Thomas Gärtner: Untersuchungen zur Gestaltung und zum historischen Stoff der "Johannis" Coripps (= Bd. 90), Berlin: De Gruyter 2008, VII + 136 S., ISBN 978-3-11-020107-9, EUR 58,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Michael Maas (ed.): The Cambridge Companion to the Age of Justinian, Cambridge: Cambridge University Press 2005
Lars M. Hoffmann (Hg.): Zwischen Polis, Provinz und Peripherie. Beiträge zur byzantinischen Geschichte und Kultur, Wiesbaden: Harrassowitz 2005
Yann Le Bohec: Das römische Heer in der Späten Kaiserzeit, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010
Um 550 veröffentlichte der afrikanische Dichter Corippus in Karthago, der Hauptstadt des durch das Oströmische Reich jüngst zurückeroberten Nordafrika, sein historisches Epos Iohannis. In diesem Werk stellte er die Kämpfe des byzantinischen Feldherrn Johannes Troglita dar, die dieser gegen die aufständischen Mauren in den Jahren 546-548 führte. [1] Prokopios von Kaisareia hat diese Ereignisse in seiner Kriegsgeschichte nur skizzenhaft dargestellt (Prok. 4,28,45-52; 8,17,20-22). Die Johannis wird aber völlig in der Tradition der lateinischen Epik verortet, wobei Corippus in manchen Punkten besonders auf die Aeneis zurückgriff. Man äußerte sogar den Gedanken, die Iohannis habe in der Weise, wie die Aeneis das Epos des augusteischen Rom gewesen sei, das Epos des justinianischen sein sollen. [2]
In den letzten Jahren ist ein wachsendes Interesse an den Werken Coripps zu beobachten. [3] Die Arbeit von Gärtner ist als erster Teil eines auf drei Bände angelegten Forschungsunternehmens zur Iohannis konzipiert. Den zweiten Band soll eine kritische zweisprachige Ausgabe des Textes bilden, den dritten der Kommentar.
Die Vorbemerkungen (1-8) bieten eine Orientierung über die Ziele der Arbeit und die angewandten Methoden. Hier werden die Grundfragen des Buches formuliert. Gärtner will vor allem die Art und Weise herausarbeiten, wie Corippus den ihm vorliegenden historischen Stoff benutzt und umgeformt hat (3). Dabei greift er auf die einzige Parallelüberlieferung, d.h. auf die Kriegsgeschichte des Prokopios von Kaisareia, zurück und setzt voraus, Corippus habe über weite Strecken das Geschichtswerk des Prokopios als Vorlage benutzt (5, 26). Den nächsten Schwerpunkt der Arbeit bildet die Frage nach der Gattungszugehörigkeit der Iohannis (5). Geht es um das traditionelle Epos oder eine neue Gattung der epischen Verspanegyrik, die die Grenzen des herkömmlichen antiken Epos und Panegyricus transzendiert? In dieser Hinsicht versucht sich Gärtner mit den Thesen von H. Hofmann auseinanderzusetzen, der für eine neue Kategorie bzw. Gattung der historisch-panegyrischen Texte in der spätantiken nicht-christlichen Epik plädiert. [4] Ein weiterer Untersuchungsschwerpunkt ist die Anverwandlung christlicher Motive und das Verhältnis zur christlichen Dichtung (6).
Das Buch gliedert sich in zwei Hauptkapitel. Das erste, zwar als Einleitung betitelt (9-57), besteht aus fünf Abschnitten. Zuerst bietet Gärtner einen recht ausführlichen Überblick über den Inhalt des Epos (a. Die stoffliche Strukturierung der Iohannis und die wichtigsten intertextuellen Verbindungslinien, 9-25). Bereits hier weist er auf die wichtigsten Vorbilder bzw. Bezugstexte hin. Im zweiten Abschnitt geht es um den literarischen Bezugsrahmen und die Gattungszugehörigkeit der Iohannis (26-32). Gärtner stellt eindeutig fest, dass die lateinische Dichtung das literarische Bezugssystem bilde (26), und stellt beide Werke des Corippus in die epische Tradition. Damit lehnt er mit starken Argumenten Hofmanns These ab, der eine neue Gattung für die historisch-panegyrischen Texte der nicht-christlichen Epik der lateinischen Spätantike postulierte. [5] Allerdings ist diese Diskussion noch nicht beendet, da C. Schindler jüngst beide Werke Coripps im Rahmen der spätantiken lateinischen Verspanegyrik behandelt hat und von einem Versuch des Dichters spricht, das heroische Epos als panegyrisches Epos zu gestalten. [6] In den folgenden Abschnitten wird der Einfluss der klassischen Vorbilder auf die Struktur der Iohannis (c. Die Bedeutung antiker Vorbilder für die Großgliederung der Iohannis, 33-40) und auf die Gestaltung der Figur des Johannes Troglita (d. Die Funktion klassischer Vorbilder in Hinblick auf die Ethopoiie des epischen Helden, 41-42) untersucht. Anschließend weist Gärtner auf den großen Einfluss der christlichen Dichtung auf die Iohannis hin (e. Die besondere Funktion von Anspielungen auf christliche Dichtungen, 43-51). Betont wird mit Recht, dass die christliche Grundhaltung Coripps vor allem als ein Medium zur werthaften Kolorierung des dargestellten Geschehens dient (47). Die Imitation der Werke der christlichen Autoren habe somit einen instrumentalen Charakter: So sei das Christentum bei Coripp nicht Endzweck, sondern argumentatives Instrument (47f.). Dieses erste Hauptkapitel endet mit dem Blick auf die Funktion corippischer Selbstzitate (f. Die Funktion corippischer Selbstzitate in Hinblick auf Sinngebung und Aufbau der Iohannis, 58-65).
