Rezension über:

Kęstutis Daugirdas: Andreas Volanus und die Reformation im Grossfürstentum Litauen, Mainz: Philipp von Zabern 2008, IX + 324 S., ISBN 978-3-8053-3921-6, EUR 45,00
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Rezension von:
Alfons Brüning
Instituut voor Oosters Christendom, Radboud Universiteit, Nijmegen
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Alfons Brüning: Rezension von: Kęstutis Daugirdas: Andreas Volanus und die Reformation im Grossfürstentum Litauen, Mainz: Philipp von Zabern 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 7/8 [15.07.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/07/15878.html


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Kęstutis Daugirdas: Andreas Volanus und die Reformation im Grossfürstentum Litauen

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Zweifellos füllt Daugirdas' Buch eine Lücke, und zwar eine große, denn man lernt bei der Lektüre schnell, dass der Autor recht hat, wenn er Volanus (poln. Andrzej Wolan) als eine zentrale Gestalt der Reformation in Litauen beschreibt. Seine Schriften weisen ihn bereits als einen der wichtigsten Kontroverstheologen aus. Überdies war Volanus, geboren ca. 1531 im großpolnischen Lwówek, und nach Studienzeiten in Frankfurt an der Oder (1544-46) und in Königsberg (1550-1553) als Sekretär im Dienst Nikolaus Radziwiłłs des Roten, spätestens in der Regierungszeit Stefan Bátorys auch königlicher Sekretär (84-87), in diesen Funktionen stets aus nächster Nähe am politischen Geschehen seiner Zeit beteiligt. Er führte für den schon verärgert abgereisten Radziwiłł die Verhandlungen um die Union von Lublin, vermittelte für Bátory bei den Unruhen in Riga 1589, und übernahm diplomatische Missionen nach Prag und Będzin. Obwohl selbst kein ausgebildeter Theologe - dagegen verdankte er den Königsberger Studien bei dem Rhetoriklehrer Georg Sabinus seine profunden Kenntnisse antiker Autoren und ein brilliantes Latein - begann er sich schon zu Beginn der 1550er Jahre intensiv mit theologischen Fragestellungen zu befassen, so dass er recht bald mit den führenden Köpfen der konkurrierenden Konfessionen zur Verteidigung des reformierten Protestantismus auf Augenhöhe polemisierte.

Diese Polemiken bilden den eigentlichen zentralen Gegenstand des Buches und werden auf ca. 300 Seiten mit großer Gründlichkeit besprochen. Daugirdas hat nicht nur die Werke des Volanus nahezu vollständig ausgewertet, sondern auch die wichtigsten, ebenfalls lateinisch und polnisch verfaßten Schriften seiner Gegner studiert, und selbst die über ganz Europa reichenden Briefwechsel einbezogen. Dies allein ist als intellektuelle Arbeitsleistung schon bewundernswert, und es gelingt dem Autor auf dieser Grundlage, die theologischen Auseinandersetzungen der Zeit mit bemerkenswerter Tiefenschärfe zu rekonstruieren. An verschiedenen Stellen macht Daugirdas überdies deutlich, dass er nicht nur Wortgefechte von minderer Bedeutung in einem abgelegenen Winkel Europas beschreibt, sondern einen gleichrangigen Teil europäischer theologischer Kontroversen der Zeit. Volanus war selbst bemüht, in seine Argumentation sowohl gegen die Angriffe der Jesuiten (129ff.) als auch in der Abwehr des Unitarismus (161f., 168f.) die Streitschriften anderer Gelehrter des reformierten Protestantismus aus Genf, Heidelberg u.a. einzubeziehen, und auf diese Weise die grenzüberschreitende Einheit des reinen Glaubens deutlich zu machen. Vor allem als theologie- und dogmengeschichtliches Werk hat Daugirdas' Arbeit, die auf eine an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz eingereichte Dissertation zurückgeht, ihren Wert, und zwar sicher auf Dauer.

