Pamela E. Swett / Jonathan Wiesen / Jonathan R. Zatlin (eds.): Selling Modernity. Advertising in Twentieth-Century Germany, Durham / London: Duke University Press 2007, 364 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-0-8223-4069-0, EUR 28,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Jonathan R. Zatlin: The Currency of Socialism. Money and Political Culture in East Germany, Cambridge: Cambridge University Press 2007
Moritz Föllmer / Pamela E. Swett (eds.): Reshaping Capitalism in Weimar and Nazi Germany, Washington DC: German Historical Institute Washington DC 2022
Pamela E. Swett: Neighbors and Enemies. The Culture of Radicalism in Berlin, 1929-1933, Cambridge: Cambridge University Press 2004
Dieser Sammelband ging aus einem europäisch-nordamerikanischen Arbeitstreffen über deutsche Wirtschaftswerbung und Public Relations im 20. Jahrhundert hervor, der im November 2003 an der kanadischen McMaster University abgehalten wurde. Die erkenntnisleitende Kernthese der Autoren lautet, dass Wirtschaftswerbung niemals allein als ökonomischer Faktor verstanden werden dürfe, sondern gleichzeitig eine Reflektion ihrer soziokulturellen Implikationen in den jeweiligen zeitspezifischen und nationalstaatlichen Kontexten notwendig sei. Nach einem Vorwort von Victoria de Grazia und einer Einleitung der Herausgeber, wird diese These in zwölf Aufsätzen für Deutschland überprüft.
Der forschungsrelevante Mehrwert dieses Sammelbandes besteht in der Differenzierung von "Kulturen der Werbung", deren Visualisierungsformen auch individuelle und nationale Identitäten beeinflussen können. Einerseits liegt der Untersuchungsfokus auf den Selbstwahrnehmungen der werblich handelnden Akteure (Werbefachleute, Unternehmer, Manager, Marktforscher, Gebrauchsgraphiker, Verkäufer), andererseits werden auch deren Fremdwahrnehmungen miteinbezogen.
Während die Bestärkung eines "cultural turn" in der Werbe- und Marketinggeschichte überzeugt, da die Wirksamkeit ökonomischer Werbung von langfristig ausgeprägten zeit-, länder- und regionalspezifischen Mentalitäten abhängig ist, erscheint der akteurszentrierte Aussagewert für die Untersuchung der Werbebranche selbst sehr begrenzt. Bezüglich der Werbefachleute bleibt häufig zu unklar, welche Akteure genau gemeint sind.
Ferner findet sich keine hinreichende Differenzierung zwischen einem "Beruf" und einer "Profession". Stattdessen wird von einer Profession der Werbefachleute ausgegangen (xvii), ohne dass deren charakteristische Determinanten (soziale Autonomie, kodifiziertes Fachwissen, geregelte Berufszugänge) benannt werden. Dabei handelte es sich zumindest bei den Werbeleitern und Werbeberatern der Konsum- und Investitionsgüterindustrie keineswegs um eine lineare Professionalisierung.
Die zeitliche Gewichtung der Aufsätze liegt auf dem 20. Jahrhundert. Nur der erste Aufsatz von Kevin Repp zur Beziehung zwischen der deutschen Werbebranche und der zeitgenössischen Werbekritik während der "belle époque" reicht in das 19. Jahrhundert hinein. Der Aufsatz konzentriert sich auf die Werbevisualisierungen des kommerziellen Plakatanschlags und des Warenhauses. Es gelingt Repp - mit starkem Fokus auf Berlin - überzeugend herauszuarbeiten, dass zu aufdringliche Werbung bereits im "Kaiserreich" meist als "amerikanische Kultur" abgelehnt wurde.
Auch bei Corey Ross zeigt sich, dass es notwendig ist, bei Werbemaßnahmen auf soziokulturelle und nationale Prädispositionen einzugehen, um keinen vehementen Rezeptionswiderstand hervorzurufen. Schließlich betont Ross' Studie über "Amerikanisierungseinflüsse" auf die deutsche Werbebranche der Zwischenkriegszeit die Selektivität deutscher Adaptationen US-amerikanischer Werbetechniken. Ross geht nicht von einer Assimilation der deutschen Werbebranche aus, sondern betont die Asymmetrie des transnationalen und -kulturellen Austauschprozesses. Seine These von einer selektiven Aneignung US-amerikanischer Werbetechniken (53) überzeugt und räumt zugleich mit der eindimensionalen Vorstellung des ausschließlichen Vorbildes der USA auf.
