Bettina Braun / Mareike Menne / Michael Ströhmer (Hgg.): Geistliche Fürsten und Geistliche Staaten in der Spätphase des Alten Reiches, Epfendorf: bibliotheca academica 2008, 285 S., ISBN 978-3-928471-72-5, EUR 39,00
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Nach langer Verkennung, für welche ein viel zitiertes abwertendes Diktum von Hans-Ulrich Wehler (hier 7) exemplarisch steht, erfreut sich der Geistliche Staat heute wiederum einer großen Beliebtheit und einer positiven Anteilnahme auch seitens jüngerer Historiker. Der vorliegende Sammelband geht zurück auf ein Symposion in Paderborn zu Ehren von Frank Göttmann im Jahre 2006. Göttmann sah ganz im Gegensatz zum Bielefelder Meisterdenker im Geistlichen Staat ein "zukunftsfähiges alternatives Ordnungsmodell" der Gesellschaft. Konkret hat er viel dazu beigetragen, die vorerst im Rheinischen und Fränkischen zentrierte Forschung zu den Geistlichen Staaten weiter nach Norddeutschland zu tragen. Mehrere Monographien zu diesem Thema sind im Kreise seiner Schüler verfasst worden, ihre Namen finden sich wieder im vorliegenden Werk.
Wie meist bei Sammelbänden finden sich durchschnittliche und konventionelle neben originellen und zukunftsweisenden Beiträgen. Dass erstere eher von schon länger im Geschäft stehenden Wissenschaftlern herrühren, ist nicht weiter überraschend. Davon ausnehmen möchte ich die Beiträge von Wolfgang Wüst und Anton Schindling. Jener befasst sich, etwa anhand eines Terminkalenders, mit ganz konkreten Problemen eines geistlichen Regenten, dieser bietet einen wohl dokumentierten Beitrag zu "Fürstbischof und Universität", wobei allerdings viele praktische Fragen zu Studium und Ausbildung vorläufig noch offen bleiben. Bei den jüngeren Autoren hat mich die umfangreiche, aber reflektierte Studie von Michael Ströhmer am meisten beeindruckt. Er weist auf die Paradoxien von Reformmaßnahmen im späten 18. Jahrhundert am Beispiel der Abschaffung der Freigerichte im Hochstift Paderborn (1763) hin. Die traditionellen gerichtlichen Institutionen waren nämlich durchaus auf dem Weg zur Moderne, wie Ströhmer anhand der Gerichtspraxis aufzeigt; das wollte der geistliche Regent (Wilhelm Anton von der Asseburg, 1763-1782) aber nicht wahrhaben.
Sucht man die Beiträge auf einen Nenner zu bringen, so kommt man nicht um die Feststellung herum, dass der gegenwärtige "political turn" - besser würde man allerdings trotz vereinzelter Neuansätze von einem "return" sprechen - auch die Geistlichen Staaten erfasst hat. Vieles im vorliegenden Band gehört zur Rechts-, Verwaltungs- und Diplomatiegeschichte und ist als solche nicht gerade aufregend. Diese Schwerpunktsetzung erfolgte, obwohl die Herausgeber schon im Vorwort auf die kulturwissenschaftliche Wende Bezug nehmen. Im engeren Sinne zählen aber nur die beiden abschließenden Beiträge von Johannes Süßmann "Bauen als Politik" und von Stefan Heinz zu den Bischofsgrabmälern dazu, die beide über die Kunstgeschichte hinaus den Brückenschlag zur allgemeinen Geschichte versuchen und damit ebenfalls zu den lesenswerteren Autoren des Sammelbandes gehören. Es gereicht ihm zum Vorteil, dass er nicht mit allzu viel Biographischem belastet wurde. Denn anders als die Herausgeber es in ihrem Vorwort zur Forschungslage sehen (9), ist dieses Genre geradezu Mode geworden: Die von ihnen erstellte Liste von nur zwei oder drei Monographien lässt sich mindestens verdoppeln. [1] Selbstverständlich steht auch hier, hergebrachten Mustern der Biographik gemäß, das Politische im Vordergrund. Demgegenüber wurde im hier zu besprechenden Sammelband die Wirtschaftsgeschichte der geistlichen Territorien praktisch vollständig ausgeblendet und in keinem Beitrag zum Hauptthema gemacht, was umso erstaunlicher ist, als Frank Göttmann seine wissenschaftliche Karriere mit einer bahnbrechenden Arbeit zum Getreidehandel vornehmlich süddeutscher geistlicher Territorien begann.
Außerhalb des dominierend Politischen - im hergebrachten Sinne - bleiben also noch viele für den geistlichen Staat spezifische Fragen offen. Das macht auch die Mitherausgeberin Mareike Menne in ihrem abschließenden Ausblick auf "Konzepte, Probleme und Perspektiven" künftiger Forschung deutlich. Gender, Spatial Turn, Governance und - eher überraschend - Biographie sind die Stichworte dazu. In der Tat eröffnen vor allem die ersten drei neue Felder, die zu beackern sich lohnte. Hinzufügen möchte ich, dass vielleicht auch ein Sprung über die Sprachgrenze fruchtbar sein könnte. Gewiss gab es außerhalb des Reiches keine Fürstbischöfe und mit dem Blick bloß durch die Brille der Politik wird man auch dort nicht viel sehen können. Aber die Vermutung, die außerdeutschen Oberhirten seien ausschließlich mit geistlichen Dingen beschäftigt gewesen, täuscht. Italienische Bischöfe etwa befassten sich gerne auch mit ökonomischen Fragen und nahmen in Wort und Tat engagiert Stellung dazu. Und auf der religiös-kulturellen Schiene wäre es sinnvoll, die von italienischen Historikern entwickelten Konzepte der "Svolta Innocenziana" und der "Ripresa Tridentina" auch einmal im deutschen Raum zu erproben.
Der Band enthält neben Altbekanntem durchaus Interessantes und Zukunftsweisendes. Er trägt dazu bei, vorgefasste Meinungen zu revidieren, er führt die Forschung in Teilbereichen weiter und öffnet am Schluss neue Perspektiven. Viele grundlegende Fragen, die gerade heute aktuell wären, werden aber nicht gestellt. Das eingangs zitierte Wort von Göttmann harrt noch einer Konkretisierung.
Anmerkung:
[1] Vgl. Jörg Ernesti: Ferdinand von Fürstenberg (1626-1683). Geistiges Profil eines barocken Fürstbischofs, Paderborn 2004; Walter Ansbacher: Das Bistum Augsburg im barocken Aufbruch. Kirchliche Erneuerung unter Fürstbischof Johann Christoph von Freyberg (1665-1690), Augsburg 2005; Friedegund Freitag: Max Prokop von Törring-Jettenbach als Fürstbischof von Regensburg, Regensburg 2006.
Peter Hersche