Ob sie diesen Wert dann auch als Beitrag zur Reformationsgeschichte Litauens, und, im weiteren Sinne zur europäischen Ideengeschichte beanspruchen kann, das kann - und sollte - man diskutieren. Die Biographie ist jedenfalls, wie schon die Einteilung verrät, eben Leben und Werk des Volanus in seiner Zeit gewidmet. Nach der üblichen Einleitung mit gezwungermaßen knappem Überblick über die bisherige Forschung und Ausführungen zu Quellenlage, Methodik und Begrifflichkeiten beschreibt der erste von zwei langen Hauptteilen "Leben und Wirken des Andreas Volanus im Kontext seiner Zeit". (19-182) Hier kommen Volanus' Jugendjahre, seine politische und diplomatische Karriere und seine bald einsetzende, und mit den Jahren zunehmende Bedeutung als Verteidiger der Genfer Richtung der Reformation in Litauen zur Sprache. Ein zweiter Hauptteil behandelt anschließend "Die Theologie des Andreas Volanus in Grundzügen. Herausforderungen und Charakteristika" (183-286). Offiziell ist somit nur der zweite Teil eigentlich der Auseinandersetzung mit theologischen Inhalten vorbehalten. Hier werden, in jeweils entsprechend überschriebenen Kapiteln, Trinitätslehre, Christologie, Abendmahlsverständnis, Ekklesiologie, Kriterien der reinen Lehre oder auch die Vorstellungen des Antichrist bei Volanus und seinen Gegnern abgehandelt - eben die wesentlichen kontroverstheologischen Themen des "konfessionellen Zeitalters". Dabei kann man aus Daugirdas' Darstellung eben nicht nur die Position Volanus', sondern auch die seiner Gegner gut kennenlernen. Auf diese Weise verschwindet auch für den osteuropäischer Sprachen nicht kundigen Leser ein weißer Fleck auf der Landkarte europäischer Kontroverstheologie des konfessionellen Zeitalters fast vollständig. Auf den ersten Blick kritisch fällt hier freilich auf, dass der Autor neben seiner sehr akribischen Auswertung von zeitgenössischen Quellen die existierende Sekundärliteratur etwas lückenhaft zur Kenntnis nimmt. Daraus entsteht, um genau zu sein, wiederum kein wirklicher Mangel des Buches. Die Aussagen, die Daugirdas trifft, sind zutreffend und gut belegt. Nur hätte die Rezeption beispielsweise der jüngsten Studie von St. Fleischmann zu Budny dem Autor hier vielleicht einige eigene Mühen abnehmen und Nuancen hinzufügen können.

Soviel zur Theologie- und Dogmengeschichte. Indes dominieren doch die polemischen Kontroversen um die Richtung, die die Reformation in Litauen einschlagen sollte, bereits weite Strecken des ersten Teils, auch wenn die Darstellung mehr die sich befehdenden Personen und die allgemeine Entwicklung der Reformation in Litauen behandelt. Im Hinblick auf den historischen Hintergrund fällt es dann schon eher ins Gewicht, dass Daugirdas sich offenkundig auch bei der Auswahl seiner Literatur weitgehend von seiner Fokussierung auf die Theologiegeschichte leiten lässt. Wiederum muss dabei freilich gesagt werden, dass ihm deswegen durchaus keine gravierenden Fehler unterlaufen, was wohl vor allem auf die Qualität seiner litauischen Gewährsleute zurückzuführen ist. Nur fehlen einem ab und zu historische Einordnungen, Forschungszusammenhänge oder Nuancen.

