Katherine O'Donnell / Michael O'Rourke (eds.): Love, Sex, Intimacy and Friendship between Men, 1550-1800, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2007, XIII + 206 S., ISBN 978-0-230-54679-0, GBP 16,99
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Der vorliegende Band bringt eine Reihe von Forscherinnen und Forschern zusammen, die bereits zuvor Grundlegendes auf dem Gebiet Gay Studies und der Geschichte der Homosexualitäten geleistet haben. Entsprechend hoch dürften die Erwartungen an das schmale Bändchen sein und in der Tat: sie werden nicht enttäuscht.
Gegenüber den physischen Sexualakten versucht dieser Band wieder stärker den emotionalen Aspekt mann-männlicher Beziehung und damit auch ihre Subjekte in den Vordergrund zu rücken. An diese Grundidee haben sich die darin versammelten Beiträger erfreulich diszipliniert gehalten. Analytische Grundüberlegungen führt George Rousseau in seinem Beitrag vor. Er entwirft dabei eine dreigliedrige Typologie mann-männlicher erotisierter Beziehungen, die er in drei Wortneuschöpfungen kleidet, um das Sprechen über solche Beziehungen zu ermöglichen, ohne auf das Konzept "Homosexualität" zurückgreifen zu müssen, dessen Wurzeln im medizinisch-pathologischen Diskurs des 19. Jahrhunderts mitunter hinlänglich bekannt und dessen Unbrauchbarkeit für die Vormoderne daher mittlerweile weitgehender Konsens sein dürfte. Als "homoplatonism" bezeichnet er die enge Verbindung von Freundschaft und Schüler-Lehrer-Beziehung, als "homodepression" eine Gemütsspannung, die sich aus einem "same-sex predicament and its social interdictions" (27) ergebe, als "homomorbitity" schließlich ein gleichgeschlechtliches Verlangen, dem konsequent die physische Erfüllung versagt bliebe. Diese drei Sichtweisen auf gleichgeschlechtliches Begehren sieht Rousseau als Teil der Pathologisierungsprozess, die vor dem 19. Jahrhundert ablaufen. Auch Alan Stewart und George E. Haggerty versuchen sich an eher grundlegenden Überlegungen zur Historisierung mann-männlicher Erotik. Beide Beiträge lesen sich allerdings eher als kritische Lektüren mittlerweile klassischer Positionen der letzten zwanzig Jahre, an denen sie sich abarbeiten, und erreichen daher nicht das innovative Potential von Rousseau.
Auch die meisten literaturwissenschaftlichen Beiträge des Bandes sind um Breite bemüht. So fragt Mario DiGangi "How Queer Was the Renaissance?" und versucht sich an einer weit gespannten Einbindung dramatischer Texte - in der Hauptsache Shakespeare - in zeitgenössische Debatten, wobei ihn besonders die Kluft zwischen starker Kriminalisierung und dagegen verhältnismäßig niedrigen Verfolgungsraten von Sodomievorwürfen interessiert. Das ist nicht immer neu, aber elegant zusammengedacht. Fast schon ein wenig blutleer liest sich dagegen die Rezeptionsgeschichte der Sapphischen Poesie im England des frühen 18. Jahrhunderts, die Jody Greene dem Band beisteuert.
Besonders lesenswert ist freilich Nicholas F. Radels Aufsatz, der den Sodomiten aus dem luftigen Raum eines symbolisch geladenen, diskursiven Objekts wieder zurück auf den Boden der Alltagsgeschichte(n) holt und Räume aufzeigt, in denen mann-männliches Begehren formuliert werden konnte: namentlich in Herr-Diener-Beziehungen. Das tut er durch eine geschickte Verbindung von historischem (die immer einmal wieder zitierte, so genannte "Castlehaven affair") und literarischem Material (vor allem englische Satiren). Dass Radel die Perspektive vom bislang ganz überwiegend betrachteten Earl of Castlehaven umdreht und auf dessen Diener Fitzpatrick richtet, ist eine frische Lesart, die neue Einsichten erlaubt. Thematisch nah verwandte Gedanken werden schließlich von Randolph Trumbach entwickelt, der sich unter anderem auch den symbolischen Hierarchien von Sexualbeziehungen in ausschließlich männlichen Milieus (z.B. auf See, in Gefängnissen, in Internaten) zuwendet. Das ließe sich gut mit der kürzlich an dieser Stelle besprochenen Studie von Barry Richard Burg zusammenbringen. [1] Auch hier spielen Hierarchie und vor allem Alter, das Trumbach als eine der zentralen Gesellschaftskategorien erkennt, eine gewichtige Rolle.
Der Beitrag des nur wenige Monate nach der Dubliner Tagung, auf die der Band zurückgeht, verstorbenen Alan Bray wird begleitet mit einem kurzen Nachruf der Herausgeber, die sich ansonsten mit eigenen Beiträgen zurückhalten. Bray geht darin gemeinsamen Gräbern von Männern über die lange Zeitspanne von rund einem halben Jahrtausend zwischen dem 14. und dem 19. Jahrhundert nach. Dieser kurze Überblick ist mittlerweile von seiner posthum erschienenen monographischen Studie "The Friend" ein- und in gewisser Weise damit auch überholt worden[2], wird dadurch aber in seiner kompakten Form nicht weniger lesenswert.
Einzig die eigens im Titel angekündigte Einleitung von David M. Halperin, die mit einer dreiseitigen (!) Endnote als Reaktion auf den Beitrag von Haggerty endet, nimmt sich etwas eigenartig aus. Von einem solchen Beitrag, der eher als Geleitwort eines Altmeisters - der Halperin [3] zweifellos ist - denn als konzeptuelles Vorwort eines Sammelbandes daher kommt, hätte man mehr erwartet. Stattdessen bleibt die programmatisch eingeforderte Rückkehr des Affektes ("Return of the Affect") in die Sexualitätsgeschichte, der Halperin eine allzu starke Fokussierung auf Akte vorhält, unkonkret und auf der Ebene verstreuter Andeutungen. Den lesenswerten Beiträgen, denen diese schwache Einleitung vorausgeht, kann das freilich auch nichts anhaben.
Anmerkungen:
[1] Hiram Kümper: Rezension von: Barry Richard Burg: Boys at Sea. Sodomy, Indecency and Courts Martial in Nelson's Navy, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 6 [15.06.2009], URL: http://www.sehepunkte.de/2009/06/13423.html .
[2] Alan Bray: The Friend, Chicago u.a. 2003.
[3] Vgl. nur den viel zitierten Beitrag: How to Do the History of Male Homosexuality, in: GLQ. A Journal of Lesbian and Gay Studies 6 (2000), 87-124.
Hiram Kümper