Martin Lindner: Rom und seine Kaiser im Historienfilm, Berlin: Verlag Antike 2007, 332 S., ISBN 978-3-938032-18-3, EUR 49,90
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Wissenschaftliche Publikationen zum populären Umgang mit Geschichte nehmen aktuell weiter zu. [1] Filme stellen für viele Geschichtsinteressierte eine Quelle dar, aus der sie ihr Wissen über eine bestimmte Zeitepoche schöpfen. Daraus ergeben sich auch für die Forschung zur Antikenrezeption Fragen nach dem Einfluss des Mediums Film auf die in der Gesellschaft vorherrschenden Geschichtsbilder. Die Darstellung von Antike im Historienfilm hat sich inzwischen als eigener Forschungszweig etabliert [2], was nicht zuletzt auch den Schriften von Martin Lindner geschuldet ist. Umso gespannter konnte man auf die neueste Arbeit des Historikers sein, die zugleich seine an der Universität Oldenburg eingereichte Dissertationsschrift darstellt.
Ausgangspunkt von Lindners Arbeit ist die Suche "nach benennbaren Schemata und spezifischen Abwandlungen in der filmisch erzählten Antike unter besonderer Berücksichtigung der Römischen Kaiserzeit" (11). Geografisch begrenzt er seine Analyse dabei auf Rom bzw. das gesamte Herrschaftsgebiet des römischen Reiches, zeitlich bezieht er sich auf das Ende der Republik bis zur faktischen Reichsteilung Ende des 4. Jahrhunderts. Knapp 400 Spielfilme (vom Stummfilm über Kinderzeichentrick- und Erotikfilme bis hin zu den jüngsten Hollywood-Blockbustern) hat Lindner hierfür untersucht, wobei er etwa die Hälfte davon in der Kaiserzeit verortet. Die Monographie ist in fünf Kapitel aufgeteilt, an die sich ein Fazit mit Ausblick anschließt. Im Anhang befindet sich neben einem Personenregister (327-332) eine hilfreiche Filmographie (267-326), die sich über den Zeitraum von 1913-2005 erstreckt.
Im ersten Kapitel mit dem Titel Authentizität (32-72) geht es um Überlegungen zu "wahren Geschichtsbildern", Realismus und Legitimationsstrategien. Dass Historienfilme "Fehler" aufweisen steht für Lindner außer Frage. Daher richtet er den Fokus vielmehr auf die Erstellung einer Typologie möglicher Fehler in der filmischen Geschichtsdarstellung (41) und unterscheidet vier Formen: technische Fehler in Gestalt von Anschlussfehlern, handlungslogische Fehler wie inhaltliche Brüche im Erzählfortgang, gegenständliche Fehler, wenn z.B. in der Ausstattung Elemente kombiniert werden, die zeitlich und regional nach wissenschaftlichem Kenntnisstand so nicht nachgewiesen sind, und schließlich faktisch-historische Fehler, womit die Schilderung von Ereignissen gemeint ist, die der Forschung eindeutig widersprechen. Dass der aktuelle Forschungsstand in der Regel nicht durchgängig von Filmschaffenden als Maßstab angelegt wird, lässt sich anhand zahlreicher Beispiele belegen. Doch schließt sich Lindner hier der von Margot Berghaus formulierten These an, dass eine historisch fehlerhafte Darstellung dennoch "einen emotional realistischen, allgemein menschlichen Zugang zu historischen Tatbeständen" (51) befördern kann und fordert, Realismus nicht auf den Sinn von "Entsprechung zum Forschungsstand" zu reduzieren (53).
Für eine Analyse vielversprechender - und auch bereits an anderer Stelle von Lindner thematisiert - ist sein Ansatz zur Betrachtung der Legitimationsstrategien innerhalb der Filme. [3] In Anlehnung an Pierre Sorlin definiert Lindner diese als "inner- wie außerfilmische Techniken, die eingesetzt werden, um Rezipienten von der Authentizität und Bedeutung der präsentierten Geschichte zu überzeugen" (56). Angesetzt werde hier zumeist schon im Vorspann: durch das Einarbeiten von Schauspieler-Portraits in antike Wandgemälde oder das Verweisen auf Quellen antiker Autoren verbürgten sich die Produzenten für die Integrität ihrer filmischen Darstellung, wobei das Ziel laut Lindner "nicht die Geschichtsdarstellung nach wissenschaftlichen Anforderungen, sondern das Bedienen unterstellter Authentizitätserwartungen" (65) sei.
Dies führt Lindner im zweiten Kapitel, Traditionen (73-105), zu der Frage nach den Quellen des Historienfilms. Lindner unterscheidet drei Kategorien, erstens die direkte intermediale Tradition. Hierzu zählt er die Übernahme antiker Texte in den Film und führt als Musterbeispiel Caligula (von 1979) mit seinem expliziten Quellenbezug auf Sueton und Tacitus an, was er anhand eines Sequenzprotokolls in überzeugender Weise belegt. Unter der vermittelten intermedialen Tradition versteht Lindner zweitens die Übernahme aus anderen eigenständigen nicht-filmischen Vorlagen wie historischen Romanen, Dramen oder Comics. An dritter Stelle nennt er die intramediale Tradition, bei der Filme durch andere Filme beeinflusst werden. Zugleich verweist Lindner auf die erheblichen Schwierigkeiten, die mit der Untersuchung der jeweiligen Traditionslinien verbunden seien. So stößen Wissenschaftler bei der Einsicht in Zeugnisse aus dem Entstehungsprozess schnell an Grenzen. Erschwerend komme hinzu, dass Filme stets Gemeinschaftsprojekte mit einem nicht zu unterschätzenden Improvisationsanteil sind. Dennoch kommt Lindner zu dem Ergebnis, dass unter den althistorischen Quellen für den Antikfilm zur römischen Kaiserzeit die biblischen Schriften den größten Teil einnehmen. Danach identifiziert er mit erheblichem Abstand die Werke von Sueton, Tacitus, Plutarch, Cassius Dio und die Historia Augusta.
Kapitel 3 zu Erzählformen (106-139) widmet sich einer Materialanalyse in Bezug auf Orte, zeitliche Rahmen und Personen des von Lindner gesichteten Filmkorpus. Seinen Ausführungen zufolge ist das Repertoire an handlungsrelevanten Figuren stark begrenzt, wobei ein deutlicher Überhang an männlichen Hauptfiguren zu erkennen sei. Zudem weise "das Gesellschaftsbild eine starke Tendenz zur Dichotomie auf, mit den Extremen der staatstragenden Aristokratie und der Unfreien" (110). Einer von Lindner erstellten Statistik, die auf knapp einhundert Filmen basiert, lässt sich entnehmen, dass Caesar mit deutlichem Abstand am häufigsten als handelnde Person in Erscheinung tritt, gefolgt von Nero, Augustus, Caligula, und Claudius. Als Herrscherinnen bzw. Herrschergattinnen macht er Kleopatra VII., Valeria Messalina und Poppaea Sabina aus. Die Ursachen der thematischen Reduktion sieht Lindner v.a. in der antiken Tradition begründet, die bereits durch die Überlieferungsbasis den Rahmen stecke. Zeitlich konzentrierten sich die Antikfilme zur römischen Kaiserzeit auf die julisch-claudische Dynastie, die erzählte Zeit orientiere sich üblicherweise an der Lebensdauer einer Hauptperson. Hauptspielorte seien Zivilisationszentren wie Rom oder Alexandria. Nebenschauplätze bildeten Heereslager, Dörfer oder ausgelagerte Residenzen. Motive für diese Einschränkungen sieht Lindner produktionsökonomisch begründet. Nationale Unterscheidungen ließen sich nicht ausmachen, zumal gerade jüngere Produktionen ihre Existenz nur einer internationalen filmischen Zusammenarbeit verdankten.
Im vierten Kapitel Kaiserbilder (140-189) richtet der Autor seinen Blick auf die Konstruktion der Herrscherfiguren. Generell stellt Lindner einen "erzähltechnisch wie inhaltlichen Konservatismus" fest (152) und konstatiert eine "bemerkenswert schematische" (188) Darstellung der einzelnen Herrscherfiguren, so etwa in einer Gegenüberstellung von "gutem" und "schlechtem" Kaiser. Junge Kaiser würden eher als "schlechte" Charaktere dargestellt, ältere verkörperten hingegen den weisen Regenten. Was das äußere Erscheinungsbild betrifft, so lässt sich nach Lindner keine konstante Ikonographie ausmachen, nur in Ausnahmefällen weise das Äußere des Kaisers einen in der filmischen Tradition etablierten Wiedererkennungswert auf und Bezüge zu den antiken Quellen fielen ausgesprochen gering aus (160). Von besonderem Interesse sind die unter dem Aspekt der "Sexualität" gemachten Beobachtungen der Inszenierung. So sei ein ausschweifendes, abnormes Sexualleben in der Regel mit "negativen" Herrschergestalten verbunden. Homosexualität gelte- entgegen der antiken Sexualmoral- als Abwertungskriterium. Demgegenüber besitze der positiv inszenierte Kaiser im Antikfilm eindeutig heterosexuelle Präferenzen. Während der "schlechte" Kaiser an militärischen oder religiösen Herausforderungen scheitere, bewähre sich der "gute" Herrscher in Schwierigkeiten und stehe als Garant für ein stabiles römisches Kaiserreich.
Im fünften Kapitel Genre (190-221) werden die bisherigen Befunde nochmals im Hinblick auf die Frage nach einem möglichen (Sub-)Genre aufgegriffen. Ungewöhnlich ist Lindners Vorgehensweise, die Frage nach dem Genre an das Ende seiner Untersuchung zu stellen. Der von ihm selbst formulierte Anspruch, dadurch einer Bestätigung bereits bestehender Genrekonzepte zu entkommen, wird jedoch nur teilweise eingelöst, da er bereits zuvor mit dem anfangs von ihm selbst eingegrenzten Begriff des "Historienfilms" bzw. auch des "Antikfilms" operiert. Dennoch zeigt der Abschnitt, dass die Diskussion darüber, ob von einer Rückkehr des Antikfilms die Rede sein kann, noch nicht abgeschlossen ist. Für die weitere Beschäftigung mit dem Antikfilm gelangt Lindner schließlich zu einer Differenzierung von historischem "Antikfilm im weiteren Sinn" und "Antikfilm im engeren Sinn" (217), zu welchem er dann auch den Antikfilm zur römischen Kaiserzeit zählt.
Im letzten Abschnitt Fazit und Ausblick (222-229) betont Lindner noch einmal das "bemerkenswerte Ausmaß an Schematisierung in der Darstellung der filmischen Kaiserzeit" (222). Dieses Schema bestehe aus einem "festen Arsenal an etablierten Idealtypen", und es ginge v.a. darum, "keine Hinterfragung des Präsentierten auszulösen", sondern "Bekanntes in bekannter Weise zu inszenieren"(225).
Wie Lindner in der Einleitung selbst einräumt, kann die breit angelegte Untersuchung viele der angesprochenen Aspekte nicht in die Tiefe verfolgen. So plädiert er selbst für weitere, intensivere Analysen auf Mikroebene. Für zukünftige Forschungsvorhaben können die von ihm auf einer breiten Materialgrundlage entwickelten Typologien dabei dennoch sehr hilfreich sein. Zudem fordert die Arbeit dazu heraus, Lindners Ergebnisse auch für andere Genres und Medien wie historische Dokumentationen, Romane oder Computerspiele zu überprüfen. Weiterhin steht zu hoffen, dass Lindners Anregung, auch die Rezeptionsforschung zukünftig stärker einzubinden, als ein Anreiz für eine engere Zusammenarbeit zwischen Medienwirkungsforschern und Historikern gesehen wird.
Anmerkungen:
[1] Vgl. z.B. Barbara Korte / Sylvia Paletschek (Hgg).: History goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres, Bielefeld 2009.
[2] Vgl. z.B. Tomas Lochmann / Thomas Späth / Adrian Stähli (Hgg.): Antike im Kino. Auf dem Weg zu einer Kulturgeschichte des Antikenfilms, Basel 2008 sowie auch die innerhalb von althistorischen Kongressen eingerichteten Sektionen zum Themenbereich "Antike und Medien" wie zuletzt im Rahmen der FIEC 2009 (Fédération internationale des Associations d'études classiques) vom 24.-29.8.2009 an der Humboldt-Universität zu Berlin, vgl. http://www.fiec2009.org/panel7.html (Zugriff vom 13.10.2009).
[3] Vgl. Martin Lindner: Zwischen Anspruch und Wahrscheinlichkeit - Legitimationsstrategien des Antikfilms, in: Drehbuch Geschichte. Die antike Welt im Film, hg. von Martin Lindner, Münster 2005, 67-85.
Tatjana Timoschenko