Mehrere Abschnitte schildern, wie weit die Entwicklung der Reformation in Litauen unter der Ägide von Nikolaus Radziwiłł, genannt "der Schwarze" (im Text verschiedentlich als "Halbbruder", nicht als Vetter [poln. brat stryjeczny] von Volanus' Dienstherrn Radziwiłł dem Roten bezeichnet, sollte dies ein Übersetzungsfehler sein?), bis zu seinem Tod bereits in die antitrinitarische Richtung verlief, und wie schwer Volanus und anderen die Durchsetzung der ursprünglichen calvinistischen Richtung wurde (31-75). Dies und die verschiedenen Verweise auf die Rezeption der Antitrinitarier noch in der Dogmengeschichte des 19. Jahrhunderts bedeuten eine Aufwertung dieser reformatorischen Richtung gegenüber dem zumindest der westeuropäischen Literatur zu entnehmenden Bild, die aber nicht weiter kommentiert wird. Ähnlich: Die Darstellung der Lubliner Union und der Rolle, die Volanus in den Verhandlungen zu übernehmen hatte, vermittelt streckenweise den Eindruck, als wäre die litauische Seite am Ende nur unter polnischem Druck einer Union zu weitgehend polnischen Bedingungen beigetreten. Das stimmt aus der Perspektive eines Magnaten wie des von Volanus vertretenen Radziwiłł des Roten, und womöglich stimmt es auch aus der Perspektive der litauischen Forschung. Polnische Arbeiten, die hier nicht herangezogen werden, akzentuieren hingegen seit langem stärker den Gegensatz zwischen den litauischen Magnaten, die um ihre Position bangten, und der litauischen Szlachta, die der König und litauische Großfürst bei seinen Unionsbemühungen durchaus auf seiner Seite hatte.

Man hat zudem oft den Eindruck, dass für den Diplomaten und Politiker Volanus auch die Durchsetzung der rechten Religion eine gleichermaßen politische wie theologische Aufgabe war. Der Zusammenhang mit dessen politischen Schriften, die hier nur am Rande erwähnt werden (178-181), ist darum womöglich größer als es scheint - so wie es sich in dieser Zeit ja immer lohnt, nach einem gemeinsamen Nenner von politischen und religiösen Überzeugungen zu fragen. Volanus' bereits 1572 lateinisch erschienene, 1606 ins Polnische übersetzte Schrift De libertate politica steht zwar im Literaturverzeichnis, wird aber im Buch nicht eingehender analysiert. Wo man jedenfalls bisher auf Informationen zu Andrzej Wolan stoßen konnte, begegnete man ihm eher als einem der polnischen republikanischen Schriftsteller, nicht als Kontroverstheologen. Gleichfalls weiterer Überlegungen wert wären jene Momente, die scheinbar der spezifischen Ost-West-Lage Litauens und der lange daraus abgeleiteten religiösen Toleranz auch argumentativ Rechnung tragen, so wenn streckenweise in der Argumentation der Antitrinitarier das mit der Ostkirche so strittige filioque verschwinden kann (190, 199), wenn für Jan Namysłowski Zugang zum Glauben auch außerhalb einer Kirche als Hüterin der Wahrheit möglich wird (162) oder eben wenn Volanus - hier eigenständiger Theologe und zugleich gesellschaftspolitischer Denker - selbst von der restriktiven Kirchenzucht nach Genfer Vorbild Abstand nimmt, da niemand in die Herzen der Menschen sehen könne und daher beurteilen, wer solchen Zwang nötig habe (249f.).

Dies alles sind Aspekte, die Daugirdas' Studie mit ihrem theologischen Fokus noch kaum kommentiert oder vertieft. Dies war aber offensichtlich auch gar nicht die Aufgabe, und man muss feststellen, dass solche Anfragen gar keine Kritikpunkte sind. Dass sie sich ergeben, bedeutet vielmehr im Positiven, dass Daugirdas' Arbeit sehr wohl ihren Wert hat auch für den über die Theologie hinaus an ideengeschichtlichen Fragen und an der Geschichte des Großfürstentums Litauen allgemein interessierten Leser, dem sie gleichermaßen unbedingt zu empfehlen ist.

Alfons Brüning