Rezension über:

Ata Taheri: Deutsche Agenten bei iranischen Stämmen 1942-1944. Ein Augenzeugenbericht. Eingeleitet und übersetzt von Burkhard Ganzer, Berlin: Klaus Schwarz-Verlag 2008, 228 S., ISBN 978-3-8799-7648-5, EUR 26,00
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Rezension von:
Wolfgang G. Schwanitz
Browns Mills, NJ
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Stellungnahmen zu dieser Rezension:

Stellungnahme von Burkhard Ganzer mit einer Replik von Wolfgang G. Schwanitz

Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang G. Schwanitz: Rezension von: Ata Taheri: Deutsche Agenten bei iranischen Stämmen 1942-1944. Ein Augenzeugenbericht. Eingeleitet und übersetzt von Burkhard Ganzer, Berlin: Klaus Schwarz-Verlag 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 6 [15.06.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/06/16259.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Islamische Welten" in Ausgabe 9 (2009), Nr. 6

Ata Taheri: Deutsche Agenten bei iranischen Stämmen 1942-1944

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Dieses Buch birgt erstmals die Memoiren eines Zeugen des Stammes Boyr Ahmadi über einige der deutschen Spione im Südiran während des Zweiten Weltkrieges. Ihr Autor, Ata Taheri, war damals ein Teenager, dessen Clan deutsche Agenten um Bernhardt Schulze-Holthus ein halbes Jahr ab Herbst 1943 aufnahm, ehe sie den Briten ausgeliefert worden waren. Anders als deutsche Memoiren wie die des Abwehr-Majors Schulze-Holthus und des Abwehr-Hauptmanns Paul Leverkühn, ist Taheris Text eine komplementäre Ansicht.

Solche Berichte von Einheimischen sind selten. Dank der Edition des Berliner Ethnologen Burkhard Ganzer können wir nun nacherleben, wie dort ein im Juli 1942 per Fallschrim abgesetzter vierköpfiger Trupp gewirkt hat. Dabei ratterte der Funk-Generator dieses Kommandos "Anton" und löste im Dorf nahebei Gerüchte aus. Manche hielten es für das Grollen vor dem Erdbeben, andere als Vorzeichen der Heimkehr des Mahdis.

Taheri traf auf einem Plateau sechs Männer an (jener Abwehr-Major und ein Übersetzer stiessen noch hinzu): einige waren blond, andere hatten rötliche Gesichter. Alle waren als Leute des Qashqai-Stammes verkleidet. Einer stellte sich ihm Iranisch als Verbündeter vor: "Wir gehören der großen Völkergruppe der Arier an, genau wie die Iraner, mit denen wir also eine Abstammung teilen." Er wolle ihnen helfen, ihr Land selbst zu verwalten.

Taheri notierte dazu: bei diesen Worten sei ihm klar geworden, dass es Agenten Hitlers waren. Die Deutschen hätten einen guten Ruf, den der Waßmuß-Karabiner, das Zeiss-Fernglas und das Bernau-Gewehr noch nährten. Wie Taheri von ihnen erfuhr, werde die deutsche Armee alsbald vom Kaukasus her den Iran erreichen. Der Jugendliche erzählt insgesamt von freundlichen Kontakten, zumal er in dem Trupp Deutsch zu lernen begann.

Welchen Hintergrund hatte diese Aktion? Berlin schmiedete im zweiten Kriegsjahr auch Pläne für Mittelost. Hitler, nach dem Fall Frankreichs im Zenit seiner Macht, befahl im Mai 1941: die Positionen Englands vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf erst nach "Barbarossa", also erst nach einem Sieg über Moskau anzugreifen. Zudem sei der antibritische Putsch in Irak zu fördern, der aber bereits Ende Mai gescheitert war. Dann intervenierten die Briten und Sowjets zur Jahresmitte im Iran. Sie begründeten es mit der Spionage und Subversion der Deutschen. Dies traf sicherlich zu. Aber den Alliierten lag doch viel mehr am Erdöl und am Transitweg für das Kriegsmaterial in die Sowjetunion.

