Manfred Woidich: Das Kairenisch-Arabische. Eine Grammatik (= Porta Linguarum Orientalium. Neue Serie; Bd. 22), Wiesbaden: Harrassowitz 2006, xxx + 444 S., ISBN 978-3-447-05315-0, EUR 68,00
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Mit "das Kairenisch-Arabische" hat Manfred Woidich die erste umfassende Grammatik des ägyptischen Standarddialekts vorgelegt. Der Autor beschäftigt sich seit den 1960er Jahren mit der ägyptischen Umgangssprache, bisher erschienen Lehrbücher für den Kairoer Dialekt auf Englisch und Deutsch und zahlreiche dialektologische Studien. Eine weitere Frucht dieser jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit dem Ägyptischen ist die Belegsammlung des Autors mit mehr als 12.000 mündlichen und schriftlichen Belegen, auf deren Auswertung die vorliegende Grammatik aufbaut.
Das "Kairenisch-Arabische" ist keine Einführung sondern zum gezielten Nachschlagen geeignet. Sie verschreibt sich keiner speziellen Grammatikschule, setzt aber gute linguistische Kenntnisse voraus. Die Gliederung folgt der sprachwissenschaftlichen Systematik: Phonologie (Kapitel 1), Morphologie (2), Syntax (3-9). Der Teil zur Syntax ist besonders umfangreich, nimmt etwas mehr als die Hälfte des Buches ein und gliedert sich weiter in Kapitel zum einfachen Satz, der Nominal- und Verbalphrase, Negationen, der Syntax der Personalpronomen, Satztypen und untergeordneten Sätzen. So schließt Woidich mit Nachdruck eine Lücke, die bisherige Lehrbücher und Einzelstudien offen gelassen hatten. Eine Bibliographie, Paradigmentafeln, sowie ein Sach- und Wortindex liefern Möglichkeiten zur weiteren Lektüre und machen das Buch systematisch zugänglich.
Weil es sich beim Kairenisch-Arabischen um eine Umgangssprache handelt, die erstens vorwiegend mündlich kommuniziert wird, und die zweitens offen für Übernahmen aus dem stark schriftgebundenen Hocharabischen ist, ergibt sich für die Grammatikschreibung die Aufgabe, zwischen pragmatisch motivierten Eigenarten gesprochener Sprache und tatsächlich regelhaften Strukturen zu unterscheiden. Diese Problematik wird vor allem in den Kapiteln zur Syntax, auf die ich mich hier beschränken möchte, deutlich.
Ein Beispiel sind Sätze mit der Struktur Nominalphrase plus Präpositionalphrase, wobei Letztere aus einer Präposition, einem rückweisenden Pronominalsuffix und einer weiteren Komponente besteht (etwa: iṣṣabri luh ḥidūd, "Geduld hat Grenzen"). Eine Transformation, die das Pronominalsuffix durch das voranstehende Nomen ersetzt (li ṣṣabri ḥidūd), erzeugt eine im Hocharabischen zulässige Struktur. Das spricht dafür, die Ausgangskonstruktion als pragmatisch motivierte Vorwegnahme des Satzthemas (Topic-Comment) zu analysieren. Woidich aber sieht die transformierte Struktur als eine dem Ägyptischen fremde Entlehnung aus dem Hocharabischen (*li ṣṣabri ḥidūd). Die Ausgangskonstruktion (iṣṣabri luh ḥidūd) ist für ihn demnach keine Topic-Comment-Struktur sondern die Normalform, ein "Präpositionalsatz", den er, neben Nominal- und Verbalsatz, als dritten grundlegenden Satztyp der ägyptischen Umgangssprache setzt. So beschreibt Manfred Woidich das Kairenisch-Arabische als eigenständiges Regelsystem in Abgrenzung zum Hocharabischen. Die Entscheidung für oder gegen eine solche Analyse ist keine Ansichtssache sondern vor allem an die Frequenz in der Sprachpraxis gebunden, was den Wert der Belegsammlung verdeutlicht.
Andere, ähnlich gelagerte Beispiele finden sich im Kapitel zur Syntax der Nominalphrase. Hier geht es naturgemäß um innere Kongruenzbeziehungen und Woidich beschreibt detailliert lexikalische Sonderfälle wie die unvollständig kongruierenden Nisbe-Adjektive. Darüber hinaus führt er auch eine Konstruktion, die auf lexikalische Sonderfälle zurückgeht, als regelhaft auftretende syntaktische Struktur ein: die "badal-NP". Sie ist, genau wie Genitivverbindungen oder Nominalphrasen mit attributiven Adjektiven, eine postmodifizierende Phrase: der Träger ist ein Substantiv, das durch nachstehende Elemente weiter qualifiziert wird. Anders als bei Adjektivattributen ist das postmodifizierende Element hier aber ein nicht-flektierendes Substantiv (kīs balastik, "Plastiktüte"), das nur mit Hinblick auf Determination kongruiert. Obwohl diese Konstruktion ausschließlich mit lexikalischen Sonderfällen - nicht-flektierenden Substantiven - auftritt, berücksichtigt Woidich in seiner Darstellung, dass es sich um eine eigenständige syntaktische Konstruktion, eine Art Substantivattribut oder eben "badal-NP" handelt.
Doch nicht jede Form der Sprachpraxis ist regelhaft. Wo Woidich die Trennlinie zieht zwischen pragmatisch motivierten Abweichungen und regelhaften Konstruktionen, lässt sich am Kapitel zur Verbalphrase illustrieren. Dass Kopulaverben in Sätzen, deren Prädikat eine Präpositionalphrase ist, nicht mit dem Subjekt kongruieren, beschreibt der Autor, mit etwas Vorbehalt, als Regel. Distanzstellung zwischen Prädikat und Subjekt hingegen begünstigt lediglich das Ausbleiben von Kongruenz, ist also laut Woidich nicht regelhaft, sondern eine für gesprochene Sprache typische Regelabweichung.
Dass die Unterscheidung zwischen Regeln und frequenten Abweichungen bei der Analyse gesprochener Sprache schwierig sind, liegt auf der Hand. Doch darauf möchte ich nicht hinaus. Vielmehr sollen die genannten Beispiele illustrieren, wie umfassend und systematisch Manfred Woidichs Darstellung der Kairoer Umgangssprache ist und wie wichtig die zugrundeliegende Belegsammlung.
Bekritteln lässt sich immer etwas. Der ein oder andere mag verwundert sein, den Relativsatz nicht unter den untergeordneten Sätzen sondern im Kapitel zur Nominalphrase zu finden. Auch ist es keineswegs selbstverständlich, wie die Wortarten des Arabischen definiert sind. Und beim Inhaltsverzeichnis hätte durchaus Spielraum bestanden, die tiefe hierarchische Gliederung durch Formatierung übersichtlicher zu gestalten. Aber letztlich ist das Kleinkram und ernsthaft kritikwürdige Punkte kann ich nicht finden. Manfred Woidichs "das Kairenisch-Arabische" ist eine umfassende und systematische Beschreibung des dem ägyptischen Standarddialekt eigenen Regelsystems, das als Referenzgrammatik vielen Studenten, Sprachlernern und Wissenschaftlern den Umgang mit ägyptischen Quellen erleichtern wird.
Björn Bentlage