Das zweite Hauptkapitel konzentriert sich auf historische Aspekte der Iohannis (2. Formung des historischen Stoffes in der Iohannis, 58-129). Es geht hier um den Umgang des Dichters mit dem historischen Material und der vermeintlichen Quelle. Gärtner geht von der Grundvoraussetzung aus, dass Corippus die Kriegsgeschichte des Prokopios von Kaisareia als Vorlage für die so genannte Binnenerzählung des Liberatus (Ioh. 3,41ff.) verwendet habe, in der die frühere Phase der Kämpfe der Byzantiner gegen die Mauren dargestellt wird. Problematisch ist allerdings die Chronologie der Abfassungszeit beider Werke. [7] Abgesehen von kurzen Bemerkungen in den Fußnoten (112f., Anm. 156-158) geht Gärtner leider der wichtigen Frage nach der Abfassungszeit der Iohannis nicht nach. Die zeitliche Distanz zwischen beiden Werken scheint sehr kurz zu sein. Man muss somit die Frage danach beantworten, ob Corippus den Zugang zum Werk des Prokopios so früh hätte haben können. Insgesamt liefert Gärtner wenige Argumente für die Annahme der Abhängigkeit der Iohannis von Prokopios. Meines Erachtens ist sie zwar möglich, aber die Ausführungen von Gärtner sind in dieser Hinsicht nicht völlig überzeugend. Hoffentlich wird dieses Problem in den nächsten Bänden ausführlicher diskutiert werden. Man muss aber auch darüber nachdenken, in welchem Maß der Bericht des Prokopios tendenziös sein kann.
Dieses Kapitel besteht aus drei Teilen. Zuerst bietet Gärtner einen nützlichen Überblick über die einzelnen Phasen des in der Iohannis dargestellten Krieges (a. Überblick über die Phasen der in der Iohannis berührten historischen Handlung und Vorausblick auf die grundsätzlichen Tendenzen der corippischen Erzählweise, 58-65). Dann konzentriert er sich auf die Person des Antalas, wobei die Darstellungen des Corippus und Prokopios detailliert verglichen werden (b. Zur Rolle des Antalas in der ersten Iohannis-Hälfte im Vergleich zur Darstellung bei Prokop, 66-96). Auf ähnliche Weise untersucht er die Berichte beider Autoren über Verlust und Wiedereinnahme von Hadrumetum durch die Byzantiner (c. Corippische und prokopische Erzählweise im detaillierten Vergleich: Verlust und Widereinnahme von Hadrumetum und die Entscheidungsschlacht zwischen Johannes Sisiniolu und Stutias, 97-127).
Insgesamt darf man feststellen, dass das Buch von Gärtner eine tief greifende Studie zur Iohannis bildet, aus welcher die moderne Forschung zweifelsohne profitieren wird.
Anmerkungen:
[1] Den Inhalt des Werkes analysiert W. Ehlers: Epische Kunst in Coripps Johannis, in: Philologus, 124, 1980, 109-135. Zur Situation Afrikas unter der byzantinischen Herrschaft vgl. Av. Cameron: Gelimer's Laughter: The Case of Byzantine Afrika, in: F.M. Clover and R.S. Humphreys (edd.), Tradition and Innovation in Late Antiquity, Madison 1989, 171-190.
[2] Vgl. Ioh. 1,8: Aeneadas rursus cupiunt resonare Camenae. Dazu vgl. M. Lausberg: Parcere subiectis. Zur Vergilnachfolge in der "Johannis" des Coripp, in: JbAC 32, 1989, 108 und 124; M.A. Vinchesi: Tradizione letteraria e publico nella Iohannis di Corippo, in: F. Conca e R. Maisano (edd.), La mimesi bizantina, Napoli 1998, 195.
[3] Vgl. J.U. Andres: Das Göttliche in der "Johannis" des Corippus. Antike Götterwelt und christliche Gottesvorstellung im Widerstreit?, Trier 1997; V. Zarini: Rhétorique, poetiqué, spiritualité: La technique épique de Corippe dans la Johannide, Turnhout 2003; C. Schindler: Per carmina laudes. Untersuchungen zur spätantiken Verspanegyrik von Claudian bis Coripp, Berlin/New York 2009 (zu Corippus vgl. 227-309).
[4] Vgl. H. Hofmann: Überlegungen zu einer Theorie der nicht-christlichen Epik in der lateinischen Spätantike, in: Philologus 132, 1988, 101-159. Ähnlich auch jüngst Schindler 2009 (wie Anm. 3).
[5] Hofmann 1988 (wie Anm. 3), 133.
[6] Schindler 2009 (wie Anm. 3), 304.
[7] Vgl. bereits D. Syrbe: Rezension zu: Th. Gärtner: Untersuchungen zur Gestaltung und zum historischen Stoff der Johannis Coripps, Berlin 2008, in: H-Soz-u-Kult, 04.11.2008, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=11101; S. Bär: Rezension zu: Th. Gärtner: Untersuchungen zur Gestaltung und zum historischen Stoff der Johannis Coripps, Berlin 2008, in: BMCR 2009.02.48, http://bmcr.brynmawr.edu/2009/2009-02-48.html .
Dariusz Brodka