Mit einer Mikrostudie zum selbsternannten "Nestor der Markentechnik", Hans Domizlaff, befasst sich Holm Friebe. Friebe betont eine "konservative Revolution" innerhalb des Marketings (79) durch Domizlaff. Dies ist ein interessanter Ansatz, nur müsste genauer definiert werden, an welchem Marketingverständnis dies gemessen wird. Schließlich darf die massenpsychologische "Markentechnik" nicht automatisch mit "Marketingkonzepten" der 1960er und 1970er Jahre gleichgesetzt werden.
Es schließen sich drei Aufsätze über Werbestrategien im Nationalsozialismus an: Erstens eine Analyse Michael Imorts über die Nutzung von Werbevisualisierungsstrategien in drei deutschen Forstfachzeitschriften zugunsten der NS-Volksgemeinschaftspropaganda. Seine Kernthese, dass der deutsche Wald als massensymbolisches Narrativ und stilisierter nationaler Identifikationsraum bereits seit den frühen 1920er Jahren ein bedeutendes Element des deutschen Politdiskurses darstellte, wird eindrucksvoll belegt (103, 107).
Zweitens widmet sich Shelley Baranowski der Konsumtion von "Kraft-durch-Freude"-Angeboten als propagierter "Sozialismus der Tat". Dabei greift sie die These des "virtuellen Konsums" (Hartmut Berghoff) an, da ihrer Meinung nach der KdF-Konsum keineswegs "virtuell", sondern sehr real gewesen sei (128). Dieses Argument geht jedoch ins Leere, denn Berghoffs These betont die langfristige Vision eines gesellschaftlich imaginierten, egalitären Konsums, ohne dessen reale Existenz in der NS-Zeit zu leugnen. [1] KdF rief letztlich das hervor, was verhindert werden sollte: Individualistische Reisekulturen und damit wiederum soziale Distinktionsmechanismen sowie Materialismus (134-135).
Drittens behandelt Jeff Schutts eine weitere Paradoxie der Konsumkultur des "Dritten Reiches" in seiner Analyse der werbetechnischen "Germanisierung" Coca-Colas. Obwohl die braune Brause in den USA zum Produktsymbol amerikanischer Freiheitsvorstellungen schlechthin avanciert war und US-Soldaten mit ihrem Konsum ein Stück Heimatgefühl verbanden, gelang es Coca-Cola, sich produkt- und werbetechnisch im "Dritten Reich" als genuin deutsches Produkt zu etablieren. Diese Erkenntnis ist zwar nach wie vor beeindruckend, aber bereits mehrfach formuliert worden. [2]
Für den Zeitraum nach 1945 folgt ein Panel mit dem Fokus auf die Bonner Republik. In diesem findet sich ein Aufsatz über die Werbung und PR der Fluggesellschaft Lufthansa (Guillaume de Syon), welche nach 1945 darum bemüht war, eine neue "corporate identity" zu erzeugen. Daran schließt sich eine Untersuchung der letztlich gescheiterten werbetechnischen Planung, Gestaltung und Durchführung einer bundesweiten Anti-Drogenkampagne (Robert P. Stephens) an. Bemerkenswert erscheint an der Arbeit Elizabeth Heinemanns über die Propagierung des "Beate Uhse Mythos", dass es Beate Uhse in der sozial gering angesehenen Erotikindustrie gelang, ihre Unternehmenswerbung erfolgreich mit ihrer eigenen Biographie als ehemalige Kampfpilotin, Mutter und "self made woman" zu verknüpfen (203-204).
Das letzte thematische Panel über Wirtschaftswerbung in der DDR fällt mit einem einzigen Aufsatz (Anne Kaminsky) in der Gewichtung etwas kurz aus. Schließlich fokussiert Rainer Gries die Geschichte der Selbstbedienung und damit die Werbung am "point of sale" in der DDR und in Westdeutschland.
Insgesamt gelingt es den Autoren überzeugend, die Notwendigkeit eines orts- und zeitgebundenen sowie soziokulturellen Verständnisses von Wirtschaftswerbung, PR und Marketing aufzuzeigen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Hartmut Berghoff: Methoden der Verbrauchslenkung im Nationalsozialismus. Konsumpolitische Normensetzung zwischen totalitärem Anspruch und widerspenstiger Praxis, in: Dieter Gosewinkel (Hg.): Wirtschaftskontrolle und Recht in der nationalsozialistischen Diktatur, Frankfurt/M. 2005, 281-318; hier: 287.
[2] Siehe: Silke Horstkotte / Olaf Jürgen Schmidt: Heil Coca-Cola! - Zwischen Germanisierung und Re-Amerikanisierung: Coke im Dritten Reich, in: Heike Paul / Katja Kanzler (Hgg.): Amerikanische Populärkultur in Deutschland, Leipzig 2002, 73-86.
Gerulf Hirt