Heiner Borggrefe / Lubomír Konečný / Vera Lüpkes u.a. (Hgg.): Hans Rottenhammer: begehrt - vergessen - neu entdeckt, München: Hirmer 2008, 208 S., ISBN 978-3-7774-4315-7, EUR 34,90
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Heiner Borggrefe / Vera Lüpkes / Paul Huvenne (Hgg.): Hans Vredeman de Vries und die Renaissance im Norden. Ausstellung im Weserrenaissance-Museum Schloß Brake (26.5.-25.8.2002), Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen (15.9.-8.12.2002), München: Hirmer 2002
Heiner Borggrefe / Vera Lüpkes (Hgg.): Hans Vredeman de Vries und die Folgen. Ergebnisse des in Kooperation mit dem Muzeum Historyczne Miasta Gdańska durchgeführten internationalen Symposiums am Weserrenaissance-Museum Schloß Brake (30.1. bis 1.2.2004), Marburg: Jonas Verlag 2005
Artur Rosenauer (Hg.): Geschichte der Bildenden Kunst in Österreich. Band 3: Spätmittelalter und Renaissance, München: Prestel 2003
Die kunstfertigen Kabinettbilder auf Kupfer von Hans Rottenhammer wurden von seinen Zeitgenossen hoch geschätzt. Dennoch gehört er zu den weniger bekannten oder erforschten Künstlern des frühen 17. Jahrhunderts. Seit seinem Tod sind neben kleineren Aufsätzen lediglich ein umfangreicher Artikel, eine Dissertation und ein Tagungsband erschienen. [1] Die Ausstellung 2008 in Lemgo, deren Begleitpublikation hier zu besprechen sein wird, war die erste Ausstellung überhaupt, die ausschließlich dem Werk Rottenhammers gewidmet wurde.
Der Band enthält neun Beiträge internationaler Fachleute, die unterschiedliche Aspekte von Rottenhammers Werk beleuchten, einen reich bebilderten Katalogteil und einen Anhang mit den Würdigungen der Zeitgenossen van Mander, Ridolfi und Sandrart. Nachdem Heiner Borggrefe mit einer Biografie anhand des spärlichen bisher bekannten Quellenmateriales einleitet, beschäftigt sich Beverly Louise Brown mit einer kurzen, aber wichtigen Etappe in Rottenhammers Leben. Die Vorbereitung des Anno Santo 1600 in Rom zog zahlreiche Künstler an, die auf Aufträge hofften. Die Maler aus dem Norden gelangten selten an die prestigeträchtigen Großaufträge und suchten sich ihre Nischen mit frommen Bildchen auf Kupfer oder Holz, die häufig künstlerisch wenig anspruchsvolle Fließbandarbeiten waren. Zunehmend etablierte sich jedoch ein Markt für Kupfertafeln von besserer Qualität, aus Massenproduktionen wurden so Sammlerstücke.
In Rom fand Rottenhammer Anschluss an die Landschaftsspezialisten Jan Brueghel d.Ä. und Paul Bril, mit denen er als Figurenmaler eng kooperierte. Neben Auftragsarbeiten für Kardinal Federico Borromeo malten Brueghel und Rottenhammer wohl auch für den Devotionalienhandel. Dafür spricht die "manufakturähnliche Herstellung"(30) der verschiedenen Versionen der Ruhe auf der Flucht. In Rom hatte Rottenhammer offensichtlich auch Zugang zur Accademia di San Luca, was seinen Zeichenstil maßgeblich beeinflusste. Er übernahm Federico Zuccaris Technik, mit Rötel und schwarzer Kreide zu zeichnen und setzte sich intensiv mit der römischen Malerei auseinander.
Auch Bernhard Aikema stellt Überlegungen zu Rottenhammers Position in der italienischen Kunst, speziell zu Kanon und Kunst Venedigs an. Aus Rom zurückgekehrt behielt er die Zeichentechnik bei, passte aber Ikonografie und Stil an den venezianischen Geschmack an. Vor allem studierte Rottenhammer Tizian, Veronese und Tintoretto, deren Werke er bisweilen kopierte, hauptsächlich aber deren Vorlagen beim Übertragen auf die kleinen Kupferplatten neu und eigenständig anordnete. Diese Bilder erinnerten den Betrachter sofort an die großen Venezianer, und waren dennoch eigenständige künstlerische Leistungen. Aikema sieht in der Manier Rottenhammers eine Summe venezianischen Stiles des späten Cinquecento, als "Beispiel für eine neuartige historistische Haltung gegenüber den Prototypen der venezianischen Malerei" (41). Durch die Verbreitung von Rottenhammers Kupfergemälden habe der Maler maßgeblich zu einer "Markenbildung des venezianischen Stils" (43) beigetragen.
Die 1983 von Justus Müller Hofstede publizierte Zeichnung von Herkules und Telephus, die Rottenhammer Adam Elsheimer schenkte, ist Ausgangspunkt für Lubomír Konečnýs kurze Untersuchung über Rottenhammer und die Antike. Dies verblüfft zunächst vor allem deswegen, da Brown in ihrem Beitrag eben diese Zeichnung Rottenhammer aufgrund zumindest bedenkenswerter stilistischer Argumente abgeschrieben hat (28). Allerdings geht es dem Autor eher um Goltzius, Heintz und Spranger. Rottenhammers Antikenrezeption wird nur kurz als paraphrasierend, nicht zitierend subsumiert.
