliche Künstler für eine männliche Klientel und ein Publikum tun, in dem Männer seit jeher die unbestrittene Meinungsführerschaft innehatten.
So ist hier die innovative Verdoppelung der Untersuchungsperspektive auf zwei metropolitane Schauplätze leider mit einer anachronistisch anmutenden geschlechtsspezifischen Halbierung der dort agierenden Personenkreise erkauft worden.
Anmerkungen:
[1] Thomas E. Crow: Painters and Public Life in Eighteenth-Century Paris, New Haven u.a. 1985 (6. Aufl. New Haven u. a. 2000).
[2] David H. Solkin: Painting for Money. The Visual Arts and Public Sphere in Eighteenth-Century England, New Haven u.a. 1993.
[3] Claudia Denk: Artiste, citoyen et philosophe. Der Künstler und sein Bildnis im Zeitalter der französischen Aufklärung, München 1998; Tom Holert: Künstlerwissen. Studien zur Semantik künstlerischer Kompetenz im Frankreich des 18. und 19. Jahrhunderts, München 1998, bes. 23-76.
Joachim Rees