Berliner Ämter entwarfen Pläne gegen den "mittelöstlichen Machtbereich" der Briten, in den Deutsche nur durch das sowjetische und englische Asien gelangten. Zwar ließ Berlin keine Absicht auf Kolonien erkennen. Doch zeigt ein Text für Hitler im September 1942, woran nach dem deutschen Einmarsch in Iran gedacht war. Im Gebiet der Stämme, hielt der Plan fest, herrsche ständig Aufruhr. Iran sei für eine nationale Revolution reif. Gelänge der Vorstoß durch Iran nach Irak, dann folge der allgemeine Aufstand gegen die Sowjets und Briten. Das Volk setze ganz auf die Deutschen. Geplant sei es, eine mit Berlin eng liierte Regierung Irans zu bilden. Der Gesandte Erwin Ettel leite im Auswärtigen Amt die Propaganda, Experten und Agenten an, darunter auch die in Deutschland lebenden Iraner.

Umgekehrt, so erhärtet jetzt Burkhard Ganzer, war die iranische Sympathie für Deutsche weit verbreitet: Politiker, Militärs und Stämme stellten sich auf eine aktive Kooperation mit der deutschen Armee ein. Einige Stämme seien so frei gewesen, dass sie ihre eigenen Beziehungen zu auswärtigen Mächten hegten. Dies habe sich nach der Okkupation Irans verstärkt. Da das deutsche Militär letztendlich nicht kam, verkörperten die Spione in den Augen der Einheimischen die einzige Realität dafür, was man sich von Berlin erhoffte. Mithin hätten sie letztlich eine rein illusionäre Rolle gespielt, so meint Burkhard Ganzer.

Nein, kann der Leser da einwenden. Die Spione haben Berlin unterrichtet, Alliierte durch Unruheherde gebunden, dauerhaft bei den Stämmen eine deutschfreundliche Haltung gepflegt und möglichen Aktionen den Weg geebnet. Dazu benutzte Schulze-Holthus auch Erfahrungen der Konsule Wilhelm Waßmuß und Max Erwin Scheubner-Richter aus dem Ersten Weltkrieg. Letzterer leitete die Expedition nach Iran vom Mai 1915 bis Oktober 1916, an der auch Leverkühn teilnahm. Dieser setzte die Linie fort, als er auf Vorschlag von Oberst Warlimont und Abwehrchef Canaris in Täbris Konsul wurde. Er reiste 1940 dorthin aus, um die Lage im Nordiran und in Baku zu erkunden. Als die Deutschen den Kaukasus erreichten und 1942 ihre Fahne auf dem Elbrus hissten, schienen zudem die Erdölfelder im iranischen Abadan und irakischen Mossul in greifbare Nähe zu rücken.

Wie die Generäle Hellmuth Felmy und Walter Warlimont 1955 im Manuskript MS P-207 für die US-Armee bilanzierten [1], erfüllte der Agententrupp um Schulze-Holthus im Iran sogar operative Funktionen. Auch Leverkühn meinte in der Rückschau, dieser habe viele englische Truppen gebunden. Für den Ernstfall hatten Deutsche ihre Leute vor Ort, die sich in den Sprachen, Stämmen, Kulturen und in den politischen Situationen auskannten.

In Ganzers hilfreicher Einleitung - drei Viertel des Bandes - fehlt ein kleiner Aspekt der Einwirkung von 700 Deutschen im Iran, die durch die Alliierten nach der Besetzung des Landes aus dem Iran deportiert wurden: die Propaganda der Nazis. Iran ragte zuvor nicht durch mehr oder weniger Judenhass als das islamische Normalmaß heraus, zeichnete sich bald aber durch eine immer stärker werdende Judenfeindlichkeit aus. Zum einen hing dies mit der zusätzlich rassistischen Komponente zusammen, die mit der Ideologie der Nazis im Iran verbreitet und im Text angedeutet wurde - Stichwort "Arier". Zum anderen fiel diese auf fruchtbaren Boden, wo der religiöse Judenhass im Islam mit dem rassistischen Judenhass eine neuartige Mischung bildete. All dies verstärkte sich nach der Teilung Palästinas, der Gründung Israels und schließlich der islamischen Revolution.

Ata Taheri meinte, er habe damals nicht von Hitlers Verbrechen gehört. Am Ende fragte er, was die Deutschen eigentlich im Iran wollten: im Eroberungskrieg die Welt aufteilen und anderen die Idee der "arischen Rasse" diktieren? Seine Memoiren füllen eine Lücke im historischen Mosaik und der Leser mag deren überaus sachkundige Einbettung durch Burkhard Ganzer dankbar aufnehmen.


Anmerkung:

[1] Vgl. Hierzu: http://www.trafoberlin.de/pdf-dateien/Nahostpolitische Retrospektive Dr. Fritz Grobbas.pdf [PDF-Dokument].

Wolfgang G. Schwanitz