Thomas DaCosta Kaufmann und Heiner Borggrefe beschäftigen sich mit der Entwicklung von Technik und Stil in Rottenhammers zeichnerischem Werk und stellen auch die Frage nach dessen Funktion. Rottenhammer war zeitlebens ein produktiver und talentierter Zeichner. Die Grundlagen wurden bereits während seiner Ausbildungszeit am Münchner Hof gelegt, dessen herausragende Künstler in Florenz geprägt worden waren.
Michael Bischoff beschäftigt sich mit Rottenhammers Entwürfen für Goldschmiedearbeiten in seiner Augsburger Zeit. Über Philipp Hainhofers Briefwechsel lässt sich Rottenhammers Rolle bei der Erstellung des Pommerschen Kunstschrankes für Philipp II. von Pommern gut rekonstruieren. Zunächst maßgeblich daran beteiligt, führte Rottenhammers fortschreitende Trunksucht zunehmend zu seinem Rückzug aus dessen Herstellungsprozess, bis er, anders als die übrigen beteiligten Künstler, bei der Präsentation des Schrankes vor dem Auftraggeber nicht einmal mehr anwesend war. In weiteren Visierungen für Goldschmiedegerät entpuppt sich Rottenhammer als gewiefter Geschäftsmann, der seine venezianischen Kompositionen häufig variierend wiederverwendete. Außerhalb Augsburgs wirkten seine Bilder vielfach als direkte Inspiration für das Kunsthandwerk.
Andrew John Martins kurze Untersuchung zu den Auftraggebern und Sammlern belegt die bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts andauernde Wahrnehmung und Wertschätzung von Rottenhammers Werk, das von Anfang an in allen bedeutenden internationalen Sammlungen vertreten war. Allerdings ist in den meisten Fällen offensichtlich nicht erforscht, wie die Vermittlung zwischen Künstler und Auftraggeber oder Sammler erfolgte.
Thomas Fusenig durchleuchtet "Rottenhammers Einfluss auf die Malerei". Dieser wirkte vor allem auf die Maler Antwerpens, von Augsburg aus später auf deutsche, in geringerem Maß auch auf Künstler in Amsterdam und Rom. Rottenhammers Einfluss auf die Malerei Venedigs lässt sich kaum belegen und dürfte auch eher gering gewesen sein, schließlich brauchte man dort kaum Rottenhammers Werke, um ein Bewusstsein für die Qualitäten eines Tizian oder Tintoretto zu entwickeln. Dass Rottenhammer aber auf so bedeutende Künstler wie Rubens, Elsheimer oder den Cavaliere d'Arpino inspirierend wirkte, ist ein gewichtiges Argument für eine Neubewertung seiner künstlerischen Bedeutung.
Eine solche Neubewertung ist das offenkundige Ziel des vorliegenden Kataloges. Rottenhammer wird insgesamt überzeugend vom Vorwurf des Eklektizismus befreit. Es gelingt, ihn als eigenständigen, innovativen Künstler zu präsentieren, der vor allem von herausragender Bedeutung für die Entwicklung des auf Kupfer gemalten Kabinettbildes war. Die Einzelbeiträge und Katalognummern beleuchten allerdings nur Teile von Rottenhammers Gesamtwerk, während etwa die stilistisch stark veränderten Großformate seiner späteren Phase bestenfalls gestreift werden. Der Leser, der einen aktuellen Gesamtüberblick über diesen Künstler wünscht, kommt nicht umhin, ergänzend den Tagungsband des wissenschaftlichen Kolloquiums in Vorbereitung der Ausstellung von 2007 hinzuzuziehen.
Noch immer klaffen große Wissenslücken hinsichtlich Leben und Werk Rottenhammers. Speziell die Frühzeit liegt im Dunklen: wann wurde er geboren, wie verlief seine Ausbildung bei Hans Donauer, wie gestaltete sich der Anfang seiner italienischen Zeit vor dem Romaufenthalt, wie war seine venezianische Werkstatt organisiert und wer gehörte ihr an, und schließlich, warum kehrte er nach Augsburg zurück? Der Katalog schafft, nicht zuletzt wegen seiner umfangreichen Bebilderung, sicher einen großen Anreiz zur weiteren Erforschung dieser und weiterer Fragen.
Anmerkung:
[1] Rudolf Arthur Peltzer: Hans Rottenhammer, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 33 (1916), Heft 5, 293-365; Harry Schlichtenmaier: Studien zum Werk Hans Rottenhammers des Älteren (1564-1625). Maler und Zeichner, mit Werkkatalog, Tübingen 1988; Hans Rottenhammer (1564-1625). Ergebnisse des in Kooperation mit dem Institut für Kunstgeschichte der Tschechischen Akademie der Wissenschaften durchgeführten internationalen Symposions am Weserrenaissance-Museum Schloß Brake, hg. von Heiner Borggrefe / Vera Lüpkes / Lubomír Konečný / Michael Bischoff, Marburg 2007.
Stephan Boll