Annette Katzer: Araber in deutschen Augen. Das Araberbild der Deutschen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2008, 518 S., ISBN 978-3-506-76400-3, EUR 49,90
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Als einen Beweggrund für die vorliegende Arbeit nennt Annette Katzer ein "besondere[s] Interesse an der Geschichte von Vorurteilen, welche sich herausbildeten, ohne daß nennenswerte Kontakte vorlagen." (12) Dafür ist der Untersuchungsgegenstand, das Araberbild der Deutschen in der Frühen Neuzeit, gut gewählt. Denn zum einen verfügten die Deutschen dieser Epoche über keine gemeinsame Definition des Begriffs Araber. Welche Menschen oder welche Kultur damit bezeichnet wurde, lag größtenteils im Ermessen des Beobachters. Zum anderen, und damit unmittelbar zusammenhängend, gab es von solchen Beobachtern in den deutschen Staaten ausgesprochen wenige. Insbesondere die Zahl der Reisenden, die in den hier behandelten Jahrhunderten die arabische Halbinsel besuchten, war mehr als gering.
Dementsprechend legt die Autorin ihrer Untersuchung keine pauschale Araberdefinition zu Grunde (13). Katzer geht es um "historische Bilder von Arabern", und nicht um deren Geschichte (16). Die Arbeit versteht sich gerade nicht als Beitrag zu den so genannten orientalischen Studien. Somit sind auch diese "Araber in deutschen Augen" methodisch von Edward Saids Überlegungen zum Orientalismus nicht abzulösen.
Leider liefern die deutsch-arabischen Beziehungen und Austauschprozesse für Annette Katzer wesentlich weniger Beispiele, als sie dem palästinensischen Kulturwissenschaftler für seine sehr viel breiter angelegten Überlegungen zu Kultur und Imperialismus zur Verfügung standen. Katzers Quellenlage ist begrenzt und schwierig. Zudem standen nicht nur die deutschen, sondern die gesamteuropäischen Vorstellungen über die arabische Welt während der Frühen Neuzeit unter dem Einfluss des viel intensiveren Interesses für die Araber während des Mittelalters und den daraus hervorgegangenen Anschauungen. Im Mittelalter wurden "jene Haltungen dem Islam gegenüber geprägt, die bis weit in die Neuzeit hinein das Verhältnis zu der fremden Religion bestimmen sollten" (17). Dazu gehörte auch eine deutliche antiislamische Tradition, die sich seit dem 7. und 8. Jahrhundert in Byzanz zu entwickeln begann.
Allerdings wurde gerade der Islam in der Frühen Neuzeit weit weniger mit der arabischen Welt identifiziert als vielmehr mit dem osmanischen Reich und der von ihm ausgehenden Invasionsdrohung für Europa. Gleichzeitig wurde dieser politisch-militärische Komplex beständig von literarisch-orientalisierenden Vorstellungen à la 1001 Nacht überlagert. Auch deswegen entwickelte sich lange Zeit kein dezidiert eigenständiges Bild der Araber im deutschsprachigen Raum. "Ob das indische Reich der Moguln oder das des persischen Schahs zum Schauplatz gewählt wurde, oder ob türkische Sultane oder nordafrikanische Beys die Phantasie beflügelten, blieb größtenteils beliebig." (22)
Allein die Reformation sorgte für neue Impulse, da mit ihr auch ein neues Interesse für den Koran einherging. Die Beschäftigung mit der heiligen Schrift der Muslime blieb in der Frühen Neuzeit größtenteils eine Domäne des Protestantismus (80). Der Glaube der Araber, die noch im 8. Jahrhundert bis vor die Tore Roms gedrungen waren, wurde dabei zumeist zum simplen "Irrglauben" (52) herabgewürdigt. Sehr verbreitet war auch der "Vorwurf des Libertinismus" (57), der an den Paradiesvorstellungen des Islams sowie an dessen Tolerierung der Polygamie festgemacht wurde. Aber auch diese theologischen Auseinadersetzungen mit dem Islam waren eindeutig politisch motiviert. "Insgesamt muss also konstatiert werden, daß die Auseinandersetzung mit dem Koran in erster Linie vom Verhältnis zu den Türken bestimmt war." (81)
Hier wird einmal mehr die schwierige Quellenlage für Katzers Überlegungen deutlich. Die wenigen Äußerungen über Araber, die erhalten geblieben sind, stammen zumeist von deutschen Jerusalempilgern, deren Begegnung mit der arabischen Welt allenfalls ein Nebenprodukt ihrer Reise war. Aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse war die Möglichkeit einer Unterhaltung mit den Einheimischen für die Pilger nicht gegeben. Das Arabische war eine so gut wie unbekannte Sprache in Europa; noch im 13. und 14. Jahrhundert gab es nicht mehr als 17 Arabisten, welche die Sprache nachweislich beherrschten (83)! Erst 1505 erschien eine erste Grammatik des Arabischen. Die sich sehr behutsam entwickelnde Arabistik kämpfte nicht nur gegen theologische Interessen an, sondern auch gegen einen Bedeutungsrückgang des Arabischen durch das verstärkte Lesen der antiken Originale (85).
Die für Europa so entscheidende Mittlerfunktion arabischer Gelehrter, welche schon seit Jahrhunderten griechische und römische Texte studierten und übersetzten, begann in der Frühen Neuzeit abzuebben. Die Tage an denen Abaelard die Begriffe Muslim und Philosoph als Synonym verwendet hatte oder Roger Bacon die Philosophie als Fach arabischer Herkunft bezeichnete, waren gezählt. Im 18. Jahrhundert verwandelte sich die türkische und mit ihr die arabische Welt immer mehr von einer militärischen Bedrohung in ein harmloses Spektakel. Dafür war Antoine Gallands in den Jahren 1704-1717 vorgelegte Übersetzung der 'Erzählungen aus 1001 Nacht' die Initialzündung, bevor Wolfgang Amadeus Mozart mit der 1782 uraufgeführten Entführung aus dem Serail das Meisterwerk der europäischen Orientbegeisterung schuf.
Im Vergleich zu diesen Bestsellern gingen die wenigen Schriften der deutschen Reisenden in arabischen Ländern geradezu unter. Der wichtigste unter ihnen war Carsten Niebuhr, der 1761 als erster deutscher Forschungsreisender gezielt die arabische Halbinsel aufsuchte. Seine Beschreibung von Arabien besticht laut Katzer durch die "bewusste Aufhebung einer ethnozentrischen Perspektive" (253). Auch wenn die deutsche Araberrezeption klar gegenüber der italienischen und der französischen zurückstand, wurde deutlich, dass das Araberbild der Bibel nicht mehr der Realität entsprach. Stattdessen begannen sich andere Topoi in den Vordergrund zu schieben. Dies betraf weniger die angeblich untergeordnete Stellung der Frauen (209), als vielmehr den immer wieder hervorgehobenen räuberischen Charakter der Araber. Dieser konnte nur konstatiert werden, da die Reisenden nicht mit den Stadtbewohnern, sondern beinahe ausschließlich mit den beduinischen Nomaden in Kontakt traten. Die Assoziationen mit den vielen Vagabunden des Heiligen Römischen Reiches ließen da nicht lange auf sich warten (236).
Nach der sehr detaillierten Auswertung der deutschen Reiseberichte widmet sich Katzer im vierten Kapitel dem "allgemeineren Kenntnisstand" (257) der Deutschen über die Araber. Geographisch gesehen orientierte sich der allerdings zumeist noch an der ptolemäischen Einteilung in Arabia deserta, Arabia petraea und Arabia felix (258). Grundlegend änderte sich all dies erst im 19. Jahrhundert, dem sich Katzer in ihrem letzten Kapitel zuwendet. Dieser vor ihr als "Ausblick" bezeichnete Abschnitt fällt allerdings mit knapp 140 Seiten, die außerhalb des eigentlichen Untersuchungsgegenstandes liegen, äußerst ausgiebig aus. Nicht zuletzt auf Grund politischer Niederlagen muslimischer Großreiche wie dem osmanischem und dem indischen vermehrte sich jetzt auch das Interesse an der arabischen Welt exponentiell. 1843 publizierte Gustav Weil die erste, wissenschaftlichen Kriterien standhaltende Mohammed-Biographie und gegen Ende des Jahrhunderts legte Carl Heinrich Becker den Grundstein für die Islamwissenschaft in Deutschland (351).
Arabien blieb allerdings zeittypisch in einer Mischung aus "Ablehnung und exotisierender Bewunderung" verhaftet (354). Negative Kommentare bezogen sich nun vor allem auf unbeschränkte Herrschaftsformen, geistige Passivität und teilweise auch auf die Verletzung von Menschenrechten (356). Ebenso wurde das arabische Ehrverständnis als "hoffnungslos unmodern und rückständig" gegeißelt und zählte so zu den "zählebigsten Araberstereotype[n]" (403). Neben dem weiter bestehenden "Vorwurf der Unsittlichkeit" (413) brachen sich aber auch neue Diskurse ihre Bahn. Dazu gehörte der "Genuss des Lebens in der Wüste" (429) und damit eine romantisierte Vorstellungen Arabiens. Die Araber fungierten dabei teils als "Verkörperung lauernder Risiken", teil als "ergebene Gastfreunde" (430). Erst jetzt, im 19. Jahrhundert, wurde der Beduine zum "Urtypus" (475) des Arabers.
Wie Katzer selbst in ihren abschießenden Bemerkungen noch einmal bekräftigt, waren die Kontakte der deutschen Reisenden mit den Arabern "eher sporadisch, vor allem aber oberflächlich" (477). Dazu kam die auf Grund mangelnder Sprachkenntnisse unabdingbare Begleitung durch Dolmetscher, auf deren Rolle im Text allerdings kaum eingegangen wird. So fehlt der vorliegenden Untersuchung etwas das Überraschungsmoment. Auch droht die sehr detailverliebt vorgenommene Auswertung der wenigen Reiseberichte an einigen Stellungen zur simplen Aufzählung zu mutieren. Gleichzeitig zeichnet sich Katzers Arbeit aber durch den beständigen Versuch aus, die wenigen Aussagen so gut wie möglich zu kontextualisieren, wozu die Autorin eine sehr große Fülle an Material aufgearbeitet hat. Katzer hat wohl für lange Zeit das Standardwerk zum deutschen Araberbild in der Frühen Neuzeit vorgelegt. Neben vielen interessanten Informationen wird nicht zuletzt gezeigt, wie sich bestimmte Araberbilder über die Stationen Lügenprophet, Sarazenen, Jerusalemwallfahrt, Türkenangst bis hin zum Terrorismus weiterperpetuieren konnten (484).
